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Dortmund ein Sammelbecken für Neonazis

Ausgerechnet Dortmund, eine Stadt, in der der Widerstand gegen den Faschismus stark war, in dem Arbeiter und Gewerkschafter den Widerstand organisierten, ausgerechnet jene Stadt, die die Frauen und Männer des Widerstands in der Steinwache und in der ...

... Bittermark ehrt, ist zu einer Hochburg der Neonazis geworden. Von Alex Völkel und Andreas Winkelsträter Dabei ist die Stadt nicht erst als rechte Hochburg durch die Demonstrationen der vergangenen Jahre ins Gerede gekommen. 1982 wurde die "Borussenfront" von NPD-Mitglied Siegfried Borchardt - kurz "SS-Siggi" genannt - gegründet. Ihre Mitglieder machten rund um die Fußballspiele Jagd auf Ausländer und tyrannisierten besonders die Nordstadt. Aus dieser Borussenfront rekrutierte Borchardt Mitglieder für die 1984 gegründete Freiheitliche Arbeiterpartei Deutschlands (FAP). Borchardt wurde FAP-Landeschef, seine Organisation verbreitete durch gewalttätige, rassistische Übergriffe Angst und Schrecken.

In der Zeit der Wende 89/90 ließen die Naziaktivitäten vorübergehend nach, waren doch ihre "führenden Köpfe" - allen voran SS-Siggi - im Osten beschäftigt. Sie leisteten auf ihre Art "Aufbauhilfe Ost". Im Dunstkreis der 1995 verbotenen FAP bildeten sich Szenen und Treffs mit überregionaler Bedeutung, wie in der Gaststätte "Schützeneck". Sie wurde schließlich von der Polizei geschlossen.

Im Jahr 2000 hatten die Neonazi-Übergriffe ein solches Ausmaß erreicht, dass die politische und gesellschaftliche Öffentlichkeit reagieren musste. Ein Bündnis "für Demokratie und Toleranz" wurde gegründet, der "Aufstand der Anständigen" ausgerufen.

Etwa zur gleichen Zeit formierten sich die Kameradschaften. Nachdem der Dortmunder Neonazi Michael Berger im Juni 2000 drei Polizisten ermordet und sich dann selbst umgebracht hatte, verteilte die "Kameradschaft Dortmund" Flugblätter mit der Aufschrift "3:1 für Deutschland". Etwa ab diesem Zeitpunkt erlebt Dortmund ein weiteres Anwachsen der Neonaziszene mit größeren Aufmärschen, die anfangs von dem Hamburger Neonazi Christian Worch organisiert wurden.

Langsam rückte dann auch die jüngere, gewaltbereitere Generation nach, die "Autonomen Nationalisten Östliches Ruhrgebiet" (ANÖR). In den letzten Jahren festigte sich eine rechte Szene entlang der Rheinischen und der Wittener Straße. Naziläden wie "Buy or Die" oder auch "Donnerschlag" werden aufgemacht als überregionale Treffs. Doch der Widerstand der Bevölkerung wächst. Die Läden werden geschlossen.

Rechte Szene an der Wittener Straße

Inzwischen versuchen die Neonazis, antifaschistische Gedenk- und Feiertage durch ihre Aufmärsche zu besetzen. Bereits drei Mal marschierten sie zum 1. September, dem Antikriegstag. Die Enkel jener Nazis, die den 2. Weltkrieg entfesselten und Europa in Schutt und Asche legten, skandierten auf Dortmunder Straßen "Nie wieder Krieg" und fügten höhnisch hinzu: "Nach unserem Sieg".

Zwei Tage nachdem der Punker Thomas "Schmuddel" Schulz durch einen jungen Neonazi getötet worden war, veröffentlicht die "Kameradschaft Dortmund" am 30. März 2005 im Internet "Die Machtfrage ist gestellt worden und wurde für uns befriedigend beantwortet: "Dortmund ist unsere Stadt."

 

"Die Rechten kommen zunehmend über soziale Themen. Wir dürfen ihnen dieses Feld nicht überlassen"

Mit ihrem politischen Votum zum Aktionsplan für Toleranz, Vielfalt und Demokratie hat die rot-grüne Ratsmehrheit Ende 2007 ein deutliches Signal gegeben.

Oberbürgermeister Dr. Gerhard Langemeyer hat im Rathaus eine Koordinierungsstelle eingerichtet und mit Hartmut Anders-Hoepgen, dem langjährigen Superin-tendenten der Vereinigten Kirchenkreise, eine herausragende Persönlichkeit als ehrenamtlichen Sonderbeauf-tragten gewinnen können. Im Gespräch mit der WR geben Langemeyer und Uwe Büscher, Leiter des Aktionsbüros, eine Einschätzung der aktuellen Situation und einen Überblick über ihre Pläne.

"Dortmund ist unsere Stadt" - das steht auf T-Shirts, die Neonazis bei ihren Aufmärschen provokativ zur Schau tragen.

Dr. Gerhard Langemeyer:

Diese Behauptung ist natürlich geradezu lächerlich. Die Rechten stellen eine verschwindend kleine Gruppierung dar. Deshalb dürfen wir uns von ihnen auch nicht nervös machen lassen. Verharmlosen dürfen wir sie allerdings genau so wenig. Was mich besorgt, ist die steigende und deshalb ernst zu nehmende Gewaltbereitschaft. Und darüber hinaus der wachsende Organisationsgrad. Dass Aktivposten der rechten Szene ganz gezielt nach Dortmund ziehen und von hier aus tätig sind - da müssen Polizei und Staatsschutz sehr gründlich ihre Hausaufgaben machen.

Uwe Büscher: Nur noch einmal zur besseren Einordnung. In Dortmund werden im Jahr rund 75 000 Straftaten verübt. Von etwa 25 000 Tätern. Darunter befinden sich zwischen 60 und 80 polizeibekannte Straftäter aus der rechten Szene. Bei den Delikten handelt es sich häufig um Volksverhetzung. Dortmund ist also kein brauner Sumpf. Unsere Stadt ist vielmehr die Zielscheibe von Rechtsextremismus. Und das muss man allemal ernst nehmen.

"Politik darf den Rechten nicht in die Karten spielen"

 

Was kann, was muss die Politik tun?

Langemeyer: Zu allererst liegt es in ihrer Verantwortung, darauf zu achten, dass sie den rechten Kräften nicht in die Karten spielt - etwa durch die Themenwahl. Stichwort: Hessen-Wahlkampf. Der Wahlausgang hat aber gezeigt, dass die Wähler solch offensichtlichen Populismus abstrafen. Wir beobachten voller Sorge, dass die Rechten zunehmend versuchen, über soziale Themen an die Menschen heran zu kommen. Indem sie etwa Beratungen für Hartz IV-Em-pfänger anbieten. Dieses Feld dürfen wir ihnen nicht überlassen. Im Gegenteil: Wir müssen unsererseits überlegen, wie wir effektivere Sozialpolitik machen können.

Es gab in der Vergangenheit immer wieder mal Kritik an Ihrer Person. Sie würden sich, hieß es, in der Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus zu passiv verhalten.

Langemeyer: Man muss an der Stelle sehr sauber trennen. Als Oberbürgermeister aller Dortmunder und als Vorsitzender des Rates ist absolute Neutralität das oberste Gebot. Als Gerhard Langemeyer habe ich immer wieder klare Bekenntnisse abgegeben. Ich brauche meine Position wirklich nicht immer und immer wieder deutlich zu machen. Und ich muss auch nicht bei jeder Gegendemo vorneweg marschieren. Ich glaube ohnehin, dass solche Konfrontationen auf der Straße das falsche Mittel sind. Nichts gegen Kundgebungen - aber ich frage Sie: Müssen die immer am selben Tag stattfinden?

Büscher: Wir sollten allmählich versuchen, von diesem Reaktionsmuster Abschied nehmen und Methoden entwickeln, mit denen wir nachhaltige Wirkung erzielen. Dabei müssen wir in der Tat soziale Aspekte stärker berücksichtigen. Jene Lebenswirklichkeit vieler Menschen unserer Stadt, die sie empfänglicher macht für rechte Parolen.

"Wir müssen überlegen, wie wir Jugendliche erreichen"

 

Der Aktionsplan für Toleranz, Vielfalt und Demokratie mit dem Aktionsbüro im Rathaus ist ein erster Schritt weg vom Reagieren und hin zum Agieren.

Langemeyer: Hartmut Anders-Hoepgen als ehrenamtlicher Sonderbeauftragter dieses Büros ist die Idealbesetzung. Er verfügt über höchste gesellschaftliche Akzeptanz. Was ihn vor allem auszeichnet, ist die Fähigkeit, auch auf Andersdenkende zuzugehen. Er ist ein glänzender Kommunikator.

Und Kommunikation tut Not - zunächst einmal, um die demokratischen Kräfte in dieser Stadt unter einen Hut zu bringen. Da sind sich viele Aktivposten untereinander nicht grün. Energien verpuffen.

Büscher: Wir werden die Moderatorenrolle gerne übernehmen und eine Plattform für jeden bieten, der sich gegen Rechts engagieren möchte. Dabei können wir auf ganz hervorragenden Strukturen aufbauen. Hartmut Anders-Hoepgen und ich haben seit Jahresbeginn mindestens 40 Gespräche geführt - mit der Polizei, mit Bezirksvertretungen, mit Gewerkschaftern, dem Ausländerbeirat. Wir lernen die handelnden Personen zurzeit kennen, analysieren die Situation, machen uns ein scharfes Bild vom Zustand der rechten Szene. Allerdings lassen wir uns dabei nicht treiben. Wir werden in Ruhe Handlungsansätze erarbeiten, die dann auch greifen.

Langemeyer: Die Bildungsarbeit wird dabei sicher eine Rolle spielen. Wir müssen den Dialog mit Schulen verstärken und überlegen, wie wir junge Menschen erreichen. Reine Wissensvermittlung über den Geschichtsunterricht reicht da sicher nicht.

Die Gemeindereform, die CDU und FDP in Düsseldorf durchgesetzt haben, hat der rechten DVU im Rat Fraktionsstatus beschert. Wie sehr ärgert sie das?

Langemeyer: Das ärgert mich massiv, denn die DVU nutzt die Rechte, die ihr der neue Status garantiert, um den falschen Eindruck zu erwecken, sie hätte einen politischen Stellenwert. Und sie zögert die politischen Debatten im Rat zum Teil nicht unerheblich hinaus. Ganz nebenbei hat sie Anspruch auf rund 40 000 Euro an Haushaltsmitteln. Damit kann man schon was machen.

Büscher: Und Beispiele aus anderen Bundesländern, vor allem aus den neuen, zeigen, dass die Rechten nichts Gutes damit machen.

Bei der Entscheidung über eine Dortmunder Beteiligung am Kraftwerksbau in Hamm, war die DVU das Zünglein an der Waage. Erst ihre Stimmen bescherten der SPD eine Mehrheit. Die CDU kritisierte das scharf.

Langemeyer: Genau das meinte ich vorhin mit politischer Verantwortung und Populismus. Die Kritik zielt an der SPD vorbei. Sie wird zum Bumerang für die CDU, die aus reinem parteipolitischen Kalkül die DVU erst in diese vermeintlich bedeutsame Rolle manövriert hat. Die CDU wollte nichts als einen Keil in die rot-grüne Ratskoalition treiben. Sachargumente spielten in dieser Debatte am Ende überhaupt keine Rolle mehr. Ein solches Verhalten spielt den rechten Kräften in die Karten.

Quelle: Westfälische Rundschau vom 31.01.08

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