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Zur Entwicklung des Dortmunder Sozialtickets im Jahr 2008

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Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln! So ging's die ganzen letzten Monate im Jahr 2008. Aus den Verlautbarungen von SPD und Dortmunder Stadtwerken musste der Leser den Eindruck gewinnen, das Sozialticket sei eine selten teure und deshalb hoch-prekäre Angelegenheit.

Beinahe täglich ein Artikel dazu in der Lokalpresse: Das aufgeregte Geplapper hatte eine Halbwertzeit von jeweils maximal 3 Tagen. Bei denen, die auf das ermäßigte Ticket angewiesen sind: ein Wechselbad der Gefühle.

Helmut Eigen erklärte Ende letzten Jahres im Namen des Sozialforums Dortmund: „Es muss end­lich Schluss sein mit diesem Eiertanz der 'Offiziellen', mit dem doch offenkundig nur das Ziel verfolgt wird, die Bürgerinnen und Bürger vor weiteren Beantragungen abzuschrecken! Es sei hier noch mal deutlich gesagt: Das Sozialticket Dortmund zum Preis von 15 Euro wird es auf jeden Fall bis Ende Januar 2010 geben.“

Nach wie vor hält sich die Dortmunder SPD vornehm zurück, was die Zeit nach Auslaufen des sog. 'Pilotversuchs' angeht. Wird es die Fahrpreisermäßigung auch noch nach dem Januar 2010 geben? Die Sozialdemokraten würden das Thema am liebsten aus dem Kommunalwahlkampf heraus­halten. Aber nicht mit uns! Denn nur mit einem Sozialticket zum Preis von max. 15 € monatlich ist ein Mindestmaß an Mobilität und an sozialer Teilhabe auch von ärmeren Bevölkerungsschichten sicherzustellen. Das haben auch zahllose Leser in Zuschriften an die Lokalpresse unterstrichen.

Heiko Holtgrave von Akoplan: „Die Damen und Herren Lokalpolitiker und der DSW-Vorstand sollen wissen, dass wir in Sachen Sozialticket keine Ruhe geben werden, bis sie im Sinne der Betroffenen zu einem positiven Ergebnis gebracht ist. Dies mag die VertreterInnen von SPD, FDP und CDU noch so sehr wurmen – sie können sich ja gerne der Kampagne des Sozialforums zur Auf­stockung der Regelsätze und zur Einführung eines allgemeinen Mindestlohns anschließen. Ein Anruf genügt!“

Vor wenigen Wochen sind nun neue Zahlen über die Inanspruchnahme der Sozialtickets in Dort­mund bekannt geworden. Die Fahrpreisermäßigung hat einen neuen Fahrgastrekord ausgelöst:

  1. Die Zahl der Sozialticket-Abonnenten betrug zuletzt (März 2009) rund 23.500. Im Jahr 2008 wurden insgesamt gut 195.000 von diesen ermäßigten Monatstickets verkauft (ergibt für 2008, das erste Jahr der Einführung, einen Jahresdurchschnitt von 17.800 pro Monat).
  2. Die Zahl der Fahrgäste pro Jahr ist – im wesentlichen aufgrund des Sozialtickets - von 130,0 Mio. (2007) auf 138,9 Mio in 2008 hochgeschnellt - ein neuer "Passagier-Rekord" (WR vom 14.3.). "Damit fahren Dortmunds Busse und Bahnen dem allgemeinen Trend einmal mehr davon", schrieb die Rundschau weiter und nannte 'ne Reihe von Vergleichszahlen aus BRD und VRR. Dieser Be­fund unterstreicht eindrucksvoll, was für ein enormer - aber unter normalen Umständen eben nicht zahlungskräftiger - Mobilitätsbedarf bei den Hartz IV-Haushalten besteht.
  3. Im gleichen Zuge verbuchten die Stadtwerke – sozialticketbedingt - einen weit überdurch­schnittlichen Einnahmenzuwachs aus dem Vertrieb von Ticket1000-Abos. Statt vorher (2007) knapp 13.500 zählten die Dortmunder Stadtwerke DSW21 im vergangenen Jahr 35.700 feste Ticket1000-Kunden (s. DSW-Verkehrsbilanz 2008).
    Für die Zeitspanne Januar bis September 2008, also im wesentlichen noch vor Einführung der neuen VRR-Tarife und der Schnupper-Abo-Aktion im Herbst, wurde bei dieser Abonnentengruppe ein Einnahmenzuwachs gegenüber dem Vorjahreszeitraum von 33 Prozent (!) registriert, bei einem durchschnittlichen Zuwachs (Gesamteinnahmen) von 5 Prozent.
  4. Dass die DSW-Fahrgastzahlen - und unter Berücksichtigung der städtischen Ausgleichs­zahlungen auch die entsprechenden Einnahmen - durch die Einführung des Sozialtickets über­durchschnittlich angestiegen sind, wird auch vom Verkehrsvorstand der DSW nicht bestritten.
    Gleichwohl beharrt der Vorstand weiter auf den Zahlen aus seinen beiden "repräsentativen Erhebungen", die in Wirklichkeit nur aus Telefon-Interviews bestanden: Rund 7.100 der heutigen ST-InhaberInnen hätten vorher auch schon ein Monatsticket abonniert gehabt. Im übrigen hätten die Befragten angegeben, „zuvor durchschnittlich 30 € pro Monat für Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Dortmund aufgewendet zu haben, sodass auch der überdurchschnittlich hohe Rückgang beim Barverkauf auf die Einführung des SozialTickets zurückzuführen ist." (DSW in der Pressemitteilung v. 13.3.09)
  5. Im übrigen meint der DSW-Vorstand, Politik und Kunden vor übertriebenen Erwartungen warnen zu müssen. Wir zitieren aus dem RN-Artikel vom 14.3.09 über die DSW-Pressekonferenz ("6,8 Prozent mehr Fahrgäste in Bussen und Bahnen"):
    >> In Euphorie wollte Stadtwerke-Vorstandschef Guntram Pehlke daher trotz der guten Zahlen nicht verfallen. Denn das Defizit, das Busse und Bahnen einfahren, liegt zwar um etwa eine Million Euro niedriger als 2007, aber immer noch bei 61,1 Mio. Euro. Anlass für Pehlke, noch einmal vor neuen Wünschen und finanzielle Anfor­derungen an DSW zu warnen. Man habe keinen finanziellen Spielraum mehr. "Wir sind von Seiten des Eigentümers (die Stadt Dortmund, Anm. Verf.) nicht weiter belastbar."
    Indirekt zielt Pehlke damit wohl auch auf Bestrebungen für eine Nachfolgeregelung zum Sozialticket ab, das Ende Januar 2010 ausläuft. Ursprünglich sollten mögliche Mehrkosten nach dem Wunsch der Politik von den Stadtwerken getragen werden. Jetzt stellt DSW der Kämmerin für 2008 4,9 Mio. Euro in Rechnung. Und für 2009 steht eine Forderung von rund 7 Mio. Euro in Aussicht. <<

Uns kommen die Tränen. Immer wieder wird so getan, als müsse der Öffentliche Verkehr kosten­deckend, oder wenigstens annähernd kostendeckend, betrieben werden. Das wird nie gelingen und widerspricht auch dem öffentlichen Auftrag der Verkehrsbetriebe.

Die Mehrfahrten und Mehreinnahmen, verursacht durch die Einführung des Sozialtickets, nehmen die DSW21 gerne hin - solange die Stadt (zu)zahlt. Dass sie dadurch einen erheblichen Zuwachs an festen KundInnen und bei den Fahrgastzahlen sogar einen neuen Rekord verbuchen konnten, ohne auch nur eine Bahn oder einen Bus zusätzlich bewegen zu müssen, davon kein Wort!

Das Jammern um die Einnahmeausfälle im Barverkauf und um den zu geringen Zuwachs an Abo­kunden um "nur" 16.000 (entspricht einem Plus von 14,5% !!!), was ja, so die Überlegungen der DSW weiter, bei Ausklammern der Sozialtickets sogar einen leichten Verlust bedeute, macht jeden­falls eines überdeutlich: Die Stadtwerke würden fast lieber weiterhin (mit Einzeltickets) an den Hartz IV-Empfängern und anderen Armen in dieser Stadt verdienen. Auch wenn die dann weniger fahren könnten...

Aus unserer Sicht sind die Ausgleichszahlungen der Stadt in Höhe von 4,9 Mio. € in 2008 und voraussichtlich 7 Mio. € für 2009 bei weitem überzogen. In einem vergleichbaren Fall, der Stadt Köln, blieben 2008 von einer rechnerischen Differenz zwischen Regulär- und Abgabepreis in  Höhe von – aufsummiert auf 9 Monate – 6,1 Mio. Euro nur eine Restbelastung für die Stadt Köln von 0,8 Mio. Euro übrig! Weniger als eine Million Euro musste die Sozialverwaltung der Stadt Köln 2008 in die Hand nehmen, um 160.000 Monatstickets und weitere 160.000 preisreduzierte Vierertickets für einkommensschwache BürgerInnen zu subventionieren! Da kommen uns die von den hiesigen Stadtwerken reklamierten Mindereinnahmen schon reichlich spanisch vor.

Der entscheidende Unterschied: In Köln gibt das Verkehrsunternehmen – mit Einverständnis des Verkehrsverbunds - den wirtschaftlichen Nutzen, den es aus der Einführung des Sozialtickets hat, in Form von reduzierten Ausgleichsbeträgen (Rabatten) komplett an die Kommune weiter. So heißt es in einer aktuellen Stellungnahme der Kölner Sozialverwaltung:

>> Eine erfolgreiche Einführung eines Sozial-Tickets zu Konditionen, die bei den schwierigen Haushaltslagen der Kommunen noch zu stemmen sind, lässt sich nur erreichen, wenn die örtlichen Träger des ÖPNV und die Kommunen eine einvernehm­liche Lösung aushandeln, bei denen die ÖPNV-Träger auch die auf sie entfallenden Vorteile zur Deckung des Sozial-Tickets einbringen. <<
(aus: Stellungnahme des Kölner Sozialdezernats v. 17.4.09 zu der Öffentlichen Anhörung im Landtag NRW am 21.4.09)

Mittels einer aufwändigen Marktforschung wurden vorab „einnahmenneutrale Endpreise“ (inkl. städtische Ausgleichszahlung) pro Ticket ermittelt. Der Effekt: Die Einführung der ermäßigten Tickets ausschließlich im Bereich der Stadt Köln führt auch auf Verbundebene weder zu Gewinnen noch zu Verlusten. „Die Verkehrsunternehmen im VRS (sind) in diesem Finanzierungsmodell neutral gestellt“. (aus: Stellungnahme des VRS  zu der Anhörung im Landtag)

Zu Vergleichszwecken sei ferner die dauerhafte Alimentierung des Dortmunder Flughafens herangezogen: Sind die Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt eigentlich jemals gefragt worden, ob sie mit der Dauersubventionierung des Flughafens aus der Kasse der Stadt bzw. der Stadtwerke - Zuschussvolumen rd. 20 Mio. € jährlich - einverstanden sind? Für diesen Betrag könnte man – selbst wenn man die konservativen Dortmunder Ausgleichsbeträge zur Grundlage nimmt - gut und gerne weitere 70.000 Sozialticket-Abos finanzieren...

Dortmund, 6. Mai 2009

AKOPLAN - Institut für soziale und ökologische Planung e.V.      
Mitglied im Dortmunder Sozialforum              
www.akoplan.de                           

 

Quellen:

DSW-Verkehrsbilanz 2008
Drucksache des VRR-Verwaltungsrats Nr. Z/VII/2008/0237, S. 12f.
Stellungnahmen von DSW, Stadt Dortmund, Stadt Köln und VRS zur Landtagsanhörung am 21.4.2009

 

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