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Bäckereihandwerk: Dumpinglöhne und Videoüberwachung

Rund 2000 Dortmunder arbeiten in Backstuben oder in den Bäckerei-Filialen. Traditionsbetriebe, die sich durch Fusionierung am Markt halten, und Backdiscounter konkurrieren um jeden Kunden.

Dass einige Brot, Brötchen, Baguette billiger als andere anbieten können, hat seinen Grund. „Billig sein geht nur, wenn man spart. Zum Beispiel bei seinen Mitarbeitern.” Das weiß die Gewerkschaft Nahrung Genuss-Gaststätten (NGG) nur zu gut und benennt die schwarzen Schafe der Bäckerzunft.

Die Bäckerei Westermann mit neun Filialen in Dortmund gehört dazu. Gerade hat das Unternehmen eine Niederlage vor dem Arbeitsgericht kassiert. Zwei Angestellte, davon einer Gewerkschafts- und Betriebsratsmitglied, waren fristlos entlassen worden, weil sie angeblich den Aufstrich für ein Brötchen gestohlen hatten. Die Kündigungen musste Westermann rückgängig machen, die Bäcker wieder beschäftigen. Laut NGG-Gewerkschaftssekretär Manfred Sträter sei dieser Vorgang nur einer von vielen, der den Mitarbeitern zusetze. Westermann zahle vielen der 364 Beschäftigten nur sechs Euro Stundenlohn. „Viele sind nur befristet angestellt. In dieser Zeit akzeptieren die meisten Menschen miese Löhne, weil sie hoffen, entfristet zu werden.” Meistens passiere das jedoch nicht. Doch im Falle Westermanns ist Sträter optimistisch: „Zumindest zahlen die inzwischen Weihnachts- und Urlaubsgeld.”

Bei Bäcker Beckmann, einem der ganz großen in Dortmund - mit über 30 Filialen und nach Angaben der Bäckerinnung (Dortmund und Lünen) mit über 120 Mitarbeitern - ist nach NGG-Aussage nicht alles Gold, was glänzt. „Statt in Vorzeigefilialen in teures Design zu investieren, sollten die lieber auf die Bezahlung achten”, sagt der Gewerkschaftssekretär. Grund für die Kritik: Bäcker Beckmann - auch in diesem Betrieb wurde die Gründung eines Betriebsrates eingeklagt - vergesse einfach jedes Jahr aufs Neue, Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu zahlen. Das Unternehmen selbst wollte sich zu diesen Angaben nicht äußern.

Bäcker Niehaves ist ebenfalls ins Visier der NGG geraten. Ein ganz aktueller Fall, der sich in Unna ereignete, steht nach Angaben Manfred Sträters beispielhaft für alle Filialen - auch die Dortmunder. Der Fall der Gabriele Rudolph, die als 48-Jährige froh war, endlich wieder Arbeit zu finden, spiegele die Realität für die Niehaves-Mitarbeiter insgesamt wieder.

Franchiser haben häufig keine Ahnung

Im Klartext bedeute das: Die Sozialräume der Verkaufsfilialen des Unternehmens seien videoüberwacht. Dort müssten sich die Mitarbeiterinnen - bzw. Verkäuferinnen umziehen. Die Begründung des Unternehmens (siehe unten), die Videoüberwachung erfolge in Filialen, in denen eingebrochen werde, überzeugt die Gewerkschaft nicht. „Seit wann wird denn ständig in Bäckereien eingebrochen? Wahrscheinlich dienen die Kameras doch eher der Mitarbeiterüberwachung”, vermutet Sträter. Niehaves erwarte zudem von seinen Mitarbeiterinnen unbezahlte Mehrarbeit. Die ehemalige Beschäftigte Gabriele Rudolph berichtet: „Vor und nach der Schicht. Sonst schaffst du deine Arbeit nicht. Morgens die Auslagen zu befüllen und Körner und Brötchenrohlinge aufzubacken, dauert. Kasse und sauber machen auch.” Ein Schichtverlauf von 5.45 Uhr bis 13.20 Uhr am Stück ohne Pause sei die Regel. „Wer das nicht schafft, kriegt eine Abmahnung”, sagt die Frau. Manfred Sträter sagt, dass dieses Bäckereigeschäft über viele Jahre immer wieder Thema bei der NGG sei. Immer wieder riefen dort Beschäftigte an und schilderten die Probleme. „Aber die wenigsten können sich dazu durchringen zu klagen. Sie wollen nicht ihren Job riskieren.”

Als die „Schlimmsten” in der Branche wertet Nahrung Genuss-Gaststätten die sogenannten Kamps-Franchiser. „Eine Filiale zu eröffnen und selbstständig zu sein, betrachten viele Leute als Chance. Obwohl sie überhaupt keine Ahnung haben. Weder vom Handwerk, noch von den Finanzen”, sagt Sträter. „Kamps gibt lediglich vor, wie eine Filiale eingerichtet und welche Ware verkauft werden muss, aber zu welchen Bedingungen gearbeitet wird, kontrolliert niemand.” Je schlechter die Zeiten, je höher das Maß an Ausbeutung, beschreibt Sträter den Trend. Das beobachte NGG vor allem bei Billiganbietern. „Die Leute machen alles mit, weil sie keine Alternative haben”, sagt Sträter.

Quelle: WR vom 15.04.09

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