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Saufraum: Schutz für Trinker und Nachbarn

Die Kollision der Weltbilder war spürbar – am Dienstag beim Auftritt der Kieler Saufraum-Delegation im Rathaus. Zwei Fachleute von der Küste stellten Ausschüssen und Bezirksvertretung ihren Ansatz vor. Der akzeptiert, dass Trinker ein Recht auf Trinken haben, wenn sie niemanden stören.

Die politische Mehrheit applaudierte, die SPD nicht.

„Moin, moin!” So frisch wie der Gruß der Gäste aus dem hohen Norden, so kühl manche Reaktion auf die Projektvorstellung. Ein NDR-Beitrag über „Hempels Sofa” in Kiel führte ins Thema ein. „Gut, dass es das gibt”, sagt ein Trinker in die Kamera – und meint zweierlei: den Alkohol und den Saufraum. „Wenn man den Stoff braucht, kann man nicht ohne...”

Es geht nur ums Verdrängen

„Es geht hier nur ums Verdrängen der Szene, dazu muss man auch stehen.” Manfred Wagner, Leiter des Amtes für Wohnen und Grundsicherung in Kiel, spricht Klartext. Sein Vortrag – ein Plädoyer für Toleranz. Ein öffentliches Alkoholverbot sei unzulässig. Ein Saufraum schütze beide Seiten – Trinker wie Anwohner.

„Hempels Sofa” liegt 600 Meter abseits der City. 80 qm Schankraum, dazu Toiletten, Wasch- und Duschplätze, Ruheraum, ärztliches Behandlungszimmer, Beratungsraum. In den Sozialbereichen: kein Alkohol. Am Tresen: keine Vorurteile. Zwei Kräfte schänken aus. Früher zechten sie auf der anderen Seite des Tresens. Sehr praxisnah, ihre Problembewältigung. Sie kennen die Szene, schlichten Streitigkeiten im Ansatz. Pädadgogische Betreuung gibt es nur zu festgelegten Zeiten. „Wir leisten keine verordnete Sozialarbeit, sondern Hilfe auf Nachfrage.” Die Gäste wollen nur eines: „Keinen Stress.”

Eine Straße mit Dach darüber

Die Losung: „Du bist nicht okay, und das ist okay so.” Ein Treffpunkt, keine Trinkerheilanstalt. „Nichts anderes als eine Straße mit Dach darüber”, so der Mann aus Kiel. Von 9 bis 15 Uhr bringen Trinker ihren Stoff mit – Bier und Wein, Höchstgrenze: 15 Prozent. Nach einstündiger Reinigung öffnet „Hempels” ab 16 Uhr als ganz normale Kneipe, für das breite – nicht im Sinne von „abgefüllte” – Publikum.

50 Meter sind es bis zum nächsten Discounter – „wichtig, um Stoff zu holen”, weiß Wagner. Solche Sätze riechen sprittig. Einige im Ratssaal rümpfen auch die Nase. Aber: „Die Szene im Problemviertel hat sich komplett aufgelöst.” Mehr will die Politik ja auch am Nordmarkt nicht. Nur: Mit unterschiedlichen Ansätzen.

SPD fürchtet Drogen und Prostitution

Die Reaktionen bei den Zuhörern reichten von beeindruckt bis befremdet. „Ich dachte, je höher der Alkoholspiegel, desto größer die Gewaltbereitschaft”, wunderte sich Justine Grollmann (CDU) über die friedliche Koexistenz. Gengiz Tekin (Grüne) kann sich diesen „Schutzraum” vielleicht auch über die zweijährige Testphase hinaus vorstellen. Die SPD nicht. Marita Hetmeier befürchtet, dass ein Saufraum auch Drogenabhängige und Prostituierte anlockt.

Quelle: WR vom 16.03.10

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