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Antikriegstag 1. September 2007 in Dortmund

Berichte der Lokalpresse

"Der Krieg befreit von gar nichts"

Die von vielen befürchteten Krawalle am Rande der erneuten Neonazi-Demo am Antikriegstag blieben aus. Gewaltsame Ausschreitungen wie noch am 1. Mai gab es am Samstag nicht.

Die Polizei begleitete sowohl die Neonazis als auch die Demonstration des linken "Bündnisses 28.03." mit einem Großaufgebot. Diesmal nicht unter der Maxime, es könnte zu Ausschreitungen kommen, sondern unter der Überschrift "Es hat am 1. Mai gewalttätige Ausschreitungen" gegeben. Die Polizei war vorgewarnt. Und so verlief das ganze Demogeschehen zwischen 10 und 19.30 Uhr - von kleineren Scharmützeln abgesehen - friedlich.

Kurzfristig hatte DGB-Chef Eberhard Weber am Samstagmorgen überlegt, eine der zentralen Veranstaltungen am Antikriegstag an der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache abzusagen. Denn es goss aus Kübeln, und als Weber kurz nach 11 Uhr selbst ans Rednerpunlt trat, übertönte zudem das Knattern des Polizeihubschrauber in der Luft über der Steinwache jedes Wort.

Für Ernst Söder vom Förderverein Gedenkstätte Steinwache e.V. war "der Aufzug der Neonazis unerträglich". Er forderte die Juristen auf, "einmal politisch zu entscheiden" und rechtsradikale Aufmärsche grundsätzlich zu verbieten. Peter Sowa von der Auslandsgesellschaft NRW unterstrich: "Es ist gut, dass wir hier sind und dass wir weitermachen."

Als dann der katholische Theologe Dr. Eugen Drewermann redete, klarte der Himmel auf. "Der Krieg selbst befreit von gar nichts", betonte Drewermann in seiner bemerkenswerten Rede zum Antikriegstag. Die westliche Welt habe 1989 die Chance vertan, Gorbatschows Angebot zur Abrüstung anzunehmen.

Schuld daran sind in seinen Augen vor allen Dingen die USA. Aber auch Deutschland, Ex-Kanzler Kohl und die Regierung unter Kanzler Schröder und Außenminister Fischer schonte Drewermann nicht. Heute locke man die Bundeswehr zu einem Auslandseinsatz nach dem anderen, aber "am Hindukush verteidigen wir gar nichts. Wir haben in Afghanistan nichts verloren".

Rund 150 Bürger nahmen an der Veranstaltung an der Steinwache teil; bis zu 1000 kamen zum Theatervorplatz, wo das Bündnis Dortmund gegen Rechts und das Friedensforum ebenfalls namhafte Redner zu Gast hatten. Darunter Esther Bejarano, die Vorsitzende des Internationalen Auschwitz-Komitees.

 

Bewegender Appell an die Jugend

"Furchtbar", sagte Esther Bejarano, "ganz furchtbar" fühle sie sich bei dem Gedanken, dass wenige hundert Meter Luftlinie entfernt eine Horde Neonazis aufmarschiere, "um ihre Menschen verachtende Ideologie unters Volk zu bringen". Angst mache ihr das. Große Angst. Aber: "Es macht auch Mut, dass sich so viele junge Menschen gegen Rassismus engagieren."

Esther Bejarano, Hauptrednerin der Kundgebung des Bündnisses Dortmund gegen Rechts und des Friedensforums auf dem Theatervorplatz, ist eine faszinierende Persönlichkeit. Die 82-jährige Jüdin hat die Hölle von Auschwitz überlebt. Ihre Eltern wurden 1941 von den Nazis ermordet - da war sie 16. Ein Jahr später brachten Hitlers Schergen auch ihre damals 20 Jahre alte Schwester um.

Esther Bejarano hätte allen Grund, verbittert und mit Hass erfüllt zu sein. Doch die Vorsitzende des Internationalen Auschwitz-Komitees strahlt Warmherzigkeit aus. Und Kampfgeist. "So lange ich es gesundheitlich kann, werde ich unterwegs sein und meine Geschichte erzählen." Vornehmlich vor jungen Leuten. "Damit sie erfahren, was damals geschehen ist und dass sie so etwas nie wieder zulassen dürfen." Esther Bejarano nimmt das auf sich, obwohl es sie physisch anstrengt und psychisch an Grenzen führt. Sich immer und immer wieder zu erinnern - das wühlt auf, es schmerzt. "Ich kann nach einem Vortrag meist nicht schlafen."

Auch raubt es ihr den Schlaf, dass es Neonazis gibt - und dass sie Demonstrationsrecht genießen. "Das ist eine falsch verstandene Demokratie, die ihnen das erlaubt." Im Herbst will sie erneut in Dortmund vor Schülerinnen und Schülern sprechen.

Als zweiten Hauptredner hatten Bündnis gegen Rechts und Friedensforum Oberstleutnant a.D. Helmuth Prieß eingeladen, der sich vehement gegen Krieg und die Ausländseinsätze der Bundeswehr aussprach.

Diese Einsätze waren auch ein Thema des Demonstrationszuges "Kein Frieden mit Nazis". Das "Bündnis 28.03." und die Antifa-Union hatten dazu aufgerufen. 900 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, überwiegend aus dem autonomen Spektrum, reagierten dort verbal ihren Frust über den Aufmarsch der Neonazis und deren Infrastruktur ab.

Im Vorfeld des 1. 9. hatte es Diskussionen über die Art des Aufrufes zur Demo gegen Rechts gegeben. Kritiker lehnten sie als Gewalt verherrlichend ab. Außerdem war es am 1. Mai nach einer Demo des "Bündnis 28.03." zu massiven Straftaten gekommen.

Die Sorge war dieses Mal jedoch unbegründet: Die Demonstration von der Katharinentreppe durch die City, über die Ruhrallee, Saarland- und Hohe Straße bis zum Platz der Alten Synagoge, verlief störungsfrei. Auch nach dem Ende der Demo - viele Teilnehmer gingen zur Kundgebung auf dem Platz der Alten Synagoge oder in die City - blieb es ruhig.

Aggressives Verhalten und dumpfe rechte Parolen

Weitaus mehr Polizisten als noch in den Jahren zuvor begleiteten die rund 400 Neonazis auf ihrem Marsch durch Dortmund. Letztlich verlief er - bis auf ein paar Rangeleien der Neonazis mit den Einsatzkräften - störungsfrei.

Von der Bevölkerung kaum beachtet, zogen die Neonazis vom Parkplatz an der Speestraße über Union- und Rheinische Straße nach Dorstfeld. Allerdings gab es beim Abmarsch erhebliche Verspätungen. So konnte der Veranstalter der Polizei erst mit Verzögerung 20 Ordner nennen, die über 18 Jahre alt und nicht vorbestraft waren.

Zudem ließ die Polizei die Rechten erst loslaufen, nachdem sie ihre Maskierungen (u.a. Sonnenbrillen) sowie schwarze Fähnchen, deren Fahnenstangen eher massiven Schlagstöcken ähnelten, abgelegt hatten. Die Verspätung: zweieinhalb Stunden.

Nachdem die Neonazis seit geraumer Zeit ihre Bomberjacken und Springerstiefel im Schrank hängen lassen und sich so kleiden, dass sie von den autonomen Linken nicht mehr zu unterscheiden sind, haben sie auch deren Taktik übernommen. So marschierte ganz vorne weg ein schwarz gekleideter Block, ebenso aggressiv beim Grölen rechtsradikaler Parolen wie auch im Verhalten gegenüber der Polizei. Immer wieder kam es zu Rangeleien mit den Beamten. Es scheint, als entferne man sich von dem "geordneten" Auftreten der vergangenen Jahre und zeige nun durchaus Gewaltbereitschaft.

Nicht zuletzt deshalb hat die Polizei dem Neonazi-Aufzug besonderes Augenmerk geschenkt, wenngleich Ingolf Möhring, stellvertretender Polizeipräsident, mehrfach betonte, "dass wir insgesamt weniger Beamte vor Ort haben als am 1. Mai".

Völlig unzumutbar erneut die Einschränkungen für die Bürger. So wurden viele Straßen nicht nur für den Autoverkehr abgeriegelt. Auch der Bus- und Bahnverkehr (etwa die Ost-West-Achse) lag stundenlang lahm.

Quelle: Westfälische Rundschau vom 02.09.07

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