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30 000 Familien in Schuldenfalle

Alle reden von der 19. Das Amtsgericht schielt auf die 36. Um gut 36 Prozent nämlich stieg die Zahl der beantragten Privatinsolvenzen im letzten Jahr. Damit gehört Dortmund zu den traurigen Spitzenreitern im Land.

Die Wirtschaftsauskunftei Kreditreform veröffentlich regelmäßig Studien zur Verschuldung. Nach der letzten ging sie 2006 von einer Steigerung zwischen 7 und 12 Prozent fürs Ruhrgebiet aus. Anders in unserer Stadt: 2005 wurden 1724 Privatinsolvenzen beantragt und im gerade abgelaufenen Jahr waren es bereits 2348. Die Entwicklung wird von Schuldnerexperten inzwischen als "dauerhaft steigend" beurteilt.

Alwin Buddenkotte, Geschäftsführer vom Katholischen Verein für soziale Dienste (SKM), macht weitere Rechnungen auf: 1996 lag die Zahl der überschuldeten Haushalte noch bei 18 000. Zehn Jahre später bei 30 000. Während '96 erst 8516 Anträge auf eidesstattliche Erklärungen vorlagen, waren es 2005 schon 33 974 Anträge. Für einen Berufszweig wirkt sich diese erschreckende Zunahme förmlich als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme aus: Statt 34 Gerichtsvollziehern, die 1996 unterwegs waren, sind es jetzt 42.

Alwin Buddenkotte überschlägt, dass in der Dortmunder Nordstadt inzwischen jeder vierte Bürger überschuldet ist, während es im südlichen Holzen z. B. nur jeder 16. ist, was natürlich stark mit der Einkommenssituation zusammenhängt. Denn aus der Schuldnerberatung des SKM weiß er, "wir haben viele Null-Pläne". Und das heißt bitteschön? Die überschuldeten Menschen seien komplett zahlungsunfähig aus ihrem Einkommen heraus, das unter der Pfändungsfreigrenze liege.

Typische Vertreter von "Bruder Leichtfuß" sieht der SKM-Chef unter den Betroffenen nicht. "Sie würden die siebenjährige Wohlverhaltens-Phase, die der Gesetzgeber bei einer Privatinsolvenz vorschreibt, auch nicht einhalten können", glaubt Buddenkotte.

Statt vermuteter Verschwendungssucht steckten vielmehr persönliche Schicksalsschläge in einer immer kälter werdenden Arbeitswelt dahinter. So erinnert sich Annette von Hadel, Rechtsanwältin und Schuldnerberaterin bei der Verbraucherberatung, an eine Frau, die mit 38 Jahren dauerhaft krank wurde. Grund genug für ihren Arbeitgeber, sie auszusteuern.

Nach der Scheidung alle Schulden allein am Hals

38 Jahre, krank, arbeitslos. 730 Euro Krankengeld müssen der allein stehenden Frau reichen zum Leben. Viel zu wenig, um die Raten für ihren 13 000-Euro-Kredit zu zahlen. Sie war also eine von 114 überschuldeten Ratsuchenden, für die die Verbraucherberatung im letzten Jahr Anträge auf Privatinsolvenz stellen musste.

"Die Nachfrage reißt nicht ab", sagt Schuldnerberaterin Annette von Hadel. Ihr fallen zwei weitere Beispiele ein. 1600 Euro netto müssten einer 48-jährigen Frau, geschieden, ein Kind, eigentlich zum Leben reichen. Aus der Trennung von ihrem Mann aber resultieren Schulden in einer Gesamthöhe von 35 000 Euro bei zwei Gläubigern. Ihr Ex hatte sich aus der Zahlung verabschiedet, so dass sich die Gläubiger nun an die geschiedene Mutter wenden.

Auf 90 000 Euro Schulden sitzt eine Familie nach der Pleite ihres Kioskbetriebes. Den Eltern, 38 und 39 Jahre alt, reichte das Familieneinkommen für sich und ihre beiden Kinder nicht aus. Der Vater verdient als Spezial-Tiefbaufacharbeiter mit Zulagen und Montagen 2600 Euro netto im Monat. Da auch seine Frau gerne wieder arbeiten und für ein eigenes Einkommen sorgen wollte, machten sich die Eltern zusätzlich mit einem Kiosk selbstständig. Und scheiterten. Vom Vorbesitzer seien sie offensichtlich über den Leisten gezogen worden, glaubt von Hadel.

Relativ selten sei das persönliche Ausgabeverhalten für Überschuldung verantwortlich. Dann wohl eher bei Jüngeren, die mit gerade einmal 18 Jahren oft schon drei Handyverträge hätten. - bö

Quelle: Ruhr Nachrichten vom 04. Januar 2007

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