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Stadt Dortmund: Kürzen – Verteuern – Privatisieren

Streichkonzert verschärft die Krise

1. Die Streichbeschlüsse des Stadtrats vom 08. 07. 2010

Im Juni, zwei Wochen vor der Ratssitzung über den Stadthaushalt, der schon seit einem halben Jahr lief, bekräftigte der Kämmerer Stüdemann, er werde mit den Sparbeschlüssen von Ende 2009 und einer aktualisierten Streichliste den Bürgern direkt 10,9 Mio € abknöpfen. Die Hauptlasten sollten vorweg die Arbeitnehmer der Stadt treffen (minus 5,3 Mio € – wo Dortmund ohnehin schon die dritthöchste Arbeitslosigkeit in NRW hat). Und ausgerechnet die Kinder und Jugendlichen (die „Investition in unsere Zukunft“: minus 920.000 €). Im Sozialbereich hatte der Rat schon im Februar die 3,8 Mio € für das Sozialticket „eingespart“.

Die dann noch offenen 96 Mio € sollten mit Überziehungskrediten abgedeckt werden (sogenannte Kassenkredite).

Der Rat stimmte am 8. Juli Stüdemanns Plänen im wesentlichen zu. Die besonders heikle Privatisierung der städtischen Kitas und Jugendfreizeitstätten ließ er bis Mitte 2011 „prüfen“ und fasste noch einige weitergehende Haushaltsbegleitbeschlüsse (in der Tabelle enthalten; siehe unten sowie die Zusammenfassung von Utz Kowalewski vom 10.08.10).

Ist damit das schlimmste überstanden, ist die Krise überwunden? Ganz im Gegenteil.

2. Land unter bei Kindern und Jugend

Außerdem beschloss der Rat am 8. Juli die mittelfristige Finanzplanung bis Ende 2013. Im kommenden Jahr soll das Streichkonzert erst richtig losgehen.

2011 schnellt das Defizit zwischen Einnahmen und Ausgaben der Stadt auf 241 Mio € hoch. Davon 103 Mio € allein für Kreditzinsen an Banken und sonstige Finanzgeschäfte. Folglich wollen OB Sierau und sein Kämmerer die Kürzungen, Streichungen, Verschiebungen an private Träger usw. von 26,5 auf 33,5 Mio € ausdehnen

2012: Defizit 155 Mio € (Bankzinsen usw. 96 Mio €) – Kürzungen usw. 73 Mio €

2013: Defizit 146 Mio € (Bankzinsen usw. 95 Mio €) – Kürzungen usw. 76 Mio € !
(Ratsbeschluss vom 08.07.10 gemäß Planungsstand 22.06.10)

Auch dann soll die Axt vor allem wieder Kinder und Jugend, Schulen, Soziales, städtische Sportanlagen, Eintrittspreise für kulturelle und Freizeiteinrichtungen treffen. Und vorweg die städtischen Angestellten und Arbeiter.

An direkten Belastungen der Bürger sind geplant (in Mio €):

Bereich

2010

2011

2012

2013

Kinder/Jugend

0,919

1,637

3,187

3,137

Schulen

0,063

0,811

0,862

0,794

Soziales

3,860

0,170

0,280

0,390

Kultur, Sport, Freizeit

0,785

4,713

5,810

5,810

Personal

5,300

5,900

7,550

8,250

Summe

10,927

13,231

17,689

18,381

 

3. Der Widerspruch: Krise der Marktideologie ignoriert

Wie die Tabelle zeigt, ist ein Ende der Haushaltskrise nicht in Sichtweite. Vor dem Hintergrund der globalen Aussichten erscheint uns das realistisch, auch wenn es dem derzeitigen Aufschwungjubel widerspricht, der uns eher unrealistisch erscheint. Die Tabelle zeigt aber auch, dass unsere Stadtoberen keine andere Lösung sehen können oder wollen, als die Krise auf die Masse der kleinen Leute abzuwälzen.

Sie behaupten, wenn sie öffentliche Aufgaben zurückfahren und privatisieren, die freiwilligen Sozialleistungen kürzen, die öffentliche Beschäftigung abbauen und auf private oder halbprivate Unternehmen verlagern, kurz gesagt: Wenn sie Privat vor Staat gehen lassen, kämen wir schneller aus der Krise. Was es konjunktur-politisch für ein Unfug ist, in der Krise die öffentlichen Ausgaben zu kürzen, haben wir ihnen schon beim Nachtragshaushalt 2009 vorgehalten und beim Haushalt 2010 wieder: Das verschärft und verlängert die Krise. Weshalb sie dann immer noch schärfer „sparen“ müssen (siehe Tabelle).

Was aber noch schlimmer ist als der konjunkturpolitische Salto mortale: Mit dieser Finanzplanung setzen sie darauf, dass eben nicht die öffentliche Hand uns aus der Krise zieht, sondern „die Märkte“. Wo die kommunal finanzierte und organisierte Arbeit zurück gefahren wird, bleibt nur die Hoffnung auf private.

Sozialdemokrat Stüdemann begründet das natürlich nicht so fundamentalistisch wie die neoliberalen Obergurus (Rüttgers, Westerwelle usw.), auch nicht so frech, wie die Kanzlerin uns die Leviten liest: Wir ( ! ) hätten „über unsere Verhältnisse gelebt“. Nein, sein Streichorchester verschanzt sich hinter der höheren Gewalt von Sachzwängen:

Erstens behauptet man, die Kommunen müssten ihre Defizite auch durch eigene Sparanstrengungen verringern, wenn sie mehr Geld von Land und Bund fordern. – Ja wieso denn? Haben wir also doch über unsere Verhältnisse gelebt? Haben wir etwa die Krise verursacht, oder waren das nicht Finanziers und Zocker? Haben wir die kommunalen Einnahmen immer mehr gekürzt, oder waren das nicht Landes- und Bundesregierungen? Haben wir den Kommunen immer neue Pflichtaufgaben aufgebrummt, ohne die nötigen Finanzmittel mitzuliefern? Wieso sollen wir jetzt einen Karren aus dem Dreck ziehen, den andere hinein gefahren haben?

Zweitens sagt man uns, wir müssten sparen, um möglichst wenig neue Schulden zu machen. – Ach ja? Wer zwingt denn die Kommunen, ihre Aufgaben immer mehr auf Pump zu finanzieren? Wir etwa? Oder ist das nicht systematisch von der Elite so gewollt? Die Schulden der Stadt explodieren geradezu seit dem Jahr 2.000 und weisen die höchste Steigerungsrate von allen Posten im Finanzplan 2011-13 auf. Obgleich die Zinssätze im Moment extrem niedrig liegen wegen der Bankenkrise, profitieren die Herren Ackermann und Co. also überproportional von der gewollten Finanzklemme der Kommunen. Auch die öffentlichen Schulden bei Privatbanken sind eine Form der Privatisierung öffentlichen Vermögens, eine schleichende Enteignung der Stadt.

Drittens droht man mit dem dicken Knüppel Gemeindehaushaltsrecht, demzufolge das jährliche Defizit einen bestimmten Prozentsatz vom städtischen Vermögen nicht übersteigen darf, andernfalls drohen drakonische Eingriffe der Kommunalaufsicht („Haushaltssicherung“). – Mit anderen Worten: Damit der Regierungspräsident die Stadt nicht kaputt spart, besorgen wir das lieber selbst. Das erinnert an den berühmten Selbstmörder, der sich aus Angst vor dem Sterben umbringt. Man sollte meinen, so eine Absurdität widerlegt sich selbst. Für unsere Stadtoberen offenbar nicht.

Man sollte meinen, mit der jüngsten Krise hat die Marktwirtschaft sich bis auf die Knochen blamiert. Bei der breiten Mehrheit der abhängig Beschäftigten und Verarmten ist das auch so. Alle aktuellen Umfragen bestätigen: Die Marktideologie hat keine Mehrheiten mehr. Die Menschen erkennen in ihr durchaus die wesentliche Ursache der jüngsten Krise. Allerdings, in Ermangelung einer attraktiven, wirkungsmächtigen Alternative hat die Mehrheit sich auch damit abgefunden, über ihre Ratlosigkeit gar nicht mehr nachzudenken, und hat sich aufs Private zurückgezogen. Nur deswegen – und natürlich aus Angst vor Repressalien, Jobverlust usw. – wird die Elite kaum daran gehindert, weiter katastrophale Sparpakete zu schnüren.

Stüdemanns Finanzplanung ist der schlagende Beweis, dass es sich bei der Doktrin vom „Sparen“ für den „Aufschwung“ genau um jenen Aberglauben handelt, der bei uns Staatsreligion ist und heutzutage in der Welt mehr Schaden anrichtet, als der Glaube an Gott oder Allah je angerichtet hat.

Das erste Gebot unserer Staatsreligion lautet:

„Wirtschaftswachstum ist das A und O des Fortschritts. Und nur die Märkte schaffen Wirtschaftswachstum. Also garantieren die Märkte uns den Fortschritt. Zwar nicht immer, hin und wieder mit krisenhaften Unter-brechungen, deshalb muss man sie ein wenig regulieren, und sozial gerecht sind sie auch nicht von selbst, die Märkte, deshalb muss man ihnen ein paar Sozialgesetzbücher an die Seite stellen, aber nur die Märkte können überhaupt Fortschritt schaffen. Darum: Privat vor Staat! Gelobt sei das Privateigentum!“

Unsere gesamte „Elite“ glaubt an diese Staatsreligion. Auch die Spitzen der Sozialdemokratie huldigen ihr, entweder ausdrücklich wie Schröder und Steinmeier oder stillschweigend wie Gabriel und Nahles oder unser OB Sierau und Kämmerer Stüdemann.

Damit nehmen sie in Kauf, dass das schon jetzt nicht mehr gut geht und eine Hypothek auf eine noch viel schlimmere Zukunft darstellt. Wenn nämlich Exportmärkte ins Rutschen kommen (USA, EU, Asien), wenn der Bund die Zuschüsse aus dem Konjunkturpaket II zurück fordert (ab 2012), wenn die Schuldenbremse greift (ab 2013), wenn die jahrelang vernachlässigte Infrastruktur immer mehr verfällt, Merkel-Schäubles Sparpaket die verfügbaren Einkommen mindert und und und –

– dann wird es zur reinen Notwehr, endlich über eine Finanzpolitik gegen „die Märkte“ nachzudenken

Unsere Eliten sind dazu sicher nicht bereit. Das muss von unten kommen.

Wolf Stammnitz August 2010

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