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Dortmund stellt sich quer

Antifaschistisches Bündnis will rechten Aufmarsch verhindern. Polizei behindert Aktionen gegen »Nationalen Antikriegstag«. Weitere Gewalt von Neonazis befürchtet

Die neofaschistische Szene in Dortmund agiert agiler denn je. Von Polizei und Justiz nahezu ungestört, verübt sie seit Jahren gewalttätige Übergriffe auf Nichtdeutsche und Antifaschisten. Die örtliche Polizeibehörde hat sich offenbar vorrangig der Behinderung des antifaschistischen Protestes verschrieben. So teilten die Beamten unlängst im Rahmen eines sogenannnten Kooperationsgespräches mit, eine geplante Demonstration des antifaschistischen Bündnisses »Dortmund stellt sich quer!« nicht auf der ursprünglich angemeldeten Route protestieren lassen zu wollen. Das Bündnis, das unter anderem von verschiedenen autonomen Antifagruppen, Migrantenorganisationen, Bundestags- und Landtagsabgeordneten der Linkspartei, dem Liedermacher Konstantin Wecker und dem Schauspieler Rolf Becker unterstützt wird, will anläßlich eines Aufmarsches der sogenannten Autonomen Nationalisten am 5. September, gegen die neuerliche neofaschistische Provokation demonstrieren. Bereits zum fünften Mal in Folge rufen die Dortmunder Rechtsextremen um Dennis Giemsch, Alexander Deptolla und Dietrich Surmann europaweit zu einer von ihnen als »Nationaler Antikriegstag« bezeichneten Aktion auf.

Zwar hat die Dortmunder Polizei die neofaschistische Demonstration verboten, was vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen bereits bestätigt wurde. Neonazigegner fürchten jedoch eine Aufhebung des Verbotes durch die übergeordneten Gerichtsinstanzen.

Unberührt davon, ob die Rechtsextremen am 5. September tatsächlich durch die Ruhrgebietsmetropole marschieren dürfen, will »Dortmund stellt sich quer!« gegen die Neofaschisten mobilmachen. »Wir werden in jedem Fall demonstrieren. Egal, wie die Gerichte über den Aufmarsch entscheiden«, erklärte Peter Neuhaus, einer der zwei Demonstrationsanmelder, am Dienstag gegenüber junge Welt. Dem pflichtet auch Co-Anmelderin Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, die ihren Wahlkreis in Dortmund hat, bei. Seit Jahren komme es schließlich in der Stadt zu Anschlägen auf Wohnungen von Antifaschisten und Parteibüros. Unter anderem auf ihr eigenes, so die Linke-Politikerin, die harsche Kritik an Dortmunds Polizeipräsident Hans Schulze (SPD) übt. Dieser zeichne sich vor allem dadurch aus, daß er die rechtsextreme Gefahr kleinrede. »Daß die Polizei nun offensiv eine breite antifaschistische Bündnisdemonstration behindert, während sie die Neonazis jahrelang weitgehend ignoriert hat und damit gewähren ließ, setzt die Dortmunder Skandalserie eindrucksvoll fort«, so Jelpke.

Tatsächlich scheint es, als interessierten sich die Dortmunder Beamten nicht ernsthaft für die mittlerweile als Straßenterror zu bezeichnenden Aktionen der Rechtsextremen. Die Bilanz neofaschistischer Gewalt seit 2000 hingegen spricht Bände: Drei von einem Dortmunder Neonazi erschossene Polizeibeamte, ein von einem Rechtsextremen erstochener Punk, Dutzende Aufmärsche mit mehreren hundert Teilnehmern und nahezu unzählbare Anschläge auf vermeintliche linke Treffpunkte, Privathäuser und Parteibüros. Für bundesweites Aufsehen sorgte darüber hinaus der Angriff von etwa 400 Neofaschisten auf die Teilnehmer einer DGB-Demonstration am diesjährigen 1. Mai. Dabei gingen die teilweise vermummten Angreifer mit Steinen, Schlagwerkzeugen und Feuerwerkskörpern auf die Gewerkschafter los.

Kritik am Verhalten der Polizei kommt auch vom Bündnis Dortmund gegen Rechts und der »Aktion 65 plus«. Letztere wird von älteren Dortmunder Bürgern getragen, die den Faschismus noch als Kinder und Jugendliche erlebten. »Die da auf unseren Straßen ›Nie wieder Krieg‹ rufen, sind die Nachfolger derjenigen, die am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg entfesselten und die Welt in Brand steckten. Verbrechen ungeheuren Ausmaßes und über 50 Millionen Tote gehen auf ihr Konto«, heißt es in ihrem Aufruf.

Sollte es indes – wie sich abzeichnet – zu einem Verbot der »Dortmund stellt sich quer!«-Demonstration kommen, werde man umgehend vor dem Verwaltungsgericht dagegen klagen, sobald die Behörde das Verbotsschreiben zugestellt habe, kündigte die Abgeordnete Jelpke an.

»Faschismus und Krieg zwei Seiten einer Medaille«

Antifa- und Friedensbewegung mobilisieren gemeinsam gegen rechts. Gespräch mit Felix Oekentorp

Felix Oekentorp ist Sprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – ­Ver­einigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK NRW) und Sprecher des Ostermarsches Ruhr

Bereits zum fünften Mal wollen Neonazis in Dortmund anläßlich des Antikriegstages aufmarschieren. Wie geht die örtliche Friedensbewegung mit der neuerlichen Provokation am 5. September um?
Ich weiß von diversen Friedensbewegten, die sich an der Demonstra­tion des Bündnisses »Dortmund stellt sich quer!« beteiligen wollen. Die Naziprovokationen beschränken sich ja nicht nur auf den Antikriegstag, sondern fanden in der Vergangenheit auch am Rande des Ostermarsches in Dortmund-Dorstfeld und in diesem Jahr beim 1. Mai in bis dato nicht gekanntem Ausmaß statt. Die Friedensbewegung hat sich seit ihrem Bestehen gegen Neofaschismus engagiert und wird dies auch weiterhin im Bündnis mit allen tun, die sich dem Humanismus und dem Einsatz für den Frieden verpflichtet fühlen.

Während im letzten Jahr in Dortmund etwa 1500 Neofaschisten gegen »imperialistische Kriege« auf die Straße gingen, stagniert die Teilnehmerzahl beispielsweise bei den Ostermärschen seit Jahren. Hat sich die politische Linke das Thema Krieg und Frieden ebenso von den Rechtsextremen streitig machen lassen wie mancherorts die Thematisierung der sozialen Frage?
Linke Organisationen haben vielerorts die Frage von Krieg und Frieden recht sträflich vernachlässigt. Ich sehe aber aktuell immer mehr Initiativen, in denen vor allem junge Linke dies korrigieren. Die Organisatoren der Demonstration »Dortmund stellt sich quer!« thematisieren ja neben dem Antifaschismus auch die Kriegsfrage. Es ist vor allem anläßlich des Antikriegstages notwendig, der zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft und der kriegerischen Stimmungsmache seitens der etablierten Parteien unseren offensiven Protest entgegenzustellen. Auf die politische Glaubwürdigkeit der Neonazis in Sachen Friedenspolitik muß ich hier eigentlich nicht weiter eingehen. Nur soviel: Die Nazis huldigen faschistische Massenmörder, die Millionen Tote zu verantworten haben.

Sie werden auf der Demonstration des Bündnisses »Dortmund stellt sich quer!« sprechen, das sich im Gegensatz zu einem lokalen Zusammenschluß, der maßgeblich von sogenannten Antideutschen gesteuert wird, auch explizit gegen die aktuellen Kriege positioniert. Was sind Ihre Schwerpunkte?
Dieses Jahr jährt sich der Überfall Deutschlands auf Polen zum 70. Mal. Das war der Auftakt zum größten Verbrechen der Menschheit. Die Lehren der antifaschistischen Widerstandskämpfer dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Ich werde auch thematisieren, daß, wer heutzutage hinter Nationalfahnen welches Staates auch immer hermarschiert, einen Teil seines Verstandes abgibt und sich zum nützlichen Idioten irgendwelcher Herrschenden macht. Wer unkritisch einer Mobilmachung gegen welchen äußeren Feind auch immer nichts entgegensetzt, ist mitverantwortlich für die daraus entstehenden verbrecherischen Folgen.

Antifagruppen und Friedensbewegung neigen oftmals zu unterschiedlichen Aktionsformen. Kann es in Dortmund über den diesjährigen Antikriegstag hinaus trotzdem gelingen, die Zusammenarbeit zu intensivieren?
Das wäre ausgesprochen wünschenswert, denn inhaltlich sehe ich nichts Trennendes zwischen den genannten Gruppen. Vielleicht ist das unterschiedliche Altersspektrum ein Grund dafür, daß gemeinsame Aktivitäten bisher eher selten sind. Faschismus und Krieg sind zwei Seiten der gleichen Medaille, und so sind Antifa- und Friedensbewegung eben natürliche Verbündete. Und vor allem in Dortmund ist das einheitliche Vorgehen gegen die Neonazis schon aufgrund der massiven Gewaltausbrüche, die von dieser Szene ausgehen, mehr als geboten. Im übrigen gab es in dieser Stadt ja bereits vor einigen Jahren gemeinsame und auch erfolgreiche Blockaden von Naziaufmärschen, an denen Alt und Jung, Antifa- und Friedensbewegung gemeinsam teilgenommen haben. Darauf läßt sich aufbauen.

 

Und ein Leserbrief zu den Artikeln:

Einseitige Berichterstattung

Sehr geehrte Redaktion, Herr Bernhardt

Mit befremden nehme ich deutliche Lücken in ihrer Berichterstattung zu den Demonstrationen gegen den sog. "Nationalen Antikriegstag" wahr. DemonstrationEN - denn es gibt weit mehr Aktivitäten als die Demo des Bündnis Dortmund stellt sich quer am Samstag. Neben der Aktion 65+, die es ja noch in ihre Berichterstattung geschafft hat, gibt es ein Bündnis namens S5 (http://s5.noblogs.org), das sie, Herr Bernhardt, als "[einen] lokalen Zusammenschluß, der maßgeblich von sogenannten Antideutschen gesteuert wird", abtun.

Wie die Junge Welt zu dieser Einschätzung kommt ist mir schleierhaft. Was sie als Zeitung jedoch allemal leisten sollten, ist eine Umfassende Information ihrer Leserschaft. Und diese könnte es Interessieren, dass o.g. Bündnis am 4. und 5. September einiges auf die Beine stellt, und dafür auch schon seit einiger Zeit Bundesweit wirbt.

Ein im Bündnis organisierter Zusammenschluss aus Anarchosyndikalistischen und Antifa-Gruppen organisiert eine Vorabenddemo, die durchaus etwas zu den aktuellen Kriegen zu sagen hat, vielleicht interessiert es ihren Interviewpartner Felix Oekentorp ja.

Am Samstag wird es eine weitere Demonstration geben, die, anders als das Bündnis Dortmund stellt sich quer eine klare Position zum Thema nationale Symboliken vertritt. Auf dieser Demonstration wird auch die Band Deichkind auftreten, die bereits auf der Antifademo am 1. Mai letzten Jahres in Hamburg auftrat.

Das Antifa Medienzentrum, eine weitere Gruppe aus dem S5-Bündnis, wird das ganze Wochenende über ein Inforadio betreiben, das aktuelle Infos, Liveberichte und Hintergründe bietet.
Abgerundet wird das ganze von einem Infoticker für die Aktiven auf der Straße (vielleicht interessant für ihre Leser?), einem Convergence Center (evtl. brauchen auch Leser der Jungen Welt mal was zu essen?) und einer Schlafplatzvermittlung.

So viel Information erwarte ich von ihnen.

Quelle: Junge Welt vom 18.08.09

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