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Neonazis trainieren Straßenkampf in Grundschul-Turnhalle

Die rechtsextreme Szene wird immer gewaltbereiter. Das zeigen nicht nur das große Aggressionspotenzial beim letzten Dortmunder Neonazi-Aufmarsch und der Angriff auf den Passauer Polizeichef.

In Dortmund rüstet und vernetzt sich die autonome Szene weiter. Der neue Höhepunkt: Sie betreiben Kampfsport in einer städtischen Turnhalle. Dem hat jetzt die Stadt einen Riegel vorgeschoben. Nach Anfrage unserer Zeitung bei verschiedenen Stellen haben die Sport- und Freizeitbetriebe sofort reagiert und dem Sportverein Tremonia e.V. den Nutzungsvertrag gekündigt. „Wir diskutieren da gar nicht, sondern haben sofort den Vertrag beendet“, betonte der zuständige Dezernent Jörg Stüdemann. Seit kurzem konnten sie die Turnhalle der Friedensschule, einer städtischen Grundschule in Lütgendortmund, nutzen. Der Verein wurde vor rund einem Jahr gegründet und betreibt Kampfsport.

"Verpiss dich du Judenschwein"

Das allein wäre noch nichts Ungewöhnliches. Allerdings sind die Aktiven des Vereins keine Unbekannten: Zwei Mal pro Woche nutzten Mitglieder der Autonomen Nationalisten, der Fußball-Hooligangruppe „Northside“ und der „Desperados“, fanatischen Fußballfans aus der Ultra-Szene (siehe Infobox), die Turnhalle der Friedenschule. Dort trainieren sie Straßenkampftaktiken („Luta Livre“), die sie dann auch auf der Straße einsetzen. Der Redaktion liegen ältere Videos vor, die Mitglieder der „Northside“ beim Kampf mit anderen Hooligans auf einem Waldweg zeigen. Dort sind auch Hitlergrüße zu sehen und Kampfrufe wie „Verpiss dich du Jude“, „Hau ab du Judenschwein“ und „Lass den verrecken“ zu hören.

Hohes Aggressionspotenzial

Beim letzten Neonazi-Aufmarsch in Dortmund am 6. September stellten nach Polizeiangaben die Autonomen Nationalisten rund ein Drittel der 1180 Demoteilnehmer. Aus ihren Reihen wurde auch ein Großteil der 172 angezeigten Straftaten begangen und 18 Polizeibeamte verletzt. Zum Hintergrund: In Passau werden Autonome Nationalisten aus München für den Angriff auf den Polizeichef verantwortlich gemacht, da dieser engagiert gegen Neonazis vorgegangen war.

In Szenekreisen wird schon länger über die Verbindungen von Neonazis und fanatischen Fußball-Fans gemutmaßt. Auch ist von gemeinsamen Wehrsportübungen im In- und Ausland die Rede. In Dortmund war vor rund einem Jahr eine solche Aktion im Schulte-Witten-Park aufgeflogen. Mit dem Verein Tremonia und der Nutzung einer städtischen Sporthalle hat das Ganze jedoch eine neue Dimension erreicht. Der Übungsleiter des Kampfsportvereins ist übrigens bei der Justiz aktenkundig: Gegen ihn wurde wegen Körperverletzung und Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole ermittelt – die Verfahren mussten jedoch seinerzeit wegen Mangels an Beweisen eingestellt werden.

Stadtbezirk ist alarmiert

Bei den zuständigen Stellen ist man nun alarmiert: „Wir haben schon länger vermutet, dass sich bei uns einiges abspielt“, berichtet Erika Wehde, SPD-Ortsvereins-Vorsitzende in Lütgendortmund und Mitglied der Bezirksvertretung. Auch der stellvertretende Bezirksbürgermeister Dr. Frank Gillmeister (Grüne) fühlt sich bestätigt. „Das passt zu unserer Wahrnehmung.“ Denn rechtsextreme Schmierereien und Aufkleber hätten im Stadtbezirk stark zugenommen.

Dazu passt auch, dass der Staatsschutz eine Kneipe in Marten im Visier hat: Im Hinterzimmer der Gaststätte „Zum Güterbahnhof“ tagen mittwochs die Autonomen Nationalisten und sonntags die Kameradschaft Tremonia. SPD und Grüne wollen nun Druck auf die neuen Betreiber ausüben. Denn diese müssten sehr wohl wissen, wen sie beherbergen: Sie öffnen nämlich auf besonderen Wunsch der beiden Gruppen – normalerweise hat die Kneipe an den besagten beiden Tagen geschlossen. Die Wirte waren nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

Hintergrund:

  • Hooligans (ursprünglich meint das im englischen Sprachgebrauch Raufbolde) sind aggressive und gewaltbereite Fußballfans.
  • Die Ultrà-Bewegung bezeichnet ursprünglich eine besondere Organisationsform für fanatische Anhänger des Fußballsports. Sie sind nicht zwangsläufig politisch. Bei den Desperados Dortmund hingegen gibt es klar faschistische Einstellungen. Sie sind auch bei Neonazi-Aufmärschen dabei.
  • „Luta Livre“ oder auch Freefight“ ist eine brasilianische Kampfsportart, die Ringen und Judo am nächsten kommt. Dabei steht das sportliche Rangeln und Raufen im Vordergrund und eignet sich durch seine Kampfnähe hervorragend für reale Zweikampfsituationen. Beliebt sind die Techniken im Straßenkampf.

Quelle: Der Westen vom 19.12.08

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