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Hilfen gegen rechten Terror fehlen in NRW und in Dortmund

Silvia Claus führte lange ein normales Leben in Dortmund. Dann „outeten“ Neonazis im Internet ihren Sohn als Gegner der Rechtsradikalen. Es folgten nicht nur Psychoterror, sondern auch Attacken. Nach einem Überfall hat der Sohn Todesangst.

Für Silvia Claus (Name von der Redaktion geändert) gibt es in ihrem Leben ein Vorher und ein Nachher. Vorher: Das war ein völlig normales Leben in Dortmund. Nachher: Das ist jene Zeit, seit Neonazis ihren Sohn auf einer Internetseite, auf der sie tatsächliche oder vermeintliche Gegner „outen“, an den Pranger stellten.

Der Psychoterror begann. Pakete wurden auf ihren Namen bestellt, Zeitungs-Abos abgeschlossen, ihr Auto beschädigt. Ein Anrufer kündigte an, sie würden vergast werden und „bald alle in den Ofen kommen“. Ihr Sohn kann sich in der Stadt nicht mehr sicher fühlen, wurde von Neonazis überfallen, erlebte Todesangst.

Keine Hilfe trotz vieler Gesuche

„Wenn man das Leben als Haus sehen würde, dann wäre dieses Haus bis in die Grundfesten erschüttert“, sagt Silvia Claus nach einem Jahr Bedrohungen, Belästigungen und Schikanen. Medien schaltete sie ein, Politiker, die Koordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus, den Weißen Ring. Regelmäßig erstattete sie Anzeige. Wirklich helfen konnte letztlich niemand. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich für uns niemand interessiert“, klagt sie. „Wie kann das in einem Rechtsstaat passieren?“

Silvia Claus ist kein Einzelfall. Im Dezember 2009 gelang es Neonazis, eine andere Familie aus Dortmund zu vertreiben. Monatelanger Terror war vorausgegangen. Und Dortmund ist kein Einzelfall in NRW. Aachen ist ein zweiter Schwerpunkt rechter Übergriffe. Doch auch anderswo agieren Neonazis immer dreister.

Viel rechte Gewalt in NRW

163 Fälle rechter Gewalt zählte das Landeskriminalamt 2009. In absoluten Zahlen ist das der höchste Wert aller Bundesländer. Gemessen an der Einwohnerzahl rangiert NRW auf Platz 12. Jeden zweiten oder dritten Tag schlagen oder treten Neonazis irgendwo zwischen Rhein und Weser zu. Tatsächliche oder vermeintliche Gegner, Migranten, Schwule, Obdachlose gehören zu den Feindbildern.

Doch die amtliche Statistik ist unvollständig, sagen Experten. Nicht selten wird der politische Hintergrund von Straftaten in Polizeiberichten gar nicht erwähnt. Wieder andere Übergriffe werden erst gar nicht angezeigt. Oft aus Angst.

Würde man genauer hinschauen, würde sich die Zahl rechter Gewalttaten in der Statistik um ein Drittel erhöhen, schätzt Heike Kleffner: „Gerade bei rassistischer und rechtsextremer Gewalt gibt es ein großes Dunkelfeld.“ Kleffner arbeitet bei der Mobilen Opferberatung in Sachsen-Anhalt. Sogar aus NRW erhält sie Anfragen von Betroffenen, die Hilfe suchen.

Opferberatungsstellen

Das Problem ist inzwischen auch in der Landespolitik angekommen. In ihren Gesprächen mit der SPD über den Etat 2011 wollen die Grünen die Einrichtung von Opferberatungsstellen vorschlagen, kündigte deren Innenpolitikerin Verena Schäffer an. Die SPD will das Thema in das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus eingebettet sehen, das bis Ende 2011 stehen soll, erklärte ihr innenpolitischer Sprecher Thomas Stotko.

Tendenz bei der SPD: Nicht in diesem Jahr, aber 2012 könnte die Opferberatung im Etat auftauchen. Unterstützung würde die Regierung bei der Einrichtung solcher Stellen von den Linken im Landtag erhalten, wie deren Abgeordnete Anna Conrads deutlich machte.

„Wir brauchen Landesunterstützung“

Bei der Dortmunder Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie arbeitet man bereits an einem Konzept. Hartmut Anders-Hoepgen, Sonderbeauftragter der Stadt, macht aber deutlich, „dass wir hier eine Landesunterstützung brauchen“.

„Bis heute stehen wir ständig im Zielkreuz der Nazis“, sagt Silvia Claus derweil. Gerade an diesem Morgen hat sie das x-te Paket, das unbestellt bei ihr ankam, wieder zur Post getragen.

Info
In Ostdeutschland ist Hilfe organisiert
In den ostdeutschen Bundesländern arbeiten bereits seit rund zehn Jahren Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt.
Sie unterstützen Betroffene nach einem rassistischen, rechten oder antisemitischen Angriff, beraten kostenlos vor Ort und auf Wunsch anonym und intervenieren, wenn sich Opfer rechter Gewalt alleine gelassen fühlen.
Im vorigen Jahr zogen auch Bayern und Rheinland-Pfalz mit der Einrichtung solcher Beratungsstellen nach.
In NRW würde mit Kosten von rund 500 000 Euro gerechnet.

Quelle: Der Westen vom 18.03.2011

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