01. Mai 2007: "Tag der nationalen Arbeit"
Ein ganz persönlicher Erlebnisbericht
Für Dienstag, den 01. Mai 2007, hatten die NPD und andere rechtsextreme Gruppen zur Demonstration in Dortmund gegen den Kapitalismus aufgerufen. Die Positionierung als eine Art nationale Linke, also die Selbstdarstellung mit Kapitalismuskritik hatten die Rechtstexremen bereits seit einiger Zeit als Strategie auserkoren.
Ganz im Stile der Nationalsozialisten, die im Jahr 1933 die Feiern zum 1. Mai groß in Szene setzen und einen Tag danach die Gewerkschaften verboten und viele Gewerkschaftler verhaften ließen, bezeichnet auch die heutige Rechte den 1. Mai als "Tag der nationalen Arbeit". In den Tagen vor dem ersten Mai hatten NPD und freie Kameradschaften bereits Demonstrationen in Kamp-Lintfort, Recklinghausen und Paderborn abgehalten und ihre Berichterstattung darüber mit dem Ausspruch "Räder müssen rollen für den Sieg" betitelt. Aufgrund der großen Mobilisierung der rechten Szene musste in Dortmund mit über 1000 Teilnehmern gerechnet werden.
Die rechte Szene hatte als Versammlungsort den S-Bahnhof Dortmund-Körne West ausgesucht. Mit Start der Versammlung um 12:00 Uhr, sollte gegen 13:00 Uhr von dort zum Körner Hellweg und dann über den Wambeler Hellweg bis zur Straßenbahnschleife Wambel marschiert werden. Neben der Straßenbahnschleife an der Pothecke war dann die zentrale Kundgebung geplant, der Rückmarsch sollte dann auf ähnlichem Weg zum S-Bahnhof Dortmund-Körne erfolgen.
Eine zentrale Gegendemonstration der Linken in Dortmund gab es nicht. Statt dessen hatte der DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund) in den Westfalenpark eingeladen und dafür die Zeit gewählt, zu der in Wambel die Rechten marschierten. Das Dortmunder Bündnis gegen Rechts hatte dagegen eine Mahnwache am jüdischen Friedhof und an verschiedenen Gedenksteinen auf dem Programm. Gleichzeitig gab es in Dortmund-Brackel eine Kundgebung in Form eines Gottesdienstes gegen Fremdenfeindlichkeit. Lediglich eine linke Gruppe gab es, die die Rechten aufhalten wollte: Eine nach dem Mord an Thomas "Schmuddel" Schulz am 28.03.2005 entstandene Gruppierung wollte von der Innenstadt nach Wambel laufen, was aber von der Polizei untersagt worden war.
Ursprünglich habe ich überlegt, ob ich am 1. Mai den ganzen Haufen von Rechts und Links ignorieren und einen schönen Feiertagsausflug außerhalb Dortmunds machen soll. Wo soll der Bürger Flagge zeigen, wenn die Rechten sich von der Polizei gut abgeschirmt versammeln, während die Linken sich überhaupt nicht einig sind, und die wohl größe linke Gruppierung im Westfalenpark Musik anhört?
Andererseits war diese Anmeldung der NPD die erste große Aktion (zu der sogar Rechte aus den Niederlanden eingeladen worden waren), wo mit einer Großdemonstration versucht wurde, den linken Feiertag "Tag der Arbeit" durch Rechts zu besetzen. Sollten die Rechten diesen Tag als erfolgreich bewerten und zukünftig jedes Jahr am 1. Mai in Dortmund aufmarschieren, so wäre es interessant, den Beginn dieser Entwicklung dokumentiert zu haben. Würde dies von den Linken erfolglich verhindert, so wäre eine Dokumentation dieses Tages natürlich ebenso interessant. Außerdem war es die erste Großdemonstration in Dortmund, die nach dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren nicht mehr von Freien Kameradschaften in Distanz zur NPD, sondern im Schulterschluß mit der Partei NPD angemeldet worden war, in diesem Sinne war sie also anders als frühere Demonstrationen, über die ich bereits berichtet habe. So entschieden sich meine Frau und ich, das Geschehen zum 1. Mai 2007 in Dortmund zu beobachten, so daß ich auf "Mein Dortmund" darüber berichten kann. Dazu wollten wir natürlich sowohl die Aktivitäten der Gruppen von Rechts als auch die der Gegendemonstranten beobachten.
Übrigens: In Nordrhein-Westfalen ist der 1. Mai laut Artikel 25 unserer Landesverfassung der "Tag des Bekenntnisses zu Freiheit und Frieden, sozialer Gerechtigkeit, Völkerversöhnung und Menschenwürde".
Aus meinen Erfahrungen der Vorjahre weiß ich, daß die Polizei dazu neigt, Personen, die nicht dem rechten Spektrum angehören, auch gar nicht zur Demo der Rechten hinzulassen. Man muß entweder schon von Anfang an bei den Rechten dabeisein oder man kommt gar nicht mehr überhaupt nur in deren Nähe. Zu den Linken kommt man dagegen jederzeit ohne Probleme. Um sich ein Bild von der Situation zu machen, das sowohl die Aktionen der Rechten als auch die der Gegendemonstrationen umfaßt, ist es also unerläßlich, zuerst zu den Rechten zu gehen und erst danach zu den Linken. Ebenso aus meinen Erfahrungen aus den Vorjahren weiß ich, daß man zu den Rechten nicht einfach so hingehen kann, sondern man ein wenig tricksen muß, weil die Polizei mit großer Personalstärke die Rechten bereits bei der Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln derart abschirmt, daß der einzelne Bürger sogar am Umsteigen zwischen U-Bahn und S-Bahn gehindert wird.
So entschied ich mich für eine Fahrt mit Umweg, um zusammen mit dem Pulk Rechter am S-Bahnhof Dortmund-Körne West anzukommen: Im Bahnhof Dortmund-Stadthaus wollten wir um 11:24 in die Linie S4 nach Lütgendortmund einsteigen, um 11:42 käme diese in Lütgendortmund an, führe dann um 11:47 Uhr wieder zurück Richtung Unna, vermutlich in Dortmund-Stadthaus würden dann die Rechten zusteigen, und um 12:07 Uhr käme die S-Bahn in Dortmund-Körne West an. Eigentlich war das ein durchdachter (Fahr-)Plan, aber bekanntermaßen kommt es meistens doch anders als man denkt...
11 Uhr: Es geht los.
Um 11:11 Uhr kommen wir mit der U-Bahn U41 aus Hörde in Dortmund-Stadthaus an. Auf dem unterirdischen Bahnsteig ist kein einziger Polizist zu sehen. Ich hatte mit einer umfangreichen Absperrung gerechnet, die verhindert, daß man einfach Richtung Unna umsteigen kann. Ich frage meine Frau, ob wir nicht direkt nach Dortmund-Körne West fahren sollen, dann wären wir bereits um 11:37 dort. Doch meine Frau lehnt ab, sie hat keine Lust, dort lange herumzustehen. Also machen wir die Tour wie geplant über Lütgendortmund.
Oben auf den S-Bahnsteig sind drei Polizisten zu sehen, ansonsten herrscht einsame Leere. Die S-Bahn Richtung Lütgendortmund kommt mit ein paar Minuten Verspätung. Die Polizisten, die wir im Bahnhof Dortmund-Dorstfeld sehen, kann man auch ein einer Hand abzählen, an den übrigen Bahnhöfen entlang der Strecke ist gar keine Polizei zu sehen. Von Lütgendortmund fährt der Zug pünktlich wieder zurück in Fahrtrichtung Unna.
Als der S-Bahn-Zug gegen 12 Uhr im Bahnhof Dortmund-Dorstfeld ankommt, füllen sich die Wagen mit rechtem Publikum, wie die typischen Bekleidungsstücke der Menschen und speziell die Frisuren der Mädchen deutlich zeigen. Mir gegenüber sitzt ein Mädchen auf dem Schoß ihres Freundes, Beinfreiheit gibt es so gar nicht mehr, im Gang quetschen sich die Menschen eng aneinandser, und einige der Rechten (die sich auf vergangenen Demonstrationen auch als "Deutschlands Zukunft" bezeichnet haben) rauchen in der überfüllten S-Bahn. Minuten vergehen, doch der Zug fährt nicht ab.
In einer Lautsprecherdurchsage ist etwas von gewaltbereiten Demonstranten zu hören, der genaue Text geht in Gegröle unter. Es ist nicht klar, wer überhaupt gemeint ist und von wem diese Ansage kommt. Kurz danach steigen die Rechten alle wieder aus, so daß ich mit meiner Frau wieder alleine im Zug sitze. Es vergehen erneut Minuten, ohne daß sich etwas tut. Dann kommen vier Polizisten in die S-Bahn und bitten auch uns, auszusteigen, da der Zug abgestellt werden müsse.
Der Bahnsteig ist überfüllt mit Menschen, meine Frau und ich haben Probleme, überhaupt einen Platz zu finden, der nicht unmittelbar an der Bahnsteigkante liegt. Während ich noch an der Bahnsteigkante entlangbalanciere, mich mit einer Hand an der S-Bahn abstütze und meine Frau frage, wo sie denn hinwill, sagt einer der Demonstranten zu uns: "Wir tun Ihnen nichts". Obgleich ich solche Menschenmengen immer als recht beklemmend empfinde, hatte ich nicht die Befürchtung, daß meiner Frau oder mir von den Rechten gezielt etwas angetan würde. Aber wie würde sich an unserer Stelle z.B. ein türkisches Ehepaar fühlen oder ein Bürger mit dunkler Hautfarbe?
Nun stehen wir da zwischen den Rechten. Die S-Bahn wird rückwärts herausgefahren, es gibt aber keinerlei Anzeigen oder Durchsagen. Um uns herum stehen stehen einige Typen im Militär-Outfit mit Tätowierungen und viele Teenager, dem Aussehen nach in einem Alter, daß sie überwiegend noch zur Schule gehen. Tätowierungen an Armen und Beinen sind teilweise abgeklebt, wohl eine Reaktion auf die Demonstrationsauflagen, die bestimmte Schriftzüge (z.B. "Haß") verbieten. Die Jungs tragen T-Shirts mit Reimen oder Liedtexten, die "Weißen Stolz" thematisieren. Viele Percings sehe ich, besonders bei den Mädchen. Offenbar besteht die Rebellion pubertierender nationaler Jugendlicher nicht nur in Rauchen und Rechts-Sein, sondern auch darin, sich tonnenweise Metall durch Hautpartieen stecken zu lassen.
Die Zeit vergeht. Allgemein herrschte große Ratlosigkeit. Von unserer Position sehen wir weder Polizisten noch Bahnpersonal, statt dessen ist alles angefüllt mit Rechten. Aus einem kleinen Grüppchen auf dem anderen Bahnsteig werden Rufe "Scheiß-Nazis" zu uns herübergebrüllt.
Viele Minuten später kommt plötzlich Bewegung in die Sache: Ein ganzer Pulk rechter Kameraden strömt durch die Menschenmenge zum Treppenaufgang. Es wird "Macht der Jugend die Straße frei" gegröhlt, an den Treppenaufgängen werden NPD-Fahnen geschwenkt. Die Menschenmenge um uns herum veranstaltet einen Höllenlärm. Drei Polizisten tauchen aus der Menge auf und wieder in ihr unter.
Nun stürmen die ersten Kameraden den Treppenaufgang hinauf. Am Bahnhof Dortmund-Dorstfeld werden gerade die Rolltreppen erneuert und die Treppen sind deshalb mit einer Holzverkleidung versehen. Die Holzbalken wackeln hin und her, als ob die ganze Konstruktion gleich zusammenbrechen würde, und erzeugen noch viel mehr Lärm.
Nun bekommen wir eine Lektion in Punkto Gruppendynamik: Weil der Weg durch die Treppe wohl versperrt ist, rennen die Menschen reihenweise über die Gleise auf den Nachbarbahnsteig, um dort die Treppe hochzulaufen. Meine Frau und ich stehen aber in der Nähe der Bahnsteigkante, über die jetzt gerade der ganze Pulk wie die Lemminge hinunterspringt. Ich packe meine Frau am Arm und ziehe sie gegen den Menschenstrom zur gegenüberliegenden Bahnsteigkante, wo schnell eine große Leere entsteht.
Im Nachhinein könnte ich mich schwarz ärgern, daß ich in diesem Moment nicht meinen Photoapparat auf der Tasche geholt und ein paar Bilder geknipst habe. Das wären bestimmt tolle Aufnahmen geworden! Aber in der Hektik der Situation hatte ich dann doch mehr damit zu tun, mich schnell in Sicherheit zu bringen. Das Geschehen ließ mich an Medienberichte über plötzlich entstehende Massenpanik-Situationen denken, wo man zusehen sollte, sich an einem sicheren Ort zu befinden, wo man nicht umgerannt werden kann (z.B. an einem Pfeiler).
Der ganze Spuk ist schnell vorbei, es ist kein einziger Rechter mehr im S-Bahnhof zu sehen. Nun sehen wir, daß der Treppenabgang zu der eine Etage tiefer abfahrenden Linie S1 von einer Polizeikette abgeriegelt war. Insgesamt befinden sich weniger als 20 Polizisten auf dem Bahnsteig. Wie diese der Menschenmenge Herr werden sollten, ist mir schleierhaft.
Die Polizisten verschwinden auch und jetzt kommt endlich eine Durchsage: Die S-Bahn der Linie S2 Richtung Dortmund Hauptbahnhof verspätet sich um fünf bis zehn Minuten. Inzwischen ist bereits 12:30 Uhr, so daß eigentlich der nächste Zug der Linie S4 Richtung Unna fahren sollte, aber der wird in der Durchsage gar nicht erwähnt. Die rechten Demonstranten sehen wir die Rheinische Straße Richtung Innenstadt laufen. Ob sie vor der Polizei davonlaufen oder von dieser geführt werden, ist vom Bahnsteig aus nicht zu erkennen. Wir sind unschlüssig, was wir nun tun sollen. Hätten wir mit den Rechten zusammen herauslaufen sollen? Jetzt ist es aber eh zu spät.
Etwas später erfolgt die Durchsage, daß der S-Bahn-Verkehr im Bahnhof Dortmund-Dorstfeld vollständig eingestellt worden sei. Wann der Betrieb wieder aufgenommen würde, sei nicht bekannt. Es werden weder Gründe noch alternative Fahrmöglichkeiten genannt. Wir gehen zur Straßenbahnhaltestelle im Dorstfelder Ortskern.
13 Uhr: Gestrandet in Dorstfeld
An der Straßenbahnhaltestelle hören wir von anderen Fahrgästen, daß der Straßenbahnverkehr derzeit auf unbekannte Dauer eingestellt sei. In der Tat kommt die laut Fahrplan um 12:51 verkehrende 404 Richtung Westfalenhütte nicht. Es sind also beide Nahverkehrsverbindungen, die von Dorstfeld in die Innenstadt führen, abgeschnitten. Was nun?
Wir beschließen, mit dem Bus der Linie 465 nach Huckarde zu fahren und von dort mit der U47 in die Innenstadt. Als andere Fahrgäste die Busfahrerin fragen, wie man momentan in die Innenstadt kommt, empfiehlt diese die Straßenbahn. Von dem Ausfall der Straßenbahnlinie weiß sie offensichtlich noch gar nichts.
Der Bus fährt pünktlich um 12:58 Uhr an der Wittener Straße in Dorstfeld ab. Wir sitzen zwar nicht ganz vorne, können aber ein paar Brocken des Sprechfunks mithören. Dabei hören wir zufällig, wie ein Busfahrer der Leitstelle meldet, daß er gerade die Unionstraße hochgefahren ist und nun nicht weiterkommt. Er sagt wörtlich "Von rechts kommen die Rechten, von links kommen die Linken". Da die Unionstraße von Norden auf die Rheinische Straße führt, befindet sich rechts vom Busfahrer Dorstfeld, links von ihm die Innenstadt. Ich ziehe deshalb den Schluß, daß die aus Dorstfeld kommenden Rechten in Höhe der Unionstraße auf Gegendemonstranten aus der Innenstadt gestoßen sind.
Ich überlege, ob die ganze Sache mit dem Ausfall der S-Bahn und dem Demonstrationszug über die Rheinische Straße vielleicht eine Polizeitaktik ist: Während die Antifa die Rechten in Wambel erwartet, demonstrieren diese statt dessen auf der Rheinischen Straße zwischen Dorstfeld und der Innenstadt. Auf jeden Fall müssen wir da hin!
An der Haltestelle Huckarde Bushof fährt pünktlich um 13:24 die U47 Richtung Aplerbeck. An der Kampstraße steigen wir aus und erfahren von Stadtwerke-Mitarbeitern, daß der Straßenbahnverkehr in beiden Richtung zum Erliegen gekommen ist. Richtung Westen ist am Westentor Schluß, Richtung Osten ist die Haltestelle Reinoldikiche blockiert. An der Haltestelle Kampstraße herscht gähnende Leere, an der Reinoldikirche sehen wir von Weitem mehrere Polizeifahrzeuge auf den Schienen stehen.
Wir gehen zu Fuß Richtung Unionstraße, vorbei an den fast fertiggestellten Zugängen zum zukünftigen U-Bahnhof Westentor und dem Dortmunder U, doch die Gegendemonstranten, die wir eigentlich zahlreich erwartet haben, bleiben aus. Wir werden auf unserem Weg aber auch nirgends von der Polizei aufgehalten.
An der Haltestelle Unionstraße stehen zwei einzelne Straßenbahnwagen Richtung Marten, da die Verbindung zur Haltestelle Heinrichstraße derzeit durch die Polizei unterbrochen ist. Die Fahrer können auch nicht sagen, wann sie weiterfahren dürfen.
14 Uhr: Ein kleines Grüppchen
Erst in Höhe der Einmündung Annenstraße ist wieder mehr Polizei zu sehen. Neben zahlreichen grün-weißen und blau-weißen Fahrzeugen der Ordnungshüter stehen auch drei Gelenkbusse der Dortmunder Stadtwerke auf der Straße. An der Einmündung der Sudermannstraße in die Rheinische Straße befindet sich kleines Grüppchen Rechter im Polizeikessel, so daß hier die Straße gesperrt ist. Aber bereits an der Siegfriedstraße ist alles wieder frei, so daß man über die Adlerstraße den Kessel einfach umgehen kann. Einer der Rechten wird gerade im Krankenwagen versorgt.
Ein Anwohner erzählt mir, daß die Rechten von der Polizei zunächst einzeln photographiert und dann in Gruppen zu je 50 Personen in die drei Stadtwerke-Busse eingewiesen worden seien und dort nun seit mehr als einer Stunde auf den Weitertransport nach Wambel warten. Es sind aber noch Personen übriggeblieben, das sind die, die sich gerade im Polizeikessel befinden. Für diese Menschen sind nun noch weitere Busse angefordert worden. Da dies ja nur die Leute sein können, die aus Dorstfeld gekommen sind, müssen es also über 200 Menschen gewesen sein, mit denen wir vorher auf dem Bahnsteig der S-Bahn gestanden haben.
Ich frage den Mann, wo denn die Gegendemonstranten sind. Denn auf dem Weg von der Innenstadt hierher habe ich keine gesehen, aber es befand sich auch keine Polizeiabsperrung dazwischen. Der Mann erwidert auf meine Frage: "Ich bin doch da."
Von der Heinrichstraße fahren wieder Straßenbahnen über Dorstfeld nach Marten. Der Stadtwerke-Mitarbeiter, der für das manuelle Umstellen der Weiche (die nur zum Kopfmachen der Straßenbahn benötigt wird) zuständig ist, teilt mir mit, daß der S-Bahn-Verkehr weiterhin eingestellt ist. Zur Ursache sagt er mir, daß Bahnschwellen angezündet worden seien und daß die Bahn die Oberleitung abschalten musste, damit die Polizei Wasserwerfer einsetzen konnte.
Meine Frau schimpft mit mir, daß wir uns schon wieder jottwede befinden, wo keine Verkehrsverbindung in die Innenstadt führt. Ich schimpfe zurück: Eigentlich hätte ich ja heute auch etwas völlig unpolitisches unternehmen können, z.B. ins Eisenbahnmuseum nach Bochum-Dahlhausen fahren und dort die Dampfloktage genießen können. Statt dessen renne ich nun einem Rudel Rechter hinterher!
15 Uhr: Hauptbahnhof
Schließlich gehen wir zu Fuß wieder zurück in die Innenstadt. Als wir gerade losgehen, treffen zwei Reisebusse von TRD-Reisen ein, darunter sogar ein Doppeldeckerbus. Ein Polizist bestätigt uns, daß die Rechten tatsächlich noch zum Versammlungsort nach Wambel gefahren werden, obwohl die dortige Veranstaltung laut Zeitplan schon längst angefangen haben muß.
Es ist schon verrückt: Der gewöhnliche Bürger erhält überhaupt keine Information, warum die S-Bahn nicht fährt, und bekommt auch keine alternativen Fahrtmöglichkeiten (z.B. Schienenersatzverkehr mit Bussen) angeboten. Für die Rechten, die hier genauso gestrandet sind, werden von den Stadtwerken drei Gelenkbusse gestellt und noch zusätzlich Reisebusse angefordert. Dabei handelt es sich noch nicht einmal um Schienenersatzverkehr (was den Einsatz von Bussen auf Kosten der Stadtwerke erklären würde), sondern um einen besonderen Schuttle-Service für die Rechten, der direkt von der Heinrichstraße zur Pothecke in Wambel fährt – eine Strecke, für die es im aktuellen Sonn- und Feiertagsfahrplan eigentlich keine umsteigefreie Verbindung gibt.
Wir wollen nun mal sehen, was am Hauptbahnhof los ist. Doch außer ein paar vereinzelte Polizisten ist dort nichts zu sehen - weder Rechte noch Linke. Wo stecken bloß die vielen Gegendemonstranten? Sollten die womöglich alle im Westfalenpark hocken und sich von Trallala einlullen lassen?
Ich überrede meine Frau, zur Reinoldikirche zu fahren. Gelaufen sind wir wohl schon genug, also fahren wir zum Stadtgarten und steigen dort um. An der Reinoldikirche sitzen ein paar Kleingruppen aus Punkern und Spontis. Auch einen ehemaligen Kommilitonen aus Studiums-Zeiten treffe ich dort wieder. Der berichtet mir aber nur, was ich eh' schon weiß: Die Rechten werden in Bussen von der Rheinischen Straße nach Wambel gebracht.
Ein Stadtwerke-Mitarbeiter teilt mir mit, daß vom Ostentor Schienenersatzverkehr nach Brackel angeboten wird. Die Busse fahren über den Borsigplatz, umfahren also die Demonstrationsroute der Rechten weiträumig. Große Menge aus Gegendemonstranten werde ich da demnach auch nicht zu Gesicht bekommen. Wir fahren also nach Hause.
16 Uhr: Auf nach Wambel!
Gegen 16 Uhr kommen wir wieder zu Hause an. Nun will ich meine Exkursion alleine und mit einem flexibleren Verkehrsmittel, nämlich dem Fahrrad, fortsetzen.
Auf dem Körner Hellweg Richtung Wambel befindet sich die Polizeiabsperrung kurz hinter der Einmündung Leppinghof. Auch hier befinden sich keinerlei Gegendemonstranten, wie ich das an den Polizeiabsperrungen bei frühren Terminen kennengelernt habe. Statt dessen stehe ich in einer von nicht befahrenen breiten Straße, auf der vereinzelt Passanten entlanglaufen, und die mittendrin durch eine Kette Polizisten geteilt wird.
Ich werde gefragt, wohin ich möchte, und antworte wahrheitsgemäß, daß ich meinen Weg Richtung Wambel fortsetzen möchte. Doch das war wohl die falsche Antwort: Der Polizist sagt, daß er zwar einzelne Menschen zur Pizzeria durchlassen würde, aber ich solle mir doch einen anderen Weg suchen.
Also fahre ich in die Stuttgartstraße, von dort nach rechts in die Heilbronner Straße. Die Frankfurter Straße Richtung Norden ist Einbahnstraße in Gegenrichtung, Richtung Hellweg wird sie wieder von der Polizei kontrolliert. Allerdings kann ich als Fahrradfahrer an der Einmündung der Heilbronner Straße in die Frankfurter Straße auch geradeaus fahren, wo sich nur Gebäudezugänge, aber keine richtige Straße befindet. An der Einmündung der Alte Straße auf den Körner Hellweg ist die Absperrung gerade offen, so gehe auch ich mit meinem Fahrrad hindurch und befinde mich nun in dem abgesperrten Bereich.
So leer habe ich den Wambeler Hellweg noch nie gesehen: An der großen Kreuzung mit der Rüschebrinkstraße fährt kein Auto, keine Straßenbahn, und es sind kaum Passanten zu sehen.
Es ist 16:50 Uhr, als ich zwei Gelenkbusse der Dortmunder Stadtwerke von der Rüschebrinkstraße in den Wambeler Hellweg Richtung Straßenbahnschleife abbiegen sehe. Offensichtlich treffen also die Busse mit den Rechten von der Rheinischen Straße, mit denen ich ursprünglich im Bahnhof Dortmund-Dorstfeld gestanden habe, jetzt erst hier ein.
Nach einem kurzen Gespräch mit einem Stadtwerke-Mitarbeiter, der mir berichtet, daß der Wambeler Hellweg bereits seit 09:00 Uhr abgesperrt sei, treffe auch ich um 17:10 Uhr an der Straßenbahnschleife und der Einmündung Pothecke ein.
In der Straßenbahnschleife stehen zwei Züge in Doppeltraktion (insgesamt also vier Wagen), davor zwei Reisebusse von TRD und eine Reiterstaffel der Polizei. Polizisten aus diversen Städten in Nordrhein-Westfalen und Bayern sind mit Polizeifahrzeugen und Zivilfahrzeugen anwesend. Auch ein Wasserwerfer und Polizeihunde sind postiert.
Kurz hinter dem Versammlungsort befindet sich die Polizeiabsperrung für die aus Brackel kommenden Menschen. Aber auch hier sind keinerlei Gegendemonstranten zu sehen.
Der Mehrzweckplatz, auf dem die Versammlung stattfindet, ist vom Wambeler Hellweg durch Bäume und Büsche abgetrennt. Die zwei Zufahrten sind durch Polizisten abgeriegelt, auf den Bürgersteig unmittelbar vor dem Platz wird nur Polizei und Presse gelassen. Man hört auch nichts von der Veranstaltung. Findet sie also unter völligem Ausschluß der Öffentlichkeit statt?
Etwas später höre ich doch ein wenig, aber überwiegend nicht verständlich. Klar und laut gesprochen sind am Ende einer Rede die Worte hörbar "Dieses Land gehört uns. Nehmen wir es uns wieder!".
Während die Reden laufen, es ist 18:10 Uhr, treffen weitere Reisebusse ein. Es sind zwei einstöckige Reisebusse und zwei Doppeldeckerbusse von TRD-Reisen. Die Polizei bildet vor jedem Bus ein Spalier, durch das die Fahrgäste auf die Veranstaltung geleitet werden.
Anwohner in den Häusern gegenüber dem Kundgebungsplatz haben ihre Fenster geöffnet, es sitzen auch Personen auf den Mauern zu den Vorgärten der Häuser. Ein kleines Mädchen hat ein Stück Papier zu einer Tröte gerollt und ruft dadurch "Nazis verpisst Euch, keiner vermisst Euch!". Ich höre, wie Leute darüber schimpfen, daß sie sich nicht frei bewegen dürfen, während das für die Rechten offenbar selbstverständlich ist. Tatsächlich wurden die Rechten zwar im Polizeispalier von den Bussen auf den Platz geleitet, können danach den Platz aber nach Belieben verlassen und zurückkehren. So sieht man immer wieder einzelne Personen von der Kundgebung zur ARAL-Tankstelle gehen und mit Knabbereien und Getränken (z.B. einen Sixpack Bier) zurückkehren. Sehr laut dringt Musik vom Platz herüber. Man hört den Refrain "Jugend Revolution".
Um 18:43 Uhr, noch während die Musik spielt, sehe ich erste Personen in die Busse einsteigen. Werden die Rechten nun also auch zurück gefahren, so daß es gar keine Demonstration gibt?
Zehn Minuten später setzen sich die ersten Busse in Bewegung, doch vom Kundgebundplatz sind noch laute Zugabe-Rufe zu hören. Es befinden sich also wohl doch noch viele Personen dort.
Polizeitruppen marschieren in Zweier-Reihen zwischen Rüschebrinkstraße und dem Versammlungsort, Polizeifahrzeuge werden umherdirrigiert, die Reiterstaffel geht den Weg ab, vom Veranstaltungsort erklingt mal wieder Musik, aber sonst passiert nichts.
Erst kurz vor 20:00 Uhr zieht der Demonstrationszug der Rechten über den Wambeler Hellweg. Mit dem Slogan "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche!" wird deutlich, daß es bei der Kapitalismuskritik der Rechten eben doch zuerst um Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit geht. Dazu passen auch Transparente mit Aufschriften wir "Gemeinsam gegen Kapitalismus, für einen nationalen Sozialismus" oder "Kampf dem Kapitel, für Volksgemeinschaft und Nation" – das ganze natürlich begleitet von der schwarz-weiß-roten Reichsflagge und der NPD-Fahne.
Hinter der Demonstration fuhren diverse Busse her. Von TRD-Reisen zähle ich drei Doppelstockbusse, zwei einstöckige Busse und einen Linienbus, von den Dortmunder Stadtwerken einen Gelenkbus. Laut Dortmunder Polizei haben rund 800 Personen an der Demonstration der Rechten teilgenommen. Angesichts der Tatsache, daß viele Teilnehmer mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist sind und trotzdem eine erhebliche Anzahl großer Reisebusse eingesetzt war, erscheint mir diese Zahl zu niedrig. In der Zeitung habe ich von 950 Teilnehmern gelesen. Diese Zahl paßt schon besser zu meinen Beobachtungen.
Quelle: http://www.mein-dortmund.de