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"Ich hab´ alle Kurse durch, trotzdem hab´ ich keine Arbeit"

35 Jahre seines Arbeitslebens hat der Bäcker und Konditor Rolf Koch im süßen Sektor zugebracht. Vor zehn Jahren wurde der 59-Jährige arbeitslos. Seitdem backt er kleine Brötchen. Hartz IV, findet Koch, ist ein zäher Brocken - der Teig will erstmal geknetet sein. Drei Jahre dauert der Gärprozess schon. Alles kein Grund, nicht zu feiern, wenn sich das Feiern lohnt. Letzten Montag feierten die Montagsdemonstranten ihren 159. Auftritt.

Ein buntes Polit-Panorama, Kaffee, Kuchen und Musik. Mitmachprotest, wie er seit August 2004 immer wieder stattfindet. Erst waren es Hunderte, nun sind es nur noch Dutzende, aber das ist normal, nur die Harten verlieren den Gegner nicht aus den Augen. Da kann die Politik sagen, was sie will, Koch hat sich entschieden. "Ich bleib´ dabei. Ich hab 35 Jahre gearbeitet und steh´ jetzt mit 347 Euro monatlich da", das findet er ungerecht. Sozialhilfeniveau. Trotz Mietzahlung, trotz Sozialabgaben, die die vor fünf Jahren von Gerhard Schröder und Peter Hartz vorgestellte Sozialgesetzgebung übernommen hat.

Die ARGE hat ihn unter ihre Fittiche genommen, sie umsorgte ihn mit Fort-, Weiter- und sonstigen Bildungen. "Ich hab´ alle Kurse durch", sagt er, "trotzdem hab´ ich keine Arbeit." Überqualifiziert sei er in seiner Doppelfunktion. Was nichts daran änderte, dass er über die Jahre alles genommen hat, was ihm angeboten worden ist.

Gärtner, Maschinist, Hausmeister - alles Jobs auf Zeit. Inzwischen geht er davon aus, dass er über die Vorruhestandsregelung, mit Geldabzügen und 62 Jahren auch offiziell ins Nichtstun ´rüberrutschen kann - in die Rente. "Ich hätte genug gearbeitet, deutete die ARGE an." Raus aus der Statistik und zwischen 1000 und 1100 Euro Rente. Aber das ganze Leben ist ein Rechenexempel: Der Gesetzgeber schlägt etwas vor, das Individuum rechnet nach, ob es sich lohnt. Jeder Mensch ist im Grunde eine "Ich AG" - auch schon vor Hartz IV.

Koch will nicht bei einer Großbäckerei für ganz kleines Geld am Band stehen. "Die zahlen mir ´n Appel und ´n Ei und stellen dafür keinen Lehrling ein." Inzwischen ist er so weit, dass er die berufliche Zukunft junger Leute höher bewertet als seine eigene. Das hört sich dann doch stark nach Rente an.

Es herrscht eine freundliche Stimmung unter den Montagsdemonstranten. Angestellte, Gewerkschafter, Arbeitslose: "Es ist keine reine Arbeitslosenbewegung", sagt Mitveranstalter Gerd Pfisterer. Unter den Arbeitenden wüßte jeder wie schnell die Rutsche runter auf Hartz-IV-Niveau führen kann - ein Jahr. Die Angst davor mache Menschen im Beruf oft willfährig, und nicht jeder will sich so disziplinieren lassen.

Er ist durch Hartz IV politisiert worden

Die Logik ihrer Arbeitsmarktpolitik spiegelt sich in Arbeitszeitverkürzung und der Forderung nach Mindestlöhnen wieder. Teilhabe ist Thema. Es ist nicht nur ein Hafen der Gescheiterten für die, deren Kompassnadel irgendwann mal Arbeitslosigkeit anzeigte, wenngleich manche unter ihnen ihr Scheitern im Gesicht tragen.

"Zum Heulen bin ich nicht der Typ", sagt Koch. Auch wenn er Hartz IV für das Ende seiner Ehe mitverantwortlich macht. Dafür ist seine 18-jährige Tochter am Montag mitgekommen. "Sie ist häufiger dabei, sie merkt, dass man was tun muss", sagt Koch. Sie ist mit der Arbeitslosigkeit des Vaters groß geworden.

Auch er ist durch Hartz IV politisiert worden, die Montagsdemos geben Ausdruck davon. Er hat einen Hartz-IV-Verein mitgegründet und begleitet Jugendliche auf Wegen zu Ämtern.

Die Linkspartei ist mal dabei, die Marxistisch-Leninistische Partei, das Linke Bündnis . . . Denn wenn rechts hinten in der Gesäßtasche die Geldbörse leer ist, schlägt das Herz links vorne leicht rot. Nicht bei jedem, aber bei Rolf Koch ist das so. Er ist zwar arbeitslos, aber immer noch Bäcker, Konditor und - Wähler.

Quelle: Westfälische Rundschau vom 16.08.2007

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