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Sozialabbau in Dortmund

Referat zur Gründungskonferenz des Sozialforums Dortmund am 09.10.2003, von Wolf Stammnitz

Verehrte Gäste, liebe Freunde,

Bundeskanzler Schröder könnte seine Angriffe auf unser Sozialsystem heute nicht durchziehen, wenn nicht jahrzehntelang mit hohem Aufwand an Geld und Medienmacht das geistig-moralische Klima bearbeitet worden wäre. Daß dieser Politikertypus, den Schröder, Eichel und Clement verkörpern, der neoliberalen Ideologie viel mehr verpflichtet ist als sozialdemokratischen Grundwerten und sich darin mit CDU/CSU und FDP einig ist, führen uns über Parteigrenzen hinweg jetzt gerade die Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück vor.

Aber was sich auf Bundesebene noch als Experiment ankündigt, haben wir in Dortmund schon seit 1999 als vollendete Tatsache. Keine 100 Tage amtierte hier der Sozialdemokrat Dr. Langemeyer als neuer OB, da übergab er die Stadtentwicklung an eine der weltweit größten, den Global Players verschworenen Unternehmensberatungen, sozusagen den natürlichen Widersachern jedes sozial verfassten Gemeinwesens, die naturgemäß nur ein Ziel haben konnten: das Gemeinwesen in einzelne „Akteure“ zu zerlegen und nach ihrem einzigen Wertmaßstab, der Wirtschaftlichkeit, neu zu gruppieren. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Wie gesagt nicht nach Parteien, sondern rein nach ökonomischer Verwertbarkeit.

Auf der 3. Dortmunder Armutskonferenz bekannte sich Dr. Langemeyer klar und offen zum neoliberalen Glauben: Wirtschaftsförderung sei die beste Sozialpolitik, sagte er dort sinngemäß. Und der vormalige CDU-Fraktionsvorsitzende Hovermann beschrieb in einer Ratsdebatte zum „dortmund.project“ die neoliberale Strategie so: „Früher haben wir versucht, Schwächen auszugleichen und die Schwachen an den Durchschnitt heran zu fördern. - Jetzt wollen wir unsere Stärken verstärken.“ Daß die Stärken und Starken nur gestärkt werden können, wenn man die Mittel dafür bei den Schwächeren holt, brauchen sie gar nicht auszusprechen, das ist das kleine Ein-mal-eins. Aber genau das tun sie seitdem gemeinsam. Seit der Zustimmung zu McKinsey’s „dortmund.project“ Mitte 2.000 verging kaum ein Monat, in dem nicht irgendeine soziale Einrichtung in Dortmund den Betrieb einstellte oder drastisch einschränkte, weil die öffentlichen Zuschüsse wegblieben.

Im Sozialdezernat fand Dr. Langemeyer einen gleichgesinnten Mann, der zu einer Schlüsselfigur des Sozialabbaus werden sollte. Sozialdezernent Pogadl schien lange keinen größeren Ehrgeiz zu haben, als die Fallzahlen und Kosten der Sozialhilfe zu senken. Von 1993 bis 2002 hatte dies Erfolg, in den letzten Jahren auch finanziell, wobei das Sozialamt z.T. äußerst brutal vorging, bis hin zu eindeutig rechtswidrigen Methoden, mit denen es manche Hilfeberechtigten in Verzweiflung trieb. Inzwischen scheint ein Wendepunkt erreicht, von dem an die Fallzahlen und Hilfeausgaben wieder steigen, nicht weil Pogadl seine Politik geändert hätte, sondern weil die Verarmung infolge des Sozialabbaus schneller fortschreitet als der Sozialabbau selbst.

Gegen eine Rückführung der Sozialhilfefälle wäre nichts einzuwenden, wenn sie auf amtlich geförderter, aber freiwilliger Arbeitsaufnahme von Sozialhilfebeziehern beruht. Bei wieder ansteigender Arbeitslosenzahl wäre das aber nur möglich durch Ausweitung der öffentlich geförderten Beschäftigung im 2. Arbeitsmarkt. Das krasse Gegenteil geschieht in Dortmund. Seit 1999 wurde die städtische Beschäftigungsgesellschaft „Dortmunder Dienste“ von 2.000 Maßnahmeplätzen auf 600 abgeschmolzen. Die Zuschüsse des Landes-programms „Arbeit statt Sozialhilfe“ an freie Träger wurden drastisch gekürzt, im nächsten Jahr droht die komplette Streichung des Programms. Auch der kommunale Arbeitsmarktfonds wurde seit 1999 um 10% heruntergeschraubt und immer mehr auf die Förderung von Existenzgründerprojekten umgestellt. BODO e.V. zum Beispiel bekommt überhaupt keine Arbeitsmarktfonds-mittel mehr. Das Dortmunder Arbeitsamt hat die Zahl der ABM-Stellen binnen drei Jahren von über 1.000 auf 270 eingedampft, und 2004 wird es überhaupt keine ABM mehr geben. Dies ebenso wie die Kürzung städtischer Zuschüsse hat bereits zahlreiche Betreuungs- und Beratungseinrichtungen zur Aufgabe gezwungen, andere stehen unmittelbar vor dem Aus. Seit 2000 haben aufgegeben:

  • die Betreuungsvereine der AWO, des DRK und der Diakonie, die anderen vier wissen nicht wie es weitergeht,
  • die Caritas strich ein Ausbildungsseminar für Altenhilfe,
  • das Gesundheitsamt schloß die Beratung von Menschen mit Behinderung und chronisch Kranken,
  • die Wohnungstauschberatung der Stadt für Senioren und Behinderte wurde eingestellt,
  • der Schülermittagstisch fiel komplett weg,
  • die Übernachtbetreuung von Drogensüchtigen „RELAX“ schloß Ende Juni,
  • der Verein „Frauen helfen Frauen“ kann die Beratung von Gewaltopfern nicht weiterführen,
  • der Hilfsverein für Strafentlassene macht zum Jahresende dicht,
  • die AIDS-Hilfe kämpft ums Überleben.

Nachdem im Jahr 2000 heftige Proteste noch verhinderten, daß Dr. Langemeyer das „dortmund.project“ mit den Geldern des Sozialen Wohnungsbaus finanzierte, hat er diesen Plan nicht etwa aufgegeben, sondern nur modifiziert: Jetzt will sich die Stadt bis 2007 ganz aus der Wohnungsbauförderung zurückziehen.

Der größte und umfassendste Angriff auf die Lebensqualität in Dortmund verbirgt sich hinter dem nebelhaften Begriff „Infrastrukturrevision“. Hier werden unter dem Vorwand der politisch bewußt herbeigeführten Pleite der Kommunen sämtliche Standards kommunaler Einrichtungen und Leistungen mit dem Ziel ihres Abbaus revidiert. Die Zielmarke des Kämmerers ist ein jährliches Abbauvolumen von 10 Mio Euro querbeet. Als ein Instrument der Infrastrukturrevision dient der Städtevergleich. An diesem Instrument läßt sich besonders deutlich zeigen, wie der Neoliberalismus die Wertmaßstäbe verschoben hat. Als ich in den 70er Jahren Stadtplaner in München war, dienten uns Städtevergleiche, um Versorgungslücken aufzuspüren und Vorsprünge unserer Stadt an Lebensqualität gegenüber anderen herauszustellen, denn wir waren stolz auf die steigende Lebensqualität unserer Städte. - Heute hat sich diese Zielsetzung ins glatte Gegenteil verkehrt. Neoliberale Politiker benutzen Städtevergleiche, um die Schließung oder Privatisierung von Bädern, Sportanlagen, Jugend- und Senioreneinrichtungen, Spielplätzen, Einschränkung städtischer Dienstleistungen und Personalabbau mit noch schlechteren Beispielen aus anderen Städten zu rechtfertigen. All das passiert im Moment in Dortmund. Ich sehe darin den Verfall des politischen Wertsystems.

Damit will ich nicht sagen, daß früher alles besser war. Die Zeiten des sozialen Ausgleichs, von dem alle mehr Wohlstand erwarten durften, sind unwiderruflich vorbei. Nicht weil es nichts mehr zu verteilen gäbe – im Gegenteil, Deutschland war noch nie so reich und wird jedes Jahr reicher! – sondern weil der soziale Ausgleich aufgekündigt und zerstört wurde durch Umverteilung von unten nach oben. Der berühmte „Dortmunder Konsens“, in Kurzform: „Strukturwandel ja - aber sozialverträglich,“ hat so lange funktioniert, wie der Niedergang der großen Industrien in Dortmund noch einigermaßen sozial abgefedert wurde. – Heute ist dieser Konsens tot, er ist nicht mehr möglich auf der Geschäftsgrundlage, wie Langemeyer sie formuliert: „Wirtschaftspolitik sei die beste Sozialpolitik“. Da widersprach ihm auf der schon zitierten Armutskonferenz sogar der sonst so konsensbereite DGB-Vorsitzende Eberhard Weber ganz energisch.

Also nicht aus Nostalgie habe ich das Beispiel des Städtevergleichs erwähnt, sondern weil daran deutlich wird: Heute geht es um mehr, als einzelne Maßnahmen des Sozialabbaus zu verhindern - natürlich, damit fängt es immer an, muß es auch - aber es geht nicht mehr nur darum, ob man etwa 76 Spielplätze plattmachen und die Flächen vermarkten muß, weil vielleicht die PCB-Sanierung von Schulen Vorrang hat. Nein, es geht um die ganze Denke, die hinter dieser Infrastrukturrevision steht. Da ist der Sozialabbau keine vorübergehende Notlösung hilfloser, aber sozial engagierter Politiker mehr, sondern zum Prinzip geworden, nämlich zum sich selbst beschleunigenden Standort-dumping. Zum festen Bestandteil einer Ideologie, die dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes und der Gemeindeverfassung frontal entgegen tritt, nämlich der Ideologie der Stärkung der Starken auf Kosten aller Schwächeren. Des Sozialdarwinimus und der Privatisierung gesellschaftlicher Reichtümer.

Diese Ideologie und diese Politik sind ein Holzweg, weil sie der Mehrheit der Menschen nur Opfer zumuten können. Auf diesem Holzweg, wenn wir ihm weiter folgen, muß jedes Gemeinwesen in die Brüche gehen. Das ist der Grund, warum wir dies Sozialforum in Dortmund gründen. Unsere Stadt ist keine Ware. Unser Leben ist uns zu schade für den Dumping-Wettbewerb um Unternehmensstandorte.

Daß wir dieser Politik nicht wehrlos ausgeliefert sind, haben in Dortmund vor einem Jahr die Eltern, Schüler, Erzieherinnen und andere bewiesen, die mit einem Bürgerbegehren die geplante Vernichtung der 1.000 städtischen Hortplätze und kleiner Grundschulen verhinderten. In diesem Sinn Glück auf für das Sozialforum Dortmund!

Wolf Stammnitz

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