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Der Umzugsreigen geht los

Das waren keine erfreulichen Gespräche: Die JobCenter ARGE hat 146 so genannte Bedarfsgemeinschaften dazu aufgefordert, ihre Mietkosten zu senken. Zu diesen ersten Betroffenen zählen Kirsten Stelter-Born und ihr Mann Richard Born. Das Paar ist entsetzt.

 Und das aus mehreren Gründen. Das erste, was die beiden Bezieher von Arbeitslosen-Geld II auf die Palme bringt: "Eine Mitarbeiterin der ARGE hat uns gesagt: Schwerbehinderte Arbeitslose seien zuerst an der Reihe." Die 55-Jährige ist laut Schwerbehindertenausweis zu 60 Prozent schwer behindert, ihr vier Jahre älterer Mann zu 70 Prozent. Sie habe ihr Leben lang gearbeitet, so Kirsten Stelter-Born, doch als sie 2003 für eineinhalb Jahre arbeitsunfähig geschrieben wurde, klappte es nicht mehr mit einer Stelle. Die Umschulung zur Altenbetreuerin brachte sie auch nicht weiter. Ihr Mann ist bereits seit 1997 arbeitslos. "Er hat sich als Hausmeister, Hauswart, alles mögliche beworben. Es sagt zwar keiner direkt, aber man lässt durchblicken, dass er zu alt ist."

Und nun sollen die beiden ihre Mietkosten senken, was zwangsläufig auf einen Umzug hinausläuft. Seit elf Jahren leben sie in ihrer Wohnung in Aplerbeck. Richard Born hat dort seine Modelleisenbahnanlage aufgebaut. "Wenn wir aus der Wohnung raus müssen, muss er die Bahn einkellern. Als Schwerbehinderter hat man schon keine großen Unterhaltungsmöglichkeiten. Dieses Vergnügen würde uns noch genommen."

Die Wohnung der Borns ist 79 qm groß und kostet warm 550 Euro. Übernommen würden jedoch von der Stadt nur 369 Euro Warmmiete für um die 60 qm. Doch auch mit der Wohnungssuche könnte sich ein Problem ergeben. Denn beim Wohnungsamt sei ihnen mitgeteilt worden, dass sie wegen der hohen Nachfrage nach solchen Wohnungen auf die Warteliste gesetzt würden. "Wir haben immer körperlich schwer gearbeitet, heute sind unsere Knochen dafür kaputt und wir werden immer weiter dafür bestraft", sagt Kirsten Stelter-Born. "Warum werden wir wie Abschaum behandelt?", fragt sie.

Davon könne nun wirklich keine Rede sein, weist ARGE-Pressesprecher Markus Schulte die Vorwürfe der Borns vehement zurück.

ARGE hat Schwerbehinderte nicht auf dem Kieker

Knapp 50 Prozent liegt das Ehepaar Born ohne triftige Gründe mit seiner derzeitigen Miete von 550 Euro über der so genannten Angemessenheitsgrenze. Wie 145 weitere Bedarfsgemeinschaften in Dortmund von immerhin insgesamt 45279, die Arbeitslosengeld II beziehen.

Die JobCenter ARGE hatte 853 Bedarfsgemeinschaften bzw. Einzelpersonen zu einem Gespräch gebeten, weil ihre Miete um 50 Prozent über dem Soll liegt. 381 davon konnten überzeugend erklären, warum ihre Miete das Limit überschreitet, doch 146 konnten eben keine triftigen Gründen anführen. "Eine Behinderung ist nicht per se wie im Falle der Borns ein Sonderfall. Es sei denn, jemand sitzt zum Beispiel im Rollstuhl", erläutert ARGE-Pressesprecher Markus Schulte. Und eine Modelleisenbahn sei selbstverständlich ebenfalls kein Anlass, eine größere Wohnung zu gewähren.

Dass es, wie von den Borns behauptet, eine Anweisung gebe, schwerbehinderte Alg-II-Bezieher zuallererst aus der Wohnung zu treiben, hält Schulte für "reine Polemik". Mit dem Ehepaar Born sei auch "keine konstruktive Zusammenarbeit" möglich gewesen. Und dass das Wohnungsamt keine Wohnungen von um die 60 qm vermitteln könne, stimme ebenfalls nicht. Er habe bei dem Amt angefragt, und es sei ihm gesagt worden, dass es durchaus in dieser Größenordnung Angebote gebe. Markus Schulte erinnert daran, dass man letztlich gesetzliche Vorgaben umsetze, weil die Kosten aus dem Ruder liefen.

Kirsten Stelter-Born bleibt bei ihrer Aussage, dass ihr eine ARGE-Mitarbeiterin gesagt habe, Schwerbehinderte müssten zuerst aus ihrer Wohnung raus. "Da hebe ich meine drei Finger für." - kiwi

Rat am Telefon zu Neuregelungen in Sachen Hartz IV

Hartz IV-Empfängern schlägt ein rauerer Wind ins Gesicht. Um die ausufernden Kosten in den Griff zu bekommen, wird ab 1. Juli Jugendlichen, die Arbeitslosengeld II beziehen, z. B. nicht mehr die eigene Wohnung finanziert. Da es zu diesen Änderungen, die der Bundestag im Februar beschlossen hat, jede Menge Fragen geben dürfte, bieten die Ruhr Nachrichten gemeinsam mit dem JobCenter ARGE Dortmund, dem Arbeitslosenzentrum und dem Mieterverein für Dortmund und Umgebung eine Telefonaktion an. Sie findet am kommenden Dienstag (13.6.) von 11 bis 13 Uhr statt. Die Ansprechpartner und Telefonnummern veröffentlichen wir noch.

Die geplanten Änderungen im Detail: Ab dem 1. Juli bilden arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahren gemeinsam mit ihren Eltern eine Bedarfsgemeinschaft, auch dann, wenn die Eltern kein ALG II beziehen. Zugleich sinkt die an solche Jugendliche bisher gezahlte Regelleistung von 345 Euro auf 276 Euro monatlich. Die JobCenter ARGE Dortmund schreibt deshalb nun rund 700 ALG II-Bezieher an, die von der Neuregelung betroffen sind, und informiert über die neuen Vorgaben.

"Folge der gesetzlichen Neuregelung ist, dass unter 25-Jährige ab dem 1. Juli nicht mehr als Einzelperson Arbeitslosengeld II bekommen", erläutert ARGE-Pressesprecher Markus Schulte - (Foto). Stattdessen sieht sie der Gesetzgeber generell als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft mit Eltern, Elternteilen und eventuellen Geschwistern. "Bei der Prüfung eines möglichen Anspruchs auf ALG II-Leistungen wird dann künftig der Leistungsbedarf jedes Mitglieds der bestehenden Bedarfsgemeinschaft, zugleich aber auch das Einkommen und Vermögen aller berücksichtigt", so Schulte.

Voraussetzung für die Auszahlung von ALG II ist letztlich, dass sich auch die Eltern dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen und alle Möglichkeiten nutzen müssen, um die Hilfsbedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft zu verringern oder aufzuheben. Eine persönliche Vorsprache und Arbeitssuchend-Meldung von Jugendlichen und Eltern in der ARGE ist deshalb, soweit die Eltern nicht vollzeitbeschäftigt sind, ab Juli Pflicht - wie bei allen anderen Bedarfsgemeinschaften auch.

Quelle: Ruhr Nachrichten vom 06. Juni 2006
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