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Bürgerforum zur Studie über Rechtsextremismus

Es sollte eine Diskussion über Rechtsextremismus in Dortmund werden. Und wurde eine schallende Ohrfeige für die Politik.

Prof. Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld stellte seine von der Stadt in Auftrag gegebene Studie über Rechtsextremismus in Dortmund am Donnerstagabend im Rathaus zur Diskussion. Und dabei kam Erschreckendes zu Tage. Denn, so der Grundtenor, die Menschen haben das Vertrauen in die Politik verloren. Zu diesem Ergebnis kommt das Wissenschaftler-Team nach Befragungen in den Stadtbezirken Innenstadt-West und Eving.

Rechte Szene als Rattenfänger

Dass den Menschen das Vertrauen fehle und die rechte Szene quasi als Rattenfänger die verlorenen Seelen lediglich einzufangen bräuchte, wollte Stadtdirektor Siegfried Pogadl nicht glauben. „Die Leute kritisieren, ja, aber wem sollen sie denn vertrauen, wenn nicht der politischen Elite?“.

Dortmund sei eine Hochburg der Rechten, eben weil Dortmund eine Stadt, eine Metropole ist, sagen die Wissenschaftler. Aber Dortmund sei auf einem guten Weg, denn hier würden die Gefahren nicht totgeschwiegen wie in anderen Städten, konstatierte Heitmeyer. „Aber es gibt keinen Königsweg und mit einmaligen Aktionen ist es nicht getan.“

Themen für Extremisten

Man müsse die Ängste der Bürger ernst nehmen, „bevor es die Rechten tun“, sagte der Leiter der Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, Hartmut Anders-Hoepgen. Schließlich gaben 38 Prozent der Befragten im Stadtbezirk Eving an, sich durch Muslime bedroht zu fühlen und 42 Prozent waren der Meinung, es gebe zu viele Ausländer.

Dass 76 Prozent der Evinger der Meinung sind, die berufliche Situation der Jugendlichen habe sich verschlechtert und jeder zweite Evinger als größtes Problem die mangelnde Unterstützung durch die Politik angeben, spiele den Extremisten in die Hände.

Jugendliche anerkennen

Denn genau da holt die rechte Szene vor allem Jugendliche ab. „In den politischen Eliten müssen mehr junge Menschen, mehr Bürger aus den betroffenen Stadtteilen und aus den unteren Bildungsschichten vertreten sein“, sagte Heitmeyer. Die Gesellschaft müsse mehr tun, um Jugendliche anzuerkennen.  

Quelle: RN vom 06.02.10


Politikverdruss treibt Bürger nach rechts

Zwei Monate nach einer ersten Veröffentlichung für Stadtverwaltung und Medien stellte der Soziologe Prof. Wilhelm Heitmeyer seine Studie „Analysen und Handlungsvorschläge zum Rechtsextremismus in Dortmund” in der Bürgerhalle des Rathauses der Öffentlichkeit vor.

Die Forscher hatten Experten und Opfer interviewt, mit Aussteigern aus der rechten Szene gesprochen und je 250 Bürger der Stadtbezirke Innenstadt-West und Eving befragt. Etwa 140 Menschen waren gekommen, um sich die Ergebnisse des 170-Seiten-Werks anzuhören, die das Ziel habe, umfangreiche Informationen für Handlungsstrategien bereit zu stellen, um das Problem zu bekämpfen.

Eine dieser Informationen ist zum Beispiel die am Abend seitens der Verfasser mehrfach betonte Tatsache, dass sich laut Umfrage 40 Prozent der Befragten der Innenstadt-West und über 50 Prozent in Eving von der lokalen Politik in Bezug auf ihre Probleme im Wohnumfeld im Stich gelassen fühlen. Eine mögliche Ursache dafür, dass rechtsextreme Parteien und Vereinigungen wie die Autonomen Nationalisten Zulauf bekommen.

Attraktiv für 18- bis 30-Jährige

Insbesondere auf Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren scheinen diese Zirkel eine Attraktiviät auszuüben. Dabei spiele es keine Rolle, aus welchem sozialen Milieu sie stammten. „Nun ist es an uns und den zuständigen Organisationen, Wege zu finden, wie wir an diese Jugendlichen herankommen können”, sagte Hartmut Anders-Höppgen, Sonderbeauftragter der Stadt für Vielfalt, Toleranz und Demokratie. Die überzeugten Neonazis könnten nicht das Ziel sein, sondern diejenigen, die dort auch durch Gewaltaktionen Anerkennung bekommen, die ihnen anderswo versagt bleibt.

Heitmeyer betonte dabei immer wieder, dass die Rechten nicht losgelöst von der Bevölkerung zu betrachten, sondern ein Teil von ihr seien. Wie zum Beweis dieser These waren etwa 30 Neonazis in der Bürgerhalle anwesend und versuchten, ihre Ansichten unters Volk zu bringen.

Quelle: WR vom 05.02.10


Mitten unter uns

Kommentar der WR

Man muss den etwa 30 Neonazis sogar dankbar sein, die sich am Donnerstagabend unter die vielleicht 140 Besucher in der Bürgerhalle des Rathauses gemischt hatten.

Sie lieferten den besten Beweis zu der Lehre, die Professor Wilhelm Heitmeyer aus seiner Studie zum Rechtsextremismus in dieser Stadt gezogen hat. Die Rechten sind kein isoliertes Phänomen. Sie sind mitten unter uns – und es gibt zu wenige, die etwas dagegen tun.

Und nicht jeder der Rechten ist fett und tumb, wie er gern in den Medien dargestellt wird. Da sitzen freundlich lächelnde Milchgesichter, die ihren Auftritt gut organisiert haben. Natürlich kann man ihre brav auswändig gelernten Redebeiträge als inhaltslose Parolen belächeln. Doch es gibt keinen Grund, sich darüber lustig zu machen, dass die Hauptdarsteller der Studie, die Autonomen Nationalisten, ein knappes Viertel der Besucher in der Bürgerhalle gestellt haben. Ein Thema, das jeden Dortmunder angehen sollte, hat am Donnerstagabend nur die üblichen Zwangsverpflichteten zusammenkommen lassen. Mitglieder aus Parteien, Gewerkschaften, Jugendorganisationen und linken Bündnissen, die quasi von Berufswegen in Dortmunds Zentrum der Demokratie sitzen. Zieht man sie und die gut 30 Neonazis ab, bleibt nur ein kümmerlicher Rest der Zivilgesellschaft, die hier die Gelegenheit gehabt hätte, Flagge zu zeigen.

Einen möglichen Grund dafür, dass sie es nicht getan hat, lieferte die Studie gleich mit. Weite Teile der Bevölkerung fühlen sich durch die lokale Politik nicht vertreten und sogar von ihr im Stich gelassen.

Einen besseren Aufruf zum Handeln an die Volksvertreter, Verwaltung und Kämpfer gegen Rechts um den Sonderbeauftragten Hartmut Anders-Höppgen kann es nicht geben. Doch anstatt diese Kritik einfach hinzunehmen, dröhnt Sozialdezernent Siegfried Pogadl die Analyse an die Wand und erzählt ernsthaft, dass es zur Politik der demokratischen Parteien keine Alternative gebe. Die miserable Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent bei der vergangenen Kommunalwahl, scheint der aktuelle Chef der Stadtverwaltung da verdrängt zu haben. In der ehemaligen Festung der Sozialdemokratie, dem Stadtbezirk Eving, halten über 21 Prozent der Befragten die NPD für eine normale Partei und 38 Prozent fühlen sich auf Grund zahlreicher Migranten in ihrem Viertel fremd im eigenen Land.

Diese und andere Ergebnisse der Studie sowie die dürftige Beteiligung der Dortmunder Zivilgesellschaft müssen nun Signal sein, sich den Warum-Fragen zu stellen. Warum sind die Neonazis für Jugendliche attraktiv? Warum erreichen die traditionellen Parteien immer weniger Bürger? Warum existiert auch bei sogenannten Demokraten ein latenter Rechtsextremismus? Sich damit auseinanderzusetzen, wird anstrengend sein und kann schmerzhafte Resultate zu Tage fördern. Aber es muss geschehen. Denn ein Verbotsantrag der rechten Parteien oder des Nazi-Marschs zum Antikriegstag, das musste jetzt der Jugendring bei einem Besuch des Verfassungsgerichts erfahren, hat keine Chance. Die Rechten haben dazugelernt, da sie sich mit der Gesellschaft und ihren Regeln auseinandersetzen. Das muss umgekehrt auch funktionieren.

Quelle: WR vom 05.02.10

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