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Update: Rechter Terror in Dorstfeld

Bedrohte Familie zieht aus Dortmund weg.

Anschlagsserie: Rechter Terror

Barbara E. ist eine mutige Frau. Eine Kämpferin für Toleranz und Vielfalt, Multikulti und Menschenrechte. Demokratin durch und durch. Aber gestern, als die 47-Jährige vor ihrem zertrümmerten Auto steht, da verlassen sie die Kräfte. „Ich kann nicht mehr”, sagt die Dorstfelderin.

Sie bricht zusammen, weint. „Bald haben die es geschafft...” Die – das sind Nazis. Rechtsradikale, bekannt bei der Polizei.

Wittener Straße 10, das alte evangelische Gemeindehaus. In der zweiten Etage wohnt Barbara E. mit Ehemann Joachim (43) und Sohn. Der 18-Jährige ist engagierter Antifaschist. Seit einem Jahr. „Wegen der ganzen Aufmärsche und Demos der Rechten. Die betrachten Dorstfeld ja als ihr Revier”, sagt Barbara E.. Und die friedensbewegte Familie wohl als Eindringlinge. Seit einem halben Jahr, seit die Dorstfelder beschlossen haben: „Wir zeigen Gesicht!” – seither machen die Nazis ihnen die Hölle heiß.

Nazi-Aufkleber über Friedenstaube

Am 28. April, es ist Barbara E.s Geburtstag, haften Nazi-Aufkleber am Haus. Als die Familie sie entfernt, schauen drei Neonazis von der anderen Straßenseite zu. Barbara E. ruft die Polizei. Als sie kommt, räumen die Nazis das Feld. Vorerst.

Ein paar Tage später ist die Friedenstaube auf dem Privat-Pkw mit einem Nazi-Motiv überklebt. Auch das wird abgeknibbelt, doch kurz darauf kommt es dicker. „Sie haben das ganze Auto besprüht, mit schwarzer Farbe”, sagt die Mutter. „Schon da haben wir uns bedroht gefühlt.” Es kommt schlimmer.

Pflasterstein durchschlägt Fenster

Am 28. August um 2.20 Uhr reißt ein Knall die Familie aus dem Schlaf. „Ein Anschlag!”, denkt jeder – und hat Recht: Ein Pflasterstein hat das Küchenfenster durchschlagen. Draußen quietschen Autoreifen. Die Täter entkommen im Dunkel der Nacht. Es ist die Nacht, in der Barbara E. spürt, dass es an ihre Substanz geht. Der Psychoterror reißt Wunden in die Seele.

Sie setzt „einen Hilferuf” ab, schreibt eine E-Mail an das Büro für Vielfalt und Toleranz. Kopien habe sie an Ullrich Sierau (SPD), Frank Hengstenberg (CDU) und Mario Krüger (Grüne) geschickt, sagt Barbara E.. Doch: „Nicht einer hat geantwortet.”

Im Stich gelassen

Gestern sind Front- und Heckscheibe des Familiengefährts eingeschlagen. Ein Stein liegt auf der Rückbank. Aufgebrochen ist das Auto nicht. Es fehlt auch nichts. Ein reiner Zerstörungsakt also. Das ist zuviel für die 47-Jährige. „Ich kann nicht mehr”, sagt Barbara E.. Sie fühlt sich alleine, im Stich gelassen – von Politik, Polizei, Gesellschaft. „Absolut hilflos.”

Drei Anzeigen hat sie erstattet. „Zwei Verfahren sind von der Staatsanwaltschaft eingestellt”, sagt Polizeisprecher Wolfgang Wieland. Und: Die Polizei stehe der Familie gerne mit Rat und Tat zur Seite. Barbara E. hat Zweifel. Aber nicht an ihrem Sohn. Der 18-jährige Antifaschist, das sei kein Straßenkämpfer. Keiner, der mit Steinen auf Nazis werfe. Polizeisprecher Wieland bestätigt das.

"Tut was, verdammt nochmal"

Barbara E.s Wunsch: „Dass die Bevölkerung endlich wach wird und, verdammt nochmal, was tut. Wenn wir alle Gesicht zeigen, sind wir stärker. Die können ja nicht überall die Fenster einschmeißen.”

Quelle: WR vom 07.10.09

 

Familie hat Angst vor Neonazi-Terror

Bei der Demo gegen Rechts am 5. September hat Dortmund ein klares Zeichen gesetzt. Doch diese Stadt hat trotzdem weiter seine „braunen Flecken“. Dorstfeld gehört dazu. Kaum einer weiß das besser als die Familie E.

Erst am Dienstagmorgen (6.10.) blickten sie auf einen Stein, der die Scheibe ihres Autos durchschlagen hatte. Nicht der erste Stein, der flog, nicht die erste, spürbare Bedrohung. Im April ging alles los, ein Trio aus Neonazis baute sich vor Barbara E. auf. „Ich hatte Angst, rief die Polizei.“ Die rückte 20 Minuten später an. E.: „Wegen Personenbelästigung.“ Warum ihre Familie? „Wir zeigen ein Gesicht gegen Rechts, reißen die Nazi-Aufkleber im Viertel ab.“

Ihr Sohn (18) ist aktiv bei der Antifa. Auf dem Familienauto klebt schon immer die Friedenstaube. Und immer wieder wird die und das ganze Auto schwarz übersprüht. E.: „Wir kennen die, die kennen uns.“

Mit Nerven am Ende

Ende August, nachts, flog der erste Stein. Durchs Küchenfenster im 2. Stock. Bis Montag (5.10.) war Ruhe. Barbara E. ist mit den Nerven am Ende: „Ich will hier weg ziehen. Ich kann nicht mehr. Ich habe Angst.“

Die Familie fühlt sich allein gelassen. Von der Politik und der Polizei, „weil doch alles nur unter Sachbeschädigung oder Belästigung läuft. Alles ohne Hintergrund. Und da sind wir bestimmt nicht die einzigen Opfer“.

Polizei ermittelt

In allen Fällen hat die Polizei ermittelt. „Es haben sich leider keine Hinweise auf die Täter ergeben“, so Sprecher Manfred Radecke. Er gibt den Tipp, „alles restlos anzuzeigen“. Um die Chancen auf Ermittlungserfolge zu erhöhen.

Quelle: RN vom 06.10.09

 

Anschlagsserie: Politiker reagieren auf Dortmunder Nazi-Terror

Seit Monaten wird die Dortmunderin Barbara E. von Nazis terrorisiert. Die Rechten haben E.s Auto zertrümmert - und die 47-Jährige an den Rand der Verzweiflung getrieben. Jetzt bekommt die Dorstfelder Familie endlich Beistand von der Stadtspitze.

Unser Bericht über rechtsradikale Anschlagsserie auf Barbara E. (47), Joachim S. (43) und den 18-jährigen Sohn hat die Spitzen der Dortmunder Politik alarmiert. Am Freitag, 9. Oktober, 14 Uhr, besuchen sie die Familie in deren Wohnung an der Wittener Straße.

Ullrich Sierau (SPD), Frank Hengstenberg (CDU), Mario Krüger (Grüne), Dr. Annette Littmann (FDP), Bezirksbürgermeister Hans-Ulrich Krüger und der Beauftragte für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, Hartmut Anders-Hoepgen, wollen ein Zeichen setzen. Sie geben eine Pressekonferenz in dem Haus, das zur Zielscheibe rechtsextremer Anschläge geworden ist.

Wie berichtet, wird die dreiköpfige Familie seit langem drangsaliert. Erst wurden Haus und Auto mit Nazi-Aufklebern und Sprühpistolen beschmiert. Dann durchschlug – mitten in der Nacht – ein Pflasterstein das Küchenfenster. Montagmorgen der vorläufige Höhepunkt des unsäglichen Treibens: Front- und Heckscheibe des Autos der Familie wurden zertrümmert.

Der Auftritt der Polit-Prominenz soll klarstellen, „dass die Stadtgesellschaft es nicht hinnimmt, wenn Menschen in Dortmund durch rechte Gewalt in Angst und Schrecken versetzt werden”, so Stadtsprecher Udo Bullerdieck.

Quelle: WR vom 08.10.09

Reaktionen auf die Neonazi-Attacken

Unsere Stadt ist bunt. So bunt, dass sich am 5. September Tausende gegen Rechts überall in der Stadt auf die Straße stellten. Doch die „braunen Flecken“ sind noch nicht weggewischt. Wie zwei mutmaßliche Attacken von Neonazis in dieser Woche zeigen.

Steinwürfe, Buttersäure, gesprühte Hakenkreuze, Einschüchterung – mit stets gleichen Zielen: Das Kulturcafé „Taranta Babu“ im Klinikviertel, seit Jahrzehnten im „rechten Fokus“, die Familie E. aus Dorstfeld. Die (friedlich) links engagierten Bürger fühlen sich im Stich gelassen, von Politik, Polizei und Gesellschaft. Die Reaktionen kamen dann postwendend: Die politischen Spitzen treffen sich am Freitag mit der betroffenen Familie. „Um Flagge zu zeigen. Den Menschen, die Zivilcourage zeigen, den Rücken zu stärken“, sagt Bald-OB Ullrich Sierau.

Reaktionen der Politik

CDU-Chef Frank Hengstenberg meint: „Wenn jemand persönlich angegriffen wird, ist der Lack ab. Es ist richtig, sich dagegen zu wehren. Rechtsfreie Räume dürfen nicht entstehen.“ Dr. Annette Littmann für die FDP/Bürgerliste: „Die Familie engagiert sich und wird jetzt bedroht. Das kann es nicht sein.“

Mario Krüger, Bündnis 90/Die Grünen, erklärt: „Die Ängste kann ich nachvollziehen. Da wird psychologischer Druck aufgebaut. Das geht zu weit.“ Einigkeit unter den Parteien: Solidarität demonstrieren. Und etwas unternehmen.

Hartmut Anders-Hoepgen, städtischer Beauftragter für Vielfalt, Toleranz und Demokratie und heute auch vor Ort: „Wir müssen solche Einschüchterungen und Angstmache unterbinden. Welche Mittel möglich sind, wollen wir mit der Polizei besprechen. So kann das nicht weitergehen.“ Die Polizei spricht allerdings von „subjektiven Angsträumen“.

Zahlen können die Entwicklung nicht belegen. „Es gibt keine Auffälligkeiten von Straftaten mit politischem Hintergrund in irgendeinem Stadtteil. Ich kann nicht bestätigen, dass irgendwo gezielt gegen Links engagierte Personen vorgegangen wird“, sagt Manfred Banning, Staatsschutz.

Betroffene Dorstfelder Familie sei nicht beispielhaft

Im „subjektiven Angstraum“ Dorstfeld könne er zwar nicht ausschließen, dass „normale“ Sachbeschädigungen und Belästigungen politisch motiviert sind, das würden die Ermittlungen aber nicht hergeben. Das Schicksal der betroffenen Dorstfelder Familie sei nicht beispielhaft. Auch hier konnte bislang kein rechtsextremer Hintergrund festgestellt werden.

Banning: „Wir brauchen in einem demokratischen Rechtsstaat Tatsachen.“ Gleichwohl nehme seine Behörde das Thema ernst. Gestern besuchten Kriminalpsychologen die Familie. „Der Bürger ist nicht allein. Aber wir sind auf seine Mithilfe angewiesen.“

Hilft mehr Polizei vor Ort? Banning: „Wir sind präsent. Aber das verhindert die Straftat nur für den Moment.“ Langfristig müsse man den Jugendlichen eine Perspektive bieten, damit sie nicht in die rechte Szene abrutschen. Banning: „Hier ist auch die Zivilgesellschaft gefragt.“

Quelle: RN vom 09.10.09

Experte zum Neonazi-Problem in Dortmund

Ralf-Erik Posselt von der Gewaltakademie in Schwerte kennt sich mit den Strukturen der Neonazis in Dortmund aus. Er arbeitet mit Polizei und Staatsschutz zusammen, berät Behörden und Ämter.

Hallo Herr Posselt, wie schätzen sie rechte Szene in Dortmund ein?
Posselt: Es ist die aktivste in ganz NRW. Politisch spielt Rechts zwar keine Rolle. Hier droht keine Gefahr.

Wo liegt das Problem?
Posselt: Die wirkliche Gefahr sind die freien Kameradschaften – eine kritische Masse, um ein Vielfaches höher als die politische Aktivität. Da werden Jugendliche, die ihren Rückhalt in der Familie, in Schule und Ausbildung verloren haben, mit Kameradschaft, Treue und Geborgenheit geködert. Allerdings werden dann auch Gewaltbereitschaft und Rassismus vermittelt.

Wieviele gewaltbereite Rechte zählen Sie in Dortmund?
Posselt: 250 „harte“ Leute, die Gewalt und Rassismus als belebend für sich finden und auch nach Orten suchen, wo sie das ausleben können. Das ist dann natürlich nicht immer Dortmund.

Was kann der demokratische Bürger tun?
Posselt: Vorweg: Der zivilgesellschaftliche Widerstand in Dortmund hat sich stabilisiert. Auch die Polizei ist gut aufgestellt. Bestes Beispiel war das breite, bunte Auftreten am 5. September. Gemeinsam muss man aktiv werden, in Vereinen, mit Freunden, in der Kirche. Wenn der Neonazi etwas nicht mag, dann ist es, einer Gruppe gegenüberzustehen. Der sucht sich lieber ein wehrloses Opfer aus.

Quelle: RN vom 09.10.09

Kirchen rufen zur Mahnwache für Dortmunder Familie

Aus Solidarität mit der von Nazis bedrohten Dortmunder Familie rufen die Evangelische Kirche und der Kirchenkreis Dortmund-West zu einer Mahnwache auf. Die Veranstaltung gegen Rechtsextremismus soll um 13 Uhr vor dem Haus der Familie beginnen.

Die von Neonazis terrorisierte Dorstfelder Familie erfährt immer breitere Solidarität. Die Evangelische Kirche in Dortmund und der Kirchenkreis Dortmund-West rufen am Freitag zu einer Mahnwache gegen den Rechtsextremismus auf. Sie beginnt um 13 Uhr unmittelbar vor dem ehemaligen ev. Gemeindehaus an der Wittener Straße 10, in dem die dreiköpfige Familie wohnt.

Wie berichtet, kommen Barbara E. (47), Joachim S. (43) und der 18-jährige Sohn seit einem halben Jahr nicht mehr zur Ruhe. Wegen ihrer antifaschistischen Einstellung sind sie ins rechtsextreme Visier geraten. Eine Serie von Anschlägen auf das Hab und Gut der Familie gipfelte am Montag in der Zerstörung ihres Autos.

Gesicht zeigen gegen Rechts

„Gesicht zeigen gegen Rechts” – diese Lebenseinstellung der drei Dorstfelder ist auch das Motto der heutigen Mahnwache. „Wir wollen allen Bürgern die Möglichkeit zur Solidarisierung mit diesen aufrechten Menschen geben”, sagt Pfarrer Friedrich Stiller von den Vereinigten Kirchenkreisen Dortmund und Lünen. Die Mahnwache beginnt eine Stunde vor Eintreffen der politischen Stadtspitzen, die am Freitag, 9. Oktober, um 14 Uhr im Domizil der Familie eine Pressekonferenz geben – als demonstratives Zeichen der Geschlossenheit.

„Dass die Politiker gemeinsam dort hingehen, begrüßen wir”, sagt Pfarrer Stiller. „Gerade in der aktuell eher angespannten Lage im Rathaus ist es das Zeichen der demokratischen Einigkeit, das wir uns immer gewünscht haben.”

Quelle: WR vom 09.10.09

 

Mahnwache und Spitzenpolitiker in Dorstfeld

Die Dorstfelder Familie E. engagiert sich seit Jahren gegen Neo-Nazis. Und ist deshalb seit einigen Monaten das Ziel von Attacken aus dem rechten Lager.

Deshalb wollten Dortmunds demokratische Spitzenpolitiker am Freitag beispielhaft dieser betroffenen Familie in Dorstfeld den Rücken gegen Rechts stärken. Tenor: „Einschüchterung und Bedrohung im Alltag? So darf es nicht weitergehen.“ Während die politische Allianz im ev. Gemeindehaus – Familie E. ist Untermieter – an der Wittener Straße vor der Presse ihre Solidarität bekundete, zeigten knapp 50 Menschen bei einer Mahnwache – organisiert von der ev. Kirche – ihr Gesicht gegen Rechts.

Drei Neonazis erhielten Platzverweise

Da war das Polizei-Aufgebot schon größer, um mögliche Gegenaktionen der Neonazis im Keim zu ersticken. Die gab es auch, im kleinen Stil: Drei Neonazis erhielten Platzverweise, als sie Flugblätter verteilen wollten.

Deutlich die politische Meinung zur Situation in Dorstfeld. Uneinigkeit bei möglichen Wegen aus der Krise: Ordnungsdienst, 24-Stunden-Überwachung der bekannten Neonazis, deren Mietverträge kündigen, mehr Polizei. Eine Lösung fand sich gestern nicht, die Politik vertagte die Entscheidungen. Barbara E. danach: „So hilft uns das nicht weiter.“

Quelle: RN vom 09.10.09

Solidarität gegen Neonazis

„Dortmund – bunt statt braun.” Vor dem Haus von Familie E. hat sich eine Mahnwache aufgestellt. Kamerateams halten fest, was alle wissen sollen: In Dorstfeld regt sich Widerstand gegen Rechtsextremismus.

Interview mit Pfarrer Thomas Weckener, Elias-Gemeinde in Dortmund-Dorstfeld.

Widerstand, den Barbara E. schon lange ausübt. Sie ist bekannt dafür, dass sie die Aufkleber der Neonazis entfernt, wo sie sie sieht – in Dorstfeld gibt es viele davon. Dass sie ihre Meinung sagt. Dass ihr Sohn sich in der Antifa engagiert. Kein Steinewerfer, aber einer, der sich einsetzt.

Die Neonazis wissen das auch. Seit einem halben Jahr sieht sich die Familie bedroht. Vier Strafanzeigen hat Barbara E. seit Mai bei der Polizei gestellt. Ihr Auto wurde beschmiert, ein Fenster eingeworfen, die Familie bedroht, Anfang der Woche wurde die Heckscheibe des Familien-PKW eingeschlagen.

Familie wandte sich an die Öffentlichkeit

Terror, den die Familie nicht mehr aushält. Deshalb wandte sich E. an die Öffentlichkeit. Nun reagiert auch die Politik. Gemeinsam luden die Ratsparteien zur Pressekonferenz ins ehemalige evangelische Gemeindehaus Wittener Straße ein, dem Wohnhaus der Familie.

„Ich finde es erfreulich, dass es Menschen in Dortmund gibt, die sich mit Zivilcourage den Neonazis in den Weg stellen”, sagt der designierte OB Ullrich Sierau. Es sei ein großes Problem, dass sich die Neonazis scheinbar schleichend in den Alltag mancher Stadtteile integrierten. Man müsse zeigen, „dass Dortmund eine Stadt ist, die sich sowas nicht gefallen lässt”.

Da sind sich die Vertreter der SPD, CDU, Grünen, FDP/Bürgerschaft und der Linken einig. „Was muss denn noch alles passieren”, fragt Bezirksbürgermeister Hans-Ulrich Krüger. Er fordert die Polizei auf, mehr Präsenz zu zeigen.

Auch Hartmut Anders-Hoepgen, städtischer Beauftragter für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, fordert die Justiz. Der Streit um den Naziaufmarsch am 5. September habe gezeigt, dass in dieser Hinsicht viel zu tun sei: „Von der Polizei erwarte ich endlich einmal positive Ergebnisse”.

Nazis verteilen Flugblätter

Wenige Meter von der Mahnwache entfernt verteilen die Rechten Flugblätter. In der Thusneldastraße haben sie ein Plakat aufgehängt. Es zeigt Barbara E. und Sohn: „Vorsicht: Kriminelle Linksextreme in Dorstfeld”.

„Wir wissen natürlich, dass hier zwei Lager aufeinander prallen könnten”, sagt Polizeisprecher Wolfgang Wieland. Von einem Problemstadtteil könne allerdings nicht die Rede sein. Man habe überprüft, ob es dort besondere Probleme mit rechter Gewalt gebe – und sei zu keinem Ergebnis gekommen. Auch nicht, was die E.s betreffe: „Wir wissen nicht, wer es war”, sagt Wieland.

Sie habe intensiv mit der Polizei beratschlagt, was zu tun sei, sagt Barbara E.. Durch die Blume habe man ihr empfohlen, fort zu ziehen – gegen den rechten Druck könne man kaum etwas ausrichten. Und das ziehe sie jetzt auch in Betracht. Eines hat Barbara E. aber mit Sicherheit erreicht: Niemand in Dortmund kann mehr behaupten, von nichts gewusst zu haben. „Sie wissen jetzt alle, was hier passiert. Sie sind jetzt alle verantwortlich”, mahnt sie.

Quelle: Der Westen vom 09.10.09

 

Familie flieht vor Nazi-Terror und sucht eine neue Bleibe

Gespenstisch: Polizisten schützen eine kirchliche Mahnwache vor einer Gruppe von Neonazis. Fernsehteams laufen umher, Radio- und Zeitungsleute. Bürger stehen schweigend herum. Als wäre wer gestorben. Dabei wohnt hier nur eine Frau, die sich mit Mut gegen Nazis stemmt. Doch wie lange noch?

Aus der Wohnung im zweiten Stock schaut ein blasses Frauengesicht auf die Straße. Barbara E. weiß: Wegen ihr sind alle hier. Weil sie sich getraut hat, Gesicht zu zeigen gegen Rechtsradikale, wird sie mit Terror bestraft. Und irgendwas in ihr ist wirklich gestorben.

Systematisch drangsaliert

Seit Dienstag weiß die Stadt, was diese Dorstfelder Familie im letzten halben Jahr erlebt hat. Barbara E. (47), Joachim S. (43) und Sohn (18) sind von Rechtsextremen systematisch drangsaliert worden – weil sie Antifaschisten sind, und diese Einstellung auch leben. Sie haben Nazi-Aufkleber entfernt und Radikale zur Rede gestellt. Die Quittung: Drohungen und Angriffe. Immer häufiger, immer schlimmer. Erst wurden Haus und Auto beschmiert. Dann durchschlug – nachts um 2 – ein Pflasterstein das Küchenfenster. Als die Scheiben ihres Autos zertrümmert wurden, ging Barbara E. an die Öffentlichkeit.

„Erfreulich, dass es Menschen gibt, die sich Nazis entgegenstellen”, sagt Ullrich Sierau. Die Pressekonferenz mit einem Medienaufgebot, wie es Dorstfeld noch nicht gesehen hat, ist eröffnet. SPD, CDU, Grüne, FDP, Linke – alle haben jemanden geschickt.

Runder Tisch „sehr naiv”

Alle sagen: So etwas darf nicht passieren. Ist es aber. Und niemand der Anwesenden hat es verhindert. Obwohl zwei wussten, wie es um die Familie steht. Denn Bezirksbürgermeister Hans-Ulrich Krüger (SPD) und Bernd F. Tücking (CDU) sitzen am „Runden Tisch für Toleranz, Vielfalt und Demokratie”, an den sich Barbara E. hilfesuchend gewendet hat.

Sie hat von dem unsäglichen Treiben erzählt, von den Anschlägen auf ihr Hab und Gut. Von einem leerstehenden Haus in Dorstfeld, das seit Monaten mit Hakenkreuzen beschmiert ist. „Geben Sie mir Eimer und Farbe und ich mach es weg”, hat sie angeboten. Der Runde Tisch hat nicht reagiert. „Sehr naiv” sei dieses Gremium gegenüber den Rechten.

Als Tücking vor laufenden Kameras nach einer Stadtpolizei ruft, als Krüger zum „Brandmarken und Ausgrenzen der Rechten” bläst, da fühlt sich Barbara E. ausgegrenzt. Sie schweigt. Eine andere Stimme spricht für sie. „Dass diese Frau auch noch eine solche Heuchelei über sich ergehen lassen muss”, empört sich eine Dorstfelderin. Barbara E. ist inzwischen gebrandmarkt. Ihr Foto und das ihres Sohnes hängen seit vorgestern an jeder zweiten Ecke in Dorstfeld. Ein Hass-Flugblatt, das zur Menschenhatz animiert. Wie bei einer Kopfgeldjagd.

Als die 47-Jährige davon erfahren hat, ist sie zusammengebrochen. Seither weiß die ganze Familie: „Wir sind hier nicht mehr sicher. Wir müssen weg.” Die Polizei hat das bestätigt. Drei Herren vom Staatsschutz haben gesagt: „Es gibt keinen Schutz.”

Sierau merkt: „Wir haben nicht auf alles die richtige Antwort". Womöglich müsse der Städtetag ran an das Thema. Barbara E. lebt dann vielleicht schon in einer anderen Stadt. „Das alles kommt viel zu spät.”

Quelle: WR vom 10.10.09

Polizei kann von Nazis bedrohter Familie nicht helfen

Für Barbara Engelhardt waren es schlimme Monate. Seit einem halben Jahr werden die Dortmunderin und ihre Familie von den Neonazis aus dem Viertel unter Druck gesetzt. Nun überlegt sie, aus dem Stadtteil fortzuziehen. Was bleibt, ist Hilflosigkeit - auch auf Seiten der Polizei.

In einer großen Pressekonferenz erklärten die Ratsparteien ihre Solidarität mit der Dortmunder Familie Engelhardt, die für ihr Engagement für Demokratie und Freiheit bekannt ist.

Gezielte Einschüchterung und Angstmache – die Taktik der Rechtsradikalen scheint aufzugehen. Barbara Engelhardt und ihre Familie überlegen, Dorstfeld zu verlassen – dazu hätten in Gesprächen auch Polizei und Staatsschutz geraten. „Es gibt keinen Schutz” habe es geheißen.
Alle sind hilflos

„Wir sind alle ein bisschen hilflos – auch die Polizei”, sagt Hartmut Anders-Hoepgen, der städtische Beauftragte für Toleranz, Vielfalt und Demokratie. Der gezielten Einschüchterung und Angstmache der Neonazis etwas entgegen zu setzen, sei schwer. Wichtig sei es in jedem Fall, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung zu wecken. Viel Hoffnung setze er in die Studie der Uni Bielefeld, die im Spätherbst erscheinen soll. Darin wird die rechte Szene in Dortmund untersucht.

Neben der Studie setzt Andres-Hoepgen vor allem auf friedlichen Widerstand, wie im September, als die Stadt feiernd auf den Neonazi-Aufmarsch reagierte. „Das fand ich einen richtigen Erfolg.” Auch die Zusammenarbeit mit der Polizei sei fruchtbar. „Ich habe den Eindruck, dass die sehr besonnen arbeiten.” Allerdings: „Die Polizei neigt dazu, das aus einem Straftatbestands-Blickwinkel zu sehen”, sagt er. Mobbing-Opfern rät er deshalb, sich frühzeitig an verschiedene Stellen zu wenden, zum Beispiel die Netzwerke gegen Rechts.

Ein solides Nachbarschafts-Netzwerk

Der beste Schutz, sagt auch Polizeisprecher Kim Ben Freigang, sei ein solides Nachbarschafts-Netzwerk, in dem alle füreinander die Augen offen halten. Die Polizei zeige zwar durchaus verstärkt Präsenz im Stadtteil, besonders bei Anlässen wie der Mahnwache am Freitag. Aber: „Fakt ist, dass wir erst reagieren können, wenn eine Straftat vorliegt.” Wenn es Tatverdächtige gebe, könne die Polizei gezielt vorgehen. „So etwas muss auch vor Gericht Bestand haben”, sagt Freigang.

Problematisch im Fall der Familie Engelhardt sei, dass konkrete Hinweise zu den Tätern fehlten. Natürlich gebe es in der Szene die sogenannten „alten Bekannten”. Ohne Beweise könne man aber auch gegen die nichts unternehmen. Der Polizeisprecher rät: „Sobald man jemanden identifiziert hat, immer uns ansprechen”. Auch ansonsten gelte: Wer sich bedroht fühlt, solle die Polizei ansprechen. Immer wieder. „Es ist wichtig, dass wir von solchen Dingen erfahren.”

Härter gegen Nazis durchgreifen

Das rechte Treiben in seinem Stadtteil ist Bezirksbürgermeister Hans-Ulrich Krüger (SPD) ein Dorn im Auge. Nicht nur die Polizei müsse härter gegen die Neonazis durchgreifen. „So lange wie die Wohnungsgesellschaften und Vermieter sich nur den Ausweis und vielleicht noch eine Verdienstbescheinigung zeigen lassen”, könne man der Ansiedlung weiterer Extremisten kaum entgegen wirken.

Der Fall der Familie Engelhardt hat massives Medieninteresse geweckt. Krüger findet das einerseits gut, denn so werde die Diskussion wieder angefeuert. Der Runde Tisch für Toleranz, Vielfalt und Demokratie werde mit Sicherheit großen Zulauf erfahren. Allerdings werde durch die Berichterstattung auch die Angst der Menschen geschürt.

Quelle: WAZ vom 13.10.09

 

Solidarität mit den Angegriffenen – die Angreifer stoppen!

Dem Taranta Babu im Klinikviertel und der Familie Engelhardt in Dorstfeld gehört jede Solidarität. Die Angriffe auf sie haben Menschen getroffen, die zu leben versuchen, was Politik und Medien, Kanzel und Podium, Gericht und Polizei ständig fordern: Gesicht zeigen, Zivilcourage haben, der Unkultur widerstehen.

Die neuen Nazis verfolgen, wie es die alten taten, antifaschistisch engagierte Menschen in der Absicht, ihnen den Schneid abzukaufen, sie zu verängstigen und sie letztlich zu vertreiben. Die "national befreite Zone" entsteht im alltäglichen Terror der Verfassungsfeinde. Gewalt gegen Sachen und gegen Personen gehören zu ihrer menschenverachtenden Taktik, ihre Strategie zielt auf eine andere Verfassung.

Die Parteien "in der Mitte der Gesellschaft" reagieren mit Symbolpolitik. Die Hilferufe der Familie in Dorstfeld waren lange nicht beachtet, nicht ernst genommen, nicht beantwortet worden. Das Taranta Babu ist zum siebentenmal angegriffen worden. Die zu verantworten haben, dass dies so geschehen konnte, veranstalten nun gemeinsam eine Pressekonferenz vor Ort - nichts könnte ihre Unfähigkeit besser verdeutlichen, den Nazis entgegenzutreten und sie zu stoppen. Das Verharmlosen beenden! Das "Linke Bündnis Dortmund – Parteilose Linke, DKP und SDAJ" fordert weiterhin das Verbot aller faschistischen Nachfolgeorganisationen und erneuert seinen Vorschlag, dem Kampf gegen alte und neue Nazis erste Priorität zu geben. Dies muss zur Richtschnur für alle Sozial- und Bildungspolitik werden und Kriterium für alle Sicherheitspolitik sein. Dorstfeld, das Klinikviertel und alle Stadtteile vor den Angriffen der Neonazis schützen!

Quelle: Linkes Bündnis Dortmund – Parteilose Linke, DKP und SDAJ, Pressemitteilung vom 14.10.09

 

Das Dortmunder Naziproblem

In Dorstfeld gibt es eine Familie die aktiv gegen Neonazis vorgeht und auch öffentlich Stellung bezieht. Deshalb wird die Familie seit einem halben Jahr terrorisiert. Zunächst hatte die Familie versucht bei Dortmunder Politikern und dem Büro für Vielfalt und Toleranz Hilfe zu bekommen - die Resonanz war gleich Null, auf ihre E-Mails haben sie noch nicht einmal eine Antwort bekommen.

Anfang Oktober informierte die Familie die Presse über die Vorkommnisse. Jetzt waren sie natürlich alle da. Jede Partei hat einen Vertreter zu einem Pressetermin in der Wohnung der Familie geschickt. Immerhin ein Zeichen, aber eine Lösung des Problems ist das nicht. Kirchenvertreter hatten zeitgleich eine Mahnwache vor dem Haus organisiert.

Wie sicher sich die Neonazis in Dortmund fühlen zeigt deren Reaktion. Wenige Meter von der Mahnwache entfernt verteilen die Rechten Flugblätter. In Dorstfeld haben sie an jeder 2. Ecke Plakate aufgehängt. Es zeigt Mutter und Sohn und die Überschrift: „Vorsicht: Kriminelle Linksextreme in Dorstfeld”. Ein Hass-Flugblatt, das zur Menschenhatz animiert. Wie bei einer Kopfgeldjagd. Und es hat natürlich niemand gesehen wer diese Plakate aufgehangen hat.

Die Polizei kann - nach eigener Aussage - nichts machen. Der Polizeisprecher bestreitet, dass Dorstfeld ein Problem mit rechter Gewalt hat - und es ist ja auch gar nicht bewiesen dass das Rechte waren. Und in einem Rechtsstaat braucht es eben Tatsachen bevor die Polizei etwas machen kann. So der Dortmunder Polizeisprecher. Auch der Staatsschutz kann nicht bestätigen, dass in Dortmund gezielt gegen Linke vorgegangen wird.

Ob denen die fast schon regelmäßigen Anschläge auf das Taranta Babu entgangen sind? Oder die Probleme am Hippi-Haus oder der HirschQ? Das Taranta Babu wurde am 5. Oktober jedenfalls schon das 2. Mal in diesem Jahr Opfer eines Buttersäureanschlags. Aber der Staatsschutz weiß nichts von gezieltem vorgehen gegen Linke!

Staatsschutz und Polizei sind jedenfalls nicht bereit der Familie zu helfen. Beide empfahlen der Familie wegzuziehen, gegen den Druck der Rechten könne man nichts machen. Es ist unglaublich! Um Naziaufmärsche zu ermöglichen, werden regelmäßig mehrere Tausend Polizisten aus dem ganzen Land aufgeboten - aber für den Personenschutz für eine antifaschistisch aktive Familie ist kein Personal da.

Rechtsextreme und deren Einstellungen haben sich in unserer Stadt wohl nicht nur in Dorstfeld breit gemacht. Sie scheinen auch in zentralen Positionen zu sitzen. Und damit meinen wir nicht nur Polizei und Staatsschutz.

Die Politiker und das städtische Büro für Vielfalt und Toleranz reagierten erst, als die Presse berichtete - auf die Mails der bedrohten Bürger reagierten sie nicht. Immerhin die Presse hat berichtet - aber die Berichterstattung ließ zu wünschen übrig. Warum wurde nicht mal bei den Politikern oder Toleranzministerium kritisch nachgefragt, weshalb die auf die Mails der Familie nicht reagierten?

Und weshalb wurde in der Berichterstattung mehrfach darauf hingewiesen, dass die Familie friedlich gegen Nazis aktiv ist und keine Steine wirft? Halten dortmunder Journalisten Antifaschisten grundsätzlich erst mal für gewaltbereite Steinewerfer?

Und muss hinter die Schlagzeile 'Kulturcafé „Taranta Babu“ im Visier von Rechtsradikalen?' wirklich noch ein Fragezeichen gesetzt werden?

Und zum Schluss: Was ist eigentlich mit dem Naziangriff auf die DGB-Demo am 1. Mai geworden? Gegen über 400 Personen hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen. Nur ein Verfahren wurde mittlerweile eröffnet. 

14.10.09, Webredaktion des Sozialforum Dortmund

Dortmunder Familie flieht vor Nazi-Terror

Monatelang wurde eine Familie in Dortmund von Nazis terrorisiert. Jetzt haben sie kapituliert und die Stadt verlassen - bei Nacht und Nebel, wie Kriminelle. Dabei sind sie Opfer. Ein Protokoll.

Flucht aus Dortmund: Barbara E. (47), ihr Lebensgefährte Joachim S. (43) und Sohn (18) haben die Stadt verlassen. Sie wollten nicht, sie mussten. Weil sie nicht mehr sicher in ihrer Heimat leben konnten, haben sie das Feld geräumt, bei Nacht und Nebel, wie Kriminelle.

Dabei sind sie Opfer. Neonazis haben die Familie systematisch fertiggemacht. Niemand half. Ein Jahr Psychoterror – ein Protokoll.

Der Stadtteil Dorstfeld. Viele Rechtsradikale wohnen hier. Und es werden immer mehr. Wer hinschaut, merkt das. Die Familie E.-S. schaut nicht nur hin. Sie ist friedensbewegt – und reagiert: entfernt Nazi-Plakate, meldet „Juden raus”-Parolen und Hakenkreuze auf Gebäuden, stellt Rechtsradikale zur Rede. Das schmeckt denen nicht. Die Familie bekommt es zu spüren. Erst prangen Nazi-Aufkleber an dem evangelischen Gemeindehaus, in dem sie wohnt. Dann ist die Friedenstaube auf dem Privat-Pkw mit Hakenkreuzen überklebt. Bald darauf wird das ganze Auto mit schwarzer Farbe besprüht.

»Wohnung zu mieten – in Rostock oder Hoyerswerda«

Eines Nachts, um 2.20 Uhr, reißt ein Knall die Familie aus dem Schlaf. Ein Pflasterstein hat das Küchenfenster durchschlagen. Draußen quietschen Autoreifen. Die Täter entkommen. In dieser Nacht fühlen die Dortmunder, dass es an ihre Substanz geht. Sie bitten um Hilfe, informieren den „Runden Tisch”, der dazu da ist, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu unterbinden. Sie wenden sich an die Stadtspitze, an Politiker, an die Polizei, an die Kirche. Keiner reagiert.

Der Terror nimmt zu. Das Auto der Familie wird zertrümmert. „Sachbeschädigung”, notiert die Polizei. Barbara E. hat genug. Sie geht an die Öffentlichkeit, schildert den Medien das unsägliche Treiben, die Anschläge auf ihr Hab und Gut.

Plötzlich sind sie alle da: Kirche, Politik, Polizei, Staatsschutz, Oberbürgermeister, Runder Tisch – alle erschrocken, alle bestürzt, alles im Blitzlichtgewitter einer Pressekonferenz, wie sie Dortmund selten erlebt hat. Inmitten der Medienschar sitzt Barbara E. und fühlt sich wie im falschen Film. „Dieser Betroffenheitsbrei, da wird einem schlecht.” Erst komplett alleingelassen, sieht sie sich jetzt ausgestellt im Schaufenster der Empörung – „einfach beschämend”.

Nazi-Plakate hängen an jeder zweiten Ecke im Stadtteil. Sie zeigen ihr Foto und das ihres Sohnes. Hass-Flugblätter, die zur Menschenhatz animieren, wie bei einer Kopfgeldjagd. Von einem Kommissar des Staatsschutzes hört E.: „Es gibt keinen Schutz.” Da steht für die Familie fest: „Wir müssen hier weg.” Zynische Wohnungsofferten kommen per E-Mail: „4-Zimmer-Wohnungen zu mieten, wahlweise in Hoyerswerda oder Rostock-Lichtenhagen”, Nummer der Internetanzeige anbei – „Mit freundlichen Grüßen, Nationale Sozialisten aus der Umgebung.”

Das WDR-Magazin „Cosmo TV” und der ARD-„Monitor” berichten über das Schicksal der Familie. Zu spät. Der Wegzug ist unumgänglich. Es ist eine Flucht, in aller Herrgottsfrühe. Im Schutz der Dunkelheit, gesichert durch einen privaten Security-Dienst, räumen die Dortmunder ihre Wohnung. „Die Rechten feiern das als Erfolg”, ahnt Joachim S. „Aber wir wollen nicht die Märtyrer einer Gesellschaft sein, die das Geschehene billigt.”

Jetzt wird Protest laut. „Skandalös” nennt Oliver Wilkes vom Bündnis Dortmund gegen Rechts das Abtauchen aller offiziellen Stellen. „Mein Vertrauen in den Rechtsstaat und die Verfassungsorgane ist komplett verloren gegangen”, sagt er. Das Bündnis gegen Rechts im Kreis Unna kritisiert den Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau und Polizeipräsident Hans Schulze. Die Kernfrage: Warum gucken alle weg, statt zu helfen und zu schützen?

»Geholfen haben uns nur Freunde und die Familie«

„Polizeilicher Schutz kann sich nur in ganz seltenen Fällen so gestalten, dass eine Person oder ein Objekt rund um die Uhr bewacht wird. Dazu bedarf es einer konkreten Gefährdung für Leib oder Leben oder für ganz bedeutende Sachwerte”, sagt der Dortmunder Polizeisprecher Manfred Radecke.

Barbara E. hat fünf Kilo abgenommen. Ihr Zustand: „zutiefst erschüttert, traumatisiert”. Ohne externe Hilfe wird sie ihre Ängste kaum bewältigen können. Sie schüttelt den Kopf. „Gesicht zeigen, fordert die Gesellschaft – und dann ist man allein. Geholfen haben uns nur Freunde und die Familie. Jetzt beginnt ein neues Leben. Gewollt haben wir das nicht.”

Quelle: WR vom 02.12.09

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