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Arbeitslosigkeit bei Frauen: "Ich bin mir zu nichts zu schade"

Eine Putzstelle - das ist für viele Frauen über 40 der letzte Ausweg aus der Arbeitslosigkeit. „Ich bin mir zu nichts zu schade”, sagt eine Betroffene. Weil das Geld ja reinkommen muss. In einer Selbsthilfegruppe tauschen sich die Frauen aus.

„Es gibt ganz viele von meiner Sorte. Die was gelernt haben.” Die auch immer ihre Arbeit hatten. Nach der Familienpause dann oft nur noch eine Arbeit. Und plötzlich keine mehr. Die jahrelang funktionierende Bausteine der Gesellschaft waren und jetzt mit Volldampf aufs Abstellgleis rauschen.

Gemeinsam versuchen sie Weichen in Gegenrichtung zu stellen – praktisch, psychosozial: in einer Selbsthilfegruppe für arbeitslose und arbeitssuchende Frauen ab 40.

Das Vertrauen verloren

„Ich glaube, die meisten haben das Vertrauen verloren. Die erzählen es nicht mal in ihrem Bekanntenkreis”. Sagt eine von ihnen. Und selbst die möchte nicht öffentlich ihr Gesicht hinhalten. Weil Arbeitslosigkeit auch ein stückweit soziale Ächtung bedeutet. Nennen wir sie also Claudia S. Sie lacht – immerhin: sie sieht mit ihren 52 gut aus, wirkt energisch. „Im Vorstellungsgespräch – da würd' ich doch ganz anders 'rüberkommen. Aber die laden mich ja gar nicht ein.” Jahrgang 57? Abgehakt.

Außerdem gilt sie inzwischen als „Ungelernte”, zu lange 'raus aus dem eigentlichen Beruf Schauwerbegestalterin. 16 Jahre hat sie das gemacht. 1988: Familienpause. „Nach drei Jahren ist mir die Decke auf den Kopf gefallen.” Teilzeit, mit familienkompatiblen Arbeitszeiten – das ging als Verkäuferin. Für weitere zehn Jahre Arbeitsleben. Privat: die Scheidung. Beruflich: eine Freistellung. Weiterbildung zur Bürofachkraft. Befristeter Einsatz bei diversen Firmen. „Vermietet” werden über eine Zeitarbeitsfirma. Telefonzentrale, Empfang, Büro. „Das war frustrierend: Ich hatte immer gute Rückmeldungen, aber bekam nie eine Anstellung”.

Letzter Ausweg: Putzen für 7,90 Euro

Letzter Ausweg. Putzen, für 7,90 Euro die Stunde. „Ich bin mir zu nichts zu schade”, sagt sie. Weil das Geld ja reinkommen muss. Ab 2005 wienerte sie im Klinikum. Und ließ sich 2006 in den Betriebsrat wählen. Daran macht sie heute ihr Scheitern fest. Jede interne Bewerbung weg von Putzeimer und Lappen habe spätestens vor Ablauf der Probezeit wieder eben dort geendet. Mal sei sie als übermotiviert eingestuft worden, mal habe es angeblich Beschwerden gegeben. Claudia S. fühlte sich gemobbt. Wurde krank. Im September 2009 unterschrieb sie einen Aufhebungsvertrag.

Diese Geschichte sprudelt ohne Punkt und Komma. Gearbeitet hat sie, verarbeitet nicht. Fehlende Anerkennung trotz Einsatz - das nagt am Selbstwert. Den wieder aufzubauen – dazu ist die Arbeitslosigkeit kein gutes Feld. Sie engagiert sich, auch ehrenamtlich. „Ich brauche einfach eine Aufgabe, nicht nur wegen des Geldes.” Aber auch. Zumal sie das Haus samt Schulden hat, inklusive der Verantwortung für ihre Eltern. „Solange die leben kann ich das nicht verkaufen.” Dass sie jeden Cent dreimal rumdrehen muss? Auf Unterstützung angewiesen ist? Auf Einladungen? Sie versucht dem mit einer Handbewegung einen Anstrich der Leichtigkeit zu geben. Aber Scham wiegt schwer. Das liest man in ihren Augen. Die sind vom Lächeln weit entfernt.

"Wenn ich tanze, lebe ich"

Was sie sich gönnt? Einen kurzen Moment lang wird sie weich, lässt die Anspannung los. „Tanzen. Wenn ich tanze, dann lebe ich”. Schlüpft in eine andere Rolle, dann dreht sich die Welt, leicht. Die restliche Zeit funktioniert sie, ein Aufziehmännchen. Ihre Energie, ihr Humor, beides spürbar trotz der zusammen gebissenen Zähne, verpuffen, so ohne greifbare Alternative. „Büro, Empfang, das wär schön”, sagt sie leise. Und reißt sich wieder zusammen. „Ich würd' auch alles andere machen...”

Sie ist erst seit vier Monaten arbeitslos. Und keine, die sich leicht ins Bockshorn jagen lässt. „Aber ich finde nichts. Nicht mal im Reinigungsbereich”. Fassungslosigkeit. Erst recht, seit sie die Schicksale der anderen Frauen in der Gruppe kennt. „Zwei Jahre arbeitslos, sechs, zehn Jahre. Intelligente Frauen! Die sind alle top drauf!” Außer psychisch, schränkt sie ein. Weil das an der Selbstachtung kratzt. Das Wollen, Können – und nicht Dürfen. Und dadurch immer weiter den Anschluss verlieren, nicht Schritt halten können mit den Anforderungsprofilen. Und immer öfter Angst haben zu müssen, den Zug ganz zu verpassen.

Die Selbsthilfegruppe für arbeitslose und arbeitssuchende Frauen ab 40 Jahren trifft sich regelmäßig freitags von 13.30 bis 15 Uhr in der Selbsthilfekontaktstelle Dortmund, Friedensplatz 8. Hier wird ein Netzwerk der Hilfe und Informationen aufgebaut, werden Erfahrungen ausgetauscht, neue Ideen entwickelt.

Quelle: Der Westen vom 22.01.10

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