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Das Sozialticket bleibt zunächst, wie’s ist

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Wie sich die Dortmunder Erfahrungen von Köln und Berlin unterscheiden

Wie geht eigentlich sozial? Mit dem Sozialticket wollten die politischen Entscheidungsträger in Dortmund Maßstäbe setzen. Entgegen der Warnung der Dortmunder Stadtwerke (DSW 21) legten sie den Preis des Tickets, mit dem Dortmund-Pass-Inhaber freie Fahrt in ganz Dortmund genießen, auf 15 Euro pro Monat fest. Jetzt erlebten die Parlamentarier eine kalte Dusche. Die DSW 21 fahren wegen des Sozialtickets mit Vollgas in die roten Zahlen. Laut offizieller Stellungnahme summieren sich die Ausgleichszahlungen, die die Stadt an die Stadtwerke zu zahlen haben, bis zum Jahresende auf  mindestens 4,8 Millionen Euro“.

Kaum lagen die Zahlen auf dem Tisch, meldete sich SPD-Fraktionsvorsitzender Ernst Prüsse zu Wort: Es sei nicht verantwortlich,  das Sozialticket um jeden Preis aufrecht zu erhalten. Im Rahmen des Aktionsplans Soziale Stadt sollte daher auch über die Prioritäten und die Dringlichkeit von sozialen Leistungen nachgedacht werden.“ - Hoppala. Auch in Köln oder Berlin, wo es bereits seit Jahr und Tag soziale Tickets gibt, muss kräftig zugeschossen werden. Aber an eine Abschaffung der günstigen Mobilitätsmaßnahme hat dort noch niemand gedacht.

So schnell schießen die Preußen nicht“, schränkt der Dortmunder SPD-Fraktionsgeschäftsführer Dr. Andreas Paust ein. Wer ein Sozialticket abonniert habe, könne sich darauf verlassen, dass das Ticket weiter bestehe und der Preis nicht innerhalb der Laufzeit angehoben werde.

Doch von vorn: Bei dem Sozialticket handelt es sich um ein so genanntes  Ticket 1000“ der Preisstufe A im Abonnement. Regulär kostet es 45,77 Euro pro Monat. Um den Preis für das Sozialticket so gering wie möglich zu halten, gewährten die DSW 21 der Stadt den üblichen Großkundenrabatt. Man hoffte, zum ermäßigten Preis Neukunden für Bus und Bahn hinzuzugewinnen. Etwa zehn Prozent der gut 60.000 berechtigten Dortmunder Einwohner, so die Kalkulation, würden sich auf ein Sozialticket einlassen.

Von wegen zehn Prozent: Einen echten Bestseller hatten die Parlamentarier ins Leben gerufen hatten. Statt der prognostizierten 6000 Kunden sind mittlerweile knapp 21.000 Dortmunder Besitzer eines Sozialtickets. 5717 waren zuvor bereits Abonnenten zum regulären Preis und sind auf das günstigere Angebot umgestiegen. Die verbleibenden rund 14.000 Abonnenten sind natürlich auch zuvor schon vereinzelt mit Bus und Bahn unterwegs gewesen. Allerdings nicht mit einem Abo-Ticket.

Nach einer ersten Auswertung saß der Schreck bei den Verantwortlichen der DSW 21 natürlich tief. Allein die mehreren 1000 Abowechsler hätten zu empfindlichen Mindereinnahmen geführt, sagt Wolfgang Herbrand, Pressesprecher des Unternehmens. Jetzt fehlen aber auch monatlich die Summen in der Kasse, mit denen sozial Bedürftige zuvor ihre Einzel- oder Viererkarten bar bezahlt haben. Und dennoch kann sich Herbrand stellvertretend für die DSW 21 bequem zurücklehnen: Denn erstens  hatten wir zuvor schon angemerkt, das 15 Euro pro Ticket zu wenig sind“. Und zweitens: Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch - die städtischen Ausgleichszahlungen sind dem Unternehmen sicher.

Etwas geschickter hatte man sich in der Stadt Köln dem Unternehmen  Sozialticket“ genähert.  Es gab eine klare politische Willensentscheidung , vergünstigte Monatskarten für Köln-Pass-Inhaber einzuführen“, sagt Olaf Jürgens vom Amt für Soziales und Senioren in Köln. Die Umsetzung inklusive Preisgestaltung allerdings hatten die dortigen Parlamentarier komplett in die Hände der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) gelegt.  Das sind die Experten“, sagt Jürgens. Ein Ticket, das regulär 62,60 Euro pro Monat kosten würde, wurde für bedürftige Menschen auf 28 Euro ermäßigt. Etwa 15.000 Monatskarten und genauso viele ermäßigte Einzeltickets setzen die KVB monatlich um.  Im ersten Jahr“, erinnert sich Olaf Jürgens,  musste die Stadt etwa 4,8 Millionen Euro Erstattungszahlungen leisten.“ Doch jetzt, im nunmehr zweiten Jahr der sozialen Mobilität in Köln,  werden wir wohl nur 2,8 Millionen zahlen müssen und demnächst vielleicht noch weniger“, sagt Jürgens. Der Grund: Die Kölner Verkehrsbetriebe haben mit dem Verkehrsverbund Rhein-Sieg, zu dessen Tarifgebiet auch die Stadt Köln gehört, einen eigenen Sozialtarif ausgehandelt. Die Kölner Verkehrsbetriebe ziehen, so Olaf Jürgens, eine durchaus positive Bilanz:  Bessere Auslastung, viel weniger Schwarzfahrer.“

32,50 statt regulärer 70 Euro kostet ein Sozialticket in Berlin.  Seit 2005 haben wir einen Vertrag mit der Berliner Verkehrs-Gesellschaft und der S-Bahn“, sagt Karin Rietz, Pressereferentin des Berliner Senats für Integration, Arbeit und Soziales.  Durchschnittlich 136.000 Menschen nutzen das Sozialticket in Berlin.“ Bis zu neun Millionen Euro jährlich lässt sich das Land Berlin diese Maßnahme kosten.  Von nichts kommt nichts“, argumentiert Karin Rietz.  Mobilität ist sehr, sehr wichtig.“ Sie stärkt das Selbstbewusstsein und holt Menschen aus einer empfundenen Bittsteller-Rolle heraus. Sie hilft, mobil zu sein für einen möglichen neuen Job.

Wie wichtig Mobilität für Menschen mit wenig Geld ist, weiß auch Egon L. Gennat, Pressesprecher der Dortmunder Tafel.  Unsere Ausgabestellen für Lebensmittel liegen leider so, dass die meisten unserer Kunden eine Anfahrgelegenheit benötigen“, sagt Gennat. Seit es das Sozialticket gibt, beobachtet er, dass die Kunden regelmäßiger kommen können.  Die An- und Abfahrt von und zu der Tafel ist für Menschen, die ganz scharf mit jedem Cent kalkulieren müssen, ein nicht zu verachtender monatlicher Kostenfaktor“, sagt er. Ein Wegfall des Sozialtickets in Dortmund wäre  einschneidend“.

Von einem Rückzug aus dem Projekt Sozialticket möchte SPD-Fraktions-Geschäftsführer Dr. Andreas Paust jedoch nichts wissen.  Wir müssen jetzt erst einmal die von DSW 21 vorgelegten Zahlen ganz genau prüfen“, sagt er.  Wenn die Kosten tatsächlich völlig aus dem Ruder laufen“, sei eine Anpassung, sprich: Erhöhung des Ticketpreises, denkbar. Vor allem aber möchten er und sein Fraktionsvorsitzender Ernst Prüsse den VRR in die Pflicht nehmen. Gemeinsam mit Vertretern aus Mönchengladbach, Duisburg und anderen Städten des Verkehrsverbunds  möchten wir mit dem VRR in eine Diskussion über einen Sozialtarif treten“, so wie ihn die Stadt Köln beziehungsweise deren Verkehrsbetriebe vor geraumer Zeit mit dem dortigen Verkehrsverbund umgesetzt hat.  Der Druck ist auch in anderen Städten da“, weiß Paust.  Schließlich wollen wir einkommensschwache Personen nicht von der Mobilität abkoppeln.“ So könnte sozial gehen.

Quelle: Wochenkurier vom 15.07.08

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