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"Ein gesellschaftspolitischer Skandal"

Die Allianz-Mitarbeiter dürfen auf breite Solidarität hoffen. Auch Kollegen der Dresdner Bank, der Commerzbank sowie von Hoesch Spundwand wollen gemeinsam mit den Beschäftigten der Versicherung für den Erhalt der Arbeitsplätze kämpfen.

"Der Wahnsinn kennt keine Grenzen", rief Sigrid Dembinski, stellv. Betriebsratsvorsitzende bei der Dresdner Bank, gestern den Warnstreikenden zu. Kaum habe die Allianz den Stellenabbau bekannt gegeben, seien die Aktienkurse gestiegen, "das ist an Perversion kaum zu überbieten."

"Wir unterstützen euch in eurem Protest gegen weiteren Arbeitsplatzabbau", versprach Dagmar Aistermann, Betriebsratsmitglied der Commerzbank in Dortmund. Bei dem Geldinstitut seien 233 Beschäftigte von einem möglichen Personalabbau betroffen.

"Früher wurde bei roten Zahlen gesagt, wir müssen Stellen abbauen, heute wird bei fetten Gewinnen gesagt, wir müssen Stellen abbauen! Das ist ein gesellschaftspolitischer Skandal", donnerte Gerd Pfisterer, Betriebsratsvorsitzender von Hoesch Spundwand und Profil. Das Unternehmen hatte jüngst einen erfolgreichen Kompromiss ausgehandelt, um Arbeitsplätze zu sichern.

Er habe schon viel erlebt, meinte DGB-Chef Eberhard Weber, doch was sich die Allianz hier leiste, schlage alles um Längen. Alte Gewerkschaftstugenden wie zusammenzustehen und sich nicht spalten zu lassen, seien nun gefragt. Dem gaben die rund 300 Streikenden umgehend Ausdruck: Sie fassten sich an den Händen und bildeten einen symbolischen Menschenkreis um das Allianz-Gebäude am Heiligen Weg.


Warnstreik mit viel Wut im Bauch

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Wut. Wut. Und nochmal Wut. Das ist das Gefühl, das offenkundig bei den rund 300 Teilnehmern am Warnstreik der Allianz im Bauch ordentlich rumort. Und Existenzangst.

"Ich verliere meinen Arbeitsplatz. Wo soll ich unterkommen, bei fünf Millionen Arbeitslosen?", fragt Beate König. "Wir haben gebaut, wir haben finanzielle Verpflichtungen", verzweifelt die 32-Jährige. Sie habe ein Gefühl, "als wenn ein Stein in meinem Magen liegt". Dann kommt sie wieder. "Da ist sehr viel Wut. Das Unternehmen macht Riesengewinne, die wir mit erwirtschaftet haben und uns setzten sie auf die Straße."

Diese Firmenpolitik scheinen mittlerweile auch Kunden der Allianz kritisch zu sehen: Sie kündigen ihre Verträge. Peter Diera, Betriebsrat der Allianz in Dortmund und Sprecher des Bildungsausschusses des Gesamtbetriebsrates der Allianz Private Krankenversicherungs-AG, zitierte aus einem Kundenbrief: "Ich bin langjähriger Kunde in der Allianz. Falls Sie ihr Vorhaben wahr machen, nämlich die Schließung von Dortmund und die Entlassungen von Tausenden Ihrer Mitarbeiter in NRW, werde ich sofort ohne zu zögern Ihre private Krankenversicherung verlassen und zur Konkurrenz überwechseln."

Ungewisse Zukunft

An den nicht anwesenden Michael Diekmann, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender des Allianz-Konzerns,richtete Diera einen Großteil seiner Rede. In der Niederlassung Dortmund gebe es unter den knapp 400 Mitarbeitern viele allein verdienende Familienväter, allein erziehende Frauen und Männer sowie Schwerbehinderte, die in eine ungewisse Zukunft entlassen würden. "Herr Dieckmann, wie können Sie unter diesen Umständen von einem sozialverträglichen Arbeitsplatzabbau sprechen?", fragte Diera - rein rhetorisch versteht sich. An OB Dr. Gerhard Langemeyer gewandt, ebenfalls abwesend, meinte Diera, dass mehr als tausend Arbeitsplätze in Dortmund bei der Commerzbank, bei der Dresdner Bank und bei der Allianz gefährdet seien. "Herr Dr. Langemeyer, es ist an der Zeit, dass Sie mit den Betriebsräten der genannten Gesellschaften zusammenarbeiten, um schnellstmöglich zu retten, was noch zu retten ist." Ob Diera es nicht wusste? Der OB trifft sich heute zu Gesprächen mit Gewerkschaft und Betriebsräten.

"Ich bin 47, zu teuer"

Dass noch etwas zu retten ist, darauf hofft Petra Bartsch. "So ein Warnstreik bringt schon eine Menge, nicht nur Öffentlichkeit", ist sie überzeugt. Ein Erfolg wäre es etwa, wenn die Niederlassung statt Ende 2008 erst 2012 schließe. Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt schätzt sie bescheiden ein: "Ich bin 47, zu teuer." Da bleibt ihr nur eines: "Kampfbereitschaft. Und Wut." - kiwi

Quelle: Ruhr Nachrichten vom 28. Juni 2006

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