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Prostitution in der Nordstadt: Der hohe Preis der schnellen Nummer

Ein Blick ins Zimmer reichte, um Emiliya Pavlova deutlich zu machen, dass das Kapital immer gewinnt. Ein Zimmer, zehn Matratzen, 250 Euro Miete pro Frau im Monat. Da, wo's frisst, muss man eben für alles zahlen. So funktioniert Prostitution in Dortmunds Nordstadt.

Die Männer zahlen für die Frauen, die Frauen für die Männer - Zuhälter und Vermieter. Wenn's gut läuft, überweisen sie Geld an ihre Familien - aber immer müssen sie zahlen. Ihre Währung ist der Körper, die Seele.

Pavlova (Name geändert) ist die Verbindungsfrau der Mitternachtsmission zu den vielen bulgarischen Frauen, die hier ihre Haut zu Markte tragen. Der Verein bietet Hilfe und Beratung für Prostituierte, für Aussteigerinnen und Opfer von Menschenhandel an.

Beratung nur mit Dolmetscher

„Man kann ohne Dolmetscher oft gar nicht mehr beraten”, sagt Mitarbeiterin Gisela Zohren. Der Verein hielt 2008 Kontakt zu den über 200 Frauen in der Linienstraße wie auch zu 291 Straßenprostituierten (217 davon waren Migrantinnen). Hinzu kamen 157 Kontakte aus den etwa 30 Internet-Cafes und Kneipen, in denen Prostitution angebahnt wird. Die Zahlen für 2009 liegen noch nicht vor, Zohren geht aber von 600 Kontakten aus.

Wirklich traurige Geschichten sind darunter. Unfreie Frauen, die der Freiheit folgen, innerhalb der EU reisen zu dürfen. Als Touristinnen dürfen sie sich drei Monate hier aufhalten. „Danach müssen sie einen Wohnsitz haben und nachweisen, wovon sie leben.” Mit Steuernummer und Gewerbeschein in den elf Clubs der Stadt und 16 Häusern der Linienstraße, so geht's auch. Bulgarische Roma spielen eine große Rolle dabei, auch Frauen der türkischen Minderheit dort. „Die Ärmsten der Armen”, sagt Zohren. Die meisten sind Analphabeten. „Was bleibt da”, fragt sie, „Kneipe, Näherei - und wenn man das nicht kann?”

Nach dem organisierten Busverkehr von dort, folgt der organisierte Geschlechtsverkehr hier. Sie arbeiten für ihre Familien - wenn ihnen Zuhälter nicht das Geld abnehmen. „Ich hab' größten Respekt vor den Frauen”, meint Gisela Zohren. Sie können kein Deutsch, schlafen in Lagern, arbeiten in Ecken, Autos, Verrichtungsboxen, Wohnungen. In greifbarer Vereinsamung.

69 Fälle von Menschenhandel sind 2008 in NRW zur Anklage gebracht worden, 30 davon in Dortmund. „Das spricht nicht dafür, dass es so etwas woanders nicht gibt”, meint Hauptkommissar Detlef Berghaus von der Kripo, „sondern dafür, dass wir hier den Bereich Menschenhandel sehr ernst nehmen.” „Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung” ist der Begriff. Was das heißt? „Die Hilflosigkeit der Frauen ausnutzen, ihren Pass wegnehmen, sie in Schulden verstricken”, sagt Berghaus, „und sie dann das Geld abarbeiten lassen.”

Kripo und Hilfsorganisationen arbeiten dabei eng zusammen. „Die Frauen sprechen ja nur selten mit der Kripo”, meint er, „aber wenn wir jemanden verfolgen, brauchen wir ihre Aussagen.” Daher brauche es gute Kontakte - die der Mitternachtsmission.

„Die meisten der Bulgarinnen, die hier arbeiten, reisen aus Plovdiv oder Sliven an”, sagt Emiliya Pavlova. Sie kommt gerade von einer jungen Frau. „Das war heftig.” Die Frau ist schwanger, sie will bis kurz vor der Geburt arbeiten. Ein winziges Zimmer, sechs Quadratmeter Nordstadt - mit Schräge. Mietpreis: 300 Euro monatlich. Vielleicht ist ein Kondom geplatzt, vielleicht das vom Zuhälter, vielleicht eines von einem Freier. Vielleicht wird sie das Kind zur Adoption freigeben.

2009 hat die Mitternachtsmission in 15 Fällen Kinder von Frauen, die sie betreut haben, an Adoptionsstellen oder das Jugendamt vermittelt. Eines steht fest: Wunschkinder sind das nicht.

Quelle: WR vom 06.02.10

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