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"Ich schäme mich, hier zu wohnen"

Westerfilde. (rd/PiLi) "Wenn ich heute sage, ich wohne im Kiepenweg, dann muss ich mich schämen." Die adrett gekleidete Dame war aufgebracht.

Und damit ging es ihr wie den übrigen Besuchern, die ins AWO-Begegnungszentrum an der Speckestraße gekommen waren. Die Bezirksgruppe West der Partei "Die Linke" hatte dort zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen. Das Thema: Wohnen in Westerfilde - zwischen Leerstand und Verwahrlosung. Ein Thema, das die Gemüter erhitzt, wie sich zeigte. Aufgebracht trugen die Westerfilder ihre Sorgen vor, machten ihrem Ärger Luft, wurden laut. Seit Wochen gehe der Aufzug im Mehrfamilienhaus am Gerlachweg 4 nicht, klagte ein älterer Herr. "Schwere Einkäufe kann ich nicht die Treppen hoch tragen." Seine Nachbarin, die auch in die Begegnungsstätte gekommen war, nickte. Auch die Briefkästen seien aus der Verankerung gerissen, Steckdosen verschmort.

Die Liste der Mängel in vielen Siedlungen in dem Dortmunder Stadtteil war lang. Geduldig hörte sich Helmut Lierhaus vom Mieterverein Dortmund zusammen mit seinem Kollegen Dieter Klatt die Anliegen der Mieter an - und versprach Hilfe: Er will sich mit dem Zwangsverwalter vom Gerlachweg in Verbindung setzen, eine erneute Ortsbegehung organisieren.

Hilfe ist auch am Kiepenweg dringend nötig. "Da brennt der Baum", rief die ältere Dame wieder. Vor 30 Jahren, da sei das noch anders gewesen. Damals waren Viterra und Veba Vermieter. "Da war alles wunderbar", erinnert sie sich. Doch die goldenen Zeiten, in denen Bauführer, Handwerker und Vermieter noch in ihren Büros in den Siedlungen zur Stelle waren, die seien vorbei, sagt Lierhaus. Die Mieter am Kiepenweg wissen das nur allzu gut. Über Ostern sei tagelang die Heizung ausgefallen, der Rasen stehe kniehoch, Hausflur und Grundstück verkommen vor Dreck. Ein Paradies für Ratten. Und die lassen sich nicht zweimal bitten.

Doch Kiepen- und Gerlachweg sind längst keine Einzelfälle in dem Stadtteil. "Wir wollen Westerfilde nicht kaputt reden. Aber wir müssen klar sagen, dass die Wohnungssituation aus dem Ruder zu laufen droht", sagte Helmut Lierhaus. Zahlen belegen das: 500 Westerfilder haben in den vergangenen fünf Jahren ihrer einstigen Heimat den Rücken gekehrt. Die Leerstände sind bedrohlich: etwa 30 Prozent in der Kestingsiedlung, in den Häusern Speckestraße/Gerlachweg sind es 25 Prozent.

Helmut Lierhaus hat den Ernst der Lage längst erkannt. Er will "den Absturz einzelner Teile von Westerfilde verhindern". Gemeinsam mit den Mietern. Denn die sollten ihrem Ärger nicht nur Luft machen, sondern auch Ideen sammeln, um die Wohnsituation zu verbessern. Nach zwei Stunden hitziger Diskussionen dann gab es erste Anregungen: zum Beispiel den Vermietern, die sich oft ins Ausland verzogen haben oder hinter ihren ständig wechselnden Verwaltern verstecken, den Geldhahn abdrehen. "Wir müssen ihnen so sehr drohen, dass sie beeindruckt sind", erklärt Lierhaus. Dass das funktioniert, bezweifelten viele. Denn oftmals überweise die Arge in den Sorgen-Siedlungen die Mieten an den Vermieter. Und eine Mietminderung nehme die nicht so schnell vor, waren sich die Anwesenden einig. Doch Helmut Lierhaus machte den gebeutelten Mietern Mut: "Gemeinsam sind wir stark."

Dann gab er einen Zettel durch die Reihen. Wer sich in einem Mieterbereit engagieren möchte, sollte sich in die Liste eintragen. Langsam verstummten die aufgeregten Stimmen - und die leeren Zeilen füllten sich mit Namen.

Quelle: WR vom 20.05.08

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