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Arbeitsbedingungen: Huren gingen vor 35 Jahren auf die Straße

Vor 35 Jahren gingen die Huren auf die Straße - diesmal, um einen Strich zu ziehen. Noch heute kämpfen sie für bessere Arbeitsbedingungen.

Deutschlands Huren stöckelten in kleinen Schritten auf bessere Arbeitsbedingungen zu: Prostitution ist seit 1927 legal, sagt Jutta Geißler-Hehlke (62), Leiterin der Dortmunder Mitternachtsmission. 1964 wurde sie steuerpflichtig. Der Streik der Sexarbeiterinnen 1975 wurde niedergeknüppelt - seither steht der 2. Juni als Hurentag im Kalender. Erst 2002 wurde das Gewerbe als solches anerkannt, rechtlich zumindest. Sexarbeiterinnen wurden die gleichen Rechte eingeräumt, wie anderen Arbeitnehmerinnen und Selbstständigen.

Nina (32) bietet ihre sexuelle Dienstleistung selbstbewusst an. Sie hat ein Gewerbe angemeldet, zahlt Steuern, ist krankenversichert. Ihr Arbeitsplatz ist eine extra gemietete Wohnung; Privat und Arbeit - streng getrennt. Sozialrechtliche Gleichstellung - „ein Riesenfortschritt“, sagt sie. Dass sie trotzdem gefangen ist in dem, was früher sittenwidrig hieß und dem bis heute der Geruch aus Schmutz und Scham anhaftet? Bestes Beispiel: die eigene Mutter, der sie in einer schwachen Stunde gestanden hat, dass sie eben nicht als medizinisch-technische Assistentin, sondern als Prostituierte arbeitet. Die nimmt zwar gerne das Geld für den Mallorca-Urlaub - besuchen darf Nina sie nicht mal zum Muttertag.

Das Prostitutionsgesetz ist nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zur sozialen Gleichstellung, sagt Jutta Geißler-Hehlke. Zwei Schritte vor, einer zurück: Der Konkurrenzdruck auch auf dem horizontalen Arbeitsmarkt wächst, „billige“ Sexarbeitskräfte aus den neuen EU-Ländern, Gesundheitsrisiken, Ausbeutung, Gewalt umreißen die Arbeitsbedingungen.

Tonya ist 19. Sie bietet sich in einer Kneipe in der Nordstadt an - das ist im Sperrbezirk, illegal. Mit ihrer Arbeit füttert sie ihre Kinder, ihre Mutter, zwei Schwestern, drei Neffen, den Vater und ihren Ehemann in Bulgarien durch. Sie selbst lebt mit vier Frauen und zwei Kindern in einer überteuerten Zweizimmerwohnung in der Nordstadt. Tonya lebt in der Grauzone - ohne Rechte, ohne Absicherung. Alle drei Monate fährt sie mit dem Bus nach Hause, sieht ihre Kinder. Dann muss sie zurück - die Familie zählt auf sie. Jetzt ist sie schwanger. Und verzweifelt. „Am liebsten möchte ich auf einer Wiese sitzen und mit meinen Kindern spielen“, sagt sie leise. Und weiß: Das wird nie was. „Ich bin die Milchkuh für alle. Ich habe kein Leben. Und wenn ich sterbe, dann muss eine meiner Schwestern ran“.

Heute besuchen die Streetworkerinnen der Dortmunder Mitternachtsmission Frauen wie Nina und Tonya in der Bordellstraße, in Sexclubs und auf dem Straßenstrich. Sie bringen Süßigkeiten, Informationen und machen Mut: Die erkämpften Rechte nicht aufzugeben.

Vor 35 Jahren gingen die Huren auf die Straße - diesmal, um einen Strich zu ziehen. Unter den Mief verschwitzter Heimlichkeit und eine diskriminierende Doppelmoral. Keine schnelle Nummer...

Quelle: Der Westen vom 01.06.2010

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