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Sachstand VRR-Sozialticket Anfang Mai 2011

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Eigentlich war ja für Anfang Juni die Einführung einer ermäßigten Monatskarte für Hartz IV-Empfänger, Grundsicherungsempfänger und andere Leistungsbezieher angekündigt. Erst nachdem wir an die Presse gegangen sind, hat der VRR kürzlich das Scheitern seiner bisherigen Pläne offiziell eingeräumt und mitgeteilt, dass es mit einem VRR-Sozialticket erst im Herbst was werden wird. [1] Mittlerweile ist klar, dass die ursprünglich geplante ermäßigte Monatskarte – zuletzt wurde ein Preis von 22,50 € gehandelt - nicht kommen wird.

Zur Vorgeschichte:

Im Januar 2010 hatten Grüne und CDU in der VRR-Verbandsversammlung etwas überraschend die Einführung eines Sozialtickets im gesamten Geltungsbereich des VRR vereinbart. Überraschend für uns insofern, als sich die CDU in Dortmund (wie auch auf Landesebene) sowie die größeren VRR-Verkehrsunternehmen bis dahin nie für ein solches Angebot erwärmen konnten. Entsprechend groß war auch unsere Skepsis. [2] Die SPD im VRR zeigte Anfang 2010 wenig Bereitschaft, sich auf ein solches Vorhaben einzulassen. Und ließt im folgenden nichts unversucht, um die Verwirklichung der Pläne zu verhindern.

Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) ist, das sei hier kurz angemerkt, der größte Verkehrsverbund in Nordrhein-Westfalen. In seinem Verkehrsraum leben allein 7 Mio. Menschen.

Seit der Ankündigung wurde der Start mehrfach verschoben, zuletzt - siehe oben - auf den Herbst 2011. Auf Druck der – von der VRR-SPD aufgestachelten - Verkehrsunternehmen und des Regierungspräsidenten Düsseldorf war im Frühjahr 2010 beschlossen worden, zunächst eine (externe) Marktstudie über die finanziellen Auswirkungen erstellen zu lassen. Diese Studie [3] – in falscher Einschätzung der Lage von einigen der damals Beteiligten nur als Bagatelle angesehen – wartete dann mit Ergebnissen auf, die seitdem ganz schwer wieder aus der Welt zu bekommen sind. Wir kennen das ja schon von vergleichbaren Vorgängen in Dortmund und anderenorts (Freiburg etc.) zur Genüge. Das Ticket wurde von dem beauftragten Institut schlicht kaputtgerechnet.

Es ist immer wieder das gleiche Spiel: Die schmeißen ihre schicken schnellen Rechner an, füttern irgendwelche Daten ein, die sie angeblich empirisch erhoben haben wollen. Anschließend werden schöne bunte Kurven fabriziert, z.B. was die Leute bislang durchschnittlich für den ÖPNV verausgabt haben (sollen) und mit welchen Einnahmeausfällen unter diesen Voraussetzungen bei einem Abgabepreis x oder y zu rechnen wäre, am liebsten natürlich per Powerpoint – und wir sollen staunende Augen machen... Fragt man sie jedoch nach Einzelheiten, nach eingegangenen Prämissen, usw., dann stößt man schnell auf eine Mauer des Schweigens.

An der Skepsis der Unternehmensvorstände gegenüber einem rabattierten Monatsticket änderte auch der Umstand nichts, dass mittlerweile von der neuen Landesregierung in Düsseldorf (rot-grüne Minderheitsregierung) ein Topf zur Bezuschussung von Sozialtickets in NRW geschaffen wurde (ausgestattet mit 30 Mio. € pro Haushaltsjahr). Angeblich sei – so die IVV-Studie für den VRR - mit Mindereinnahmen in Höhe von 35-40 Millionen Euro zu rechnen, plus bis zu 10 Mio. Euro jährlich an Verwaltungskosten. Dem stehen realistischerweise Landeszuschüsse von maximal 15 Mio. € p.a. gegenüber.

Damit war das ermäßigte Monatsticket für die Riege der Kritiker und Skeptiker im VRR bzw. den angehörigen Unternehmen praktisch tot. Schon im April hörten wir, dass die CDU-Fraktion im VRR aufgrund der Zahlen von der o.g. Vereinbarung mit den Grünen abgerückt sei. Hinzu kommt: Die Landes-CDU hatte, ebenfalls im April, nach einer Klausurtagung zum Landeshaushalt von der Landesregierung verlangt, auf die geplante Bezuschussung von Sozialtickets ganz zu verzichten. [4]

Der aktuelle Stand ist folgender:

Die schwarz-grüne Koalition im VRR ist zwar noch nicht offiziell aufgekündigt, besteht aber
de facto nur noch auf dem Papier.

Die Vorstellungen von CDU und Grünen bezüglich eines Sozialtickets liegen mittlerweile weit auseinander. Der grüne Fraktionsvorsitzende Mario Krüger resigniert: „Ich finde dafür keine Mehrheit mehr.“

Viel wahrscheinlicher ist jetzt, dass sich SPD und CDU auf Ebene des VRR zusammentun werden, um eine Minilösung auf den Weg zu bringen. Sie wollen einerseits nicht die vom Land in Aussicht gestellten Zuschüsse zur Einführung von Sozialtickets vorbeiziehen lassen, andererseits aber auch keinen Cent dazutun (weder aus den Etats der beteiligten Kommunen und/oder Verkehrsunternehmen, noch durch Quersubventionierung aus anderen Ticket-Einnahmen [5]). Bei einigen Kommunen handelt es sich allerdings auch um HSK-Gemeinden.

Zum besseren Verständnis sollte man noch folgendes wissen. Die Höhe der Landeszuschüsse soll sich nicht an der Zahl der verkauften Tickets, also der tatsächlichen Inanspruchnahme des neuen „Angebots“, orientieren, sondern an der Gesamtzahl der Berechtigten. So will es die Landesregierung, und das weiß natürlich auch der VRR. Eine passende, entsprechend abgespeckte Lösung muss schnell gefunden werden, weil eine Bezuschussung durch das Land schon in diesem Jahr nur in Betracht kommt, wenn dem Ministerium bis zum 30.6. ein verbindlicher Beschluss zur Einführung eines „Sozialtickets“ vorgelegt wird. Die Landeszuschüsse eingerechnet, soll jedoch auf jeden Fall unter dem Strich für den Verbund eine Null herauskommen.

Die SPD hat nach fieberhafter Suche das „Hannoveraner Modell“ ins Spiel gebracht. Dieses liefe darauf hinaus, dass der/die Betreffende zunächst eine Basis- oder Kundenkarte kauft, die ihn/sie dann berechtigt, bestimmte ausgewählte Fahrscheine zu vergünstigten Preisen zu erwerben.

Mittlerweile favorisiert die VRR-SPD nach einem uns vorliegenden Papier eine Lösung, die sich nur noch an das Hannoveraner Modell anlehnt. [6] Die Idee einer monatlich zu erwerbenden Basis- oder Grundkarte, die dann zum Kauf ermäßigter Fahrscheine berechtigt, wurde verworfen, weil diese eine „zu hohe Hemmschwelle“ bilde. [7]

Die Berechtigungskarte soll nun nur 1x gekauft werden müssen (für 10 €). Da dieses Zugeständnis – unter o.g. Maßgaben – die finanziellen Spielräume deutlich einengt, soll es als ermäßigtes Angebot für einkommensschwächere Kunden nur noch einen 20-prozentigen Rabatt auf 4er-Tickets geben (ob nur für die unterste Preisstufe A oder für alle Preisstufen, ist noch unklar). Nach den Prognosen der VRR-Verwaltung bewegt sich dieses „Modell“ mit einer erwarteten Mindereinnahme von 14,25 Mio. € pro Jahr noch soeben innerhalb des Zuschussrahmens, den der VRR vom Land erwarten könnte.

Das Ganze wird, wenn es denn so kommt, eine pure Alibi-Veranstaltung. Bislang hat sich noch keiner der VRR-Verantwortlichen getraut, diese Katze aus dem Sack zu lassen. Immerhin tauchte aber vor ein paar Wochen eine erste, fast-amtliche Bestätigung dafür auf, dass wir mit den uns vorliegenden Informationen richtig liegen. In einer aktuellen Stellungnahme des Landesverkehrsministeriums hieß es nämlich:

>> Das Ministerium wird in einer Richtlinie zudem festlegen, welche abstrakten Anforderungen ein Sozialticket erfüllen muss, um den Mobilitätsbedürfnissen der Anspruchsberechtigten zu genügen: (...) Es kann sich dabei um Monatstickets, aber auch um mehrere Tagestickets bzw. 4-er-Tickets (mit entsprechender Kundenkarte zur Legitimation) handeln, wie sie derzeit beim VRR diskutiert werden. << (aus Landtags-Drucks. Nr. 15/490 v. 24.3.11, S. 4)

Mit dieser Mitteilung an die Landtags-Abgeordneten signalisierte die rot-grüne Landesregierung, und das ist nicht minder skandalös, dass sie eine solche Mogelpackung der VRR-SPD mittragen wird. Unsicherheiten bestehen nur noch, ob der Landeshaushalt für 2011 so wie geplant durchkommt.

Während Schüler und Senioren seit Jahr und Tag mit vergünstigten Monatskarten durch den Verbund reisen dürfen, sollen Arbeitslose und GeringverdienerInnen also offenbar mit ein paar ermäßigten Vierertickets abgespeist werden! [8]

Man darf zurecht befürchten, dass die 15 Millionen - ganz oder teilweise - im VRR einfach versickern werden, wenn diese Pläne Wirklichkeit würden. Zumal wir die Kalkulation der VRR-Verwaltung für das von der SPD favorisierte „Modell“ rechnerisch ohnehin nicht überprüfen können.

Die Grünen im VRR haben sich – soweit wir das beurteilen können - redlich bemüht, letztlich aber ihre Möglichkeiten gründlich überschätzt. Zu den aktuellen Plänen sind sie auf Distanz gegangen - aber letztendlich wird es auf sie nicht ankommen, wenn sich SPD und CDU auf diese oder eine ähnliche Mogelpackung einigen sollten.

Sozialticket auf VRR-Ebene – war da mal was????

Wir haben angesichts dieser Entwicklungen im Dortmunder Sozialforum beschlossen, wieder verstärkt in Sachen Sozialticket tätig zu werden und 1. zunächst ein Flugblatt zu machen, das wir am 1. Mai und sonstwo verteilen 2. zu versuchen, unsere bisherigen Bündnispartner für eine erneute Kampagne auf lokaler Ebene zu gewinnen – für ein Sozialticket, das diesen Namen wirklich verdienen würde.

Am 23. Mai wird in Bochum unter Trägerschaft des DGB Region Ruhr-Mark ein „Ratschlag“ unter dem Titel 'Wo bleibt das VRR-Sozialticket?' stattfinden, eine weitere Veranstaltung am 28. Mai in Moers am Niederrhein. [9] Angedacht ist ferner eine gemeinsame Kundgebung der im VRR-Raum noch aktiven Sozialticket-Initiativen am Verwaltungssitz des VRR, und zwar einen Tag vor der (abgesagten) Einführung am 1. Juni. Wenn wir – zumindest derzeit – in der Sache substantiell nichts mehr erreichen können, wollen wir wenigstens zusehen, dass sich der VRR (samt der für diesen Beschluss verantwortlichen Parteien) mit dem Pseudo-Angebot bis auf seine Knochen blamiert.

Weiterführende Infos und Einschätzungen:

Berichterstattung in der Presse (chronologisch):


Weiterführende Websites:


An die IVV-Studie sind wir leider immer noch nicht drangekommen. Wir haben nur eine Powerpoint-Präsentation über die Studie, die wir Euch auf Wunsch gerne zur Verfügung stellen können (44 Seiten, 1875 KB)

Und noch ein paar aktuelle Nachträge:

a.) zum Stand beim „Un-Sozialticket“ in Dortmund

Der Preis für die ermäßigte Monatskarte (Abo, erst ab 9 Uhr nutzbar) beträgt mittlerweile 32 €. Von den ehemals über 24.000 Abonnenten (für das 15-Euro-Ticket) sind noch knapp 8.000 übrig geblieben.

Die - faktische - Abschaffung des Sozialtickets hat auch einen deutlichen Rückgang der DSW-Fahrgastzahlen zur Folge: Nach 139,2 Mio. 2008 und 143,3 Mio. 2009 haben im vergangenen Jahr nur noch 135,1 Mio. Personen Bus und Bahnen in Dortmund benutzt. [10] Vor allem anhand dieser Zahlen wird das Ausmaß des unbefriedigten Mobilitätsbedarfs deutlich, wenn ein auch für Leistungsbezieher und GeringverdienerInnen finanziell verkraftbares Tarifangebot fehlt.


b.) Aus dem näheren Umfeld weiß ich, dass

  • Die Verkehrsbetriebe Aachen kurz vor Einführung eines Sozialtickets stehen
  • neben Köln auch Bonn im VRS ein Sozialticket hat, und zwar ebenfalls in Form rabattierter 4er-Tickets und einer ermäßigten Monatskarte (Preis angeblich 37,25 €). Die restlichen 50 % (bzw. die Differenz zu den tatsächlichen Kosten) übernimmt die Stadt Bonn.
  • der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) derzeit prüft, ob das Angebot auf weitere Teile des Verbundraums ausgedehnt werden kann. Relativ sicher ist offensichtlich, dass das Kölner Sozialticket auf weitere Preisstufen ausgedehnt wird, wenn die versprochenen Landesmittel kommen.


Heiko Holtgrave, Dortmund 5. Mai 2011

AKOPLAN - Institut für soziale und ökologische Planung e.V.
Mitglied im Dortmunder Sozialforum

www.akoplan.de
Huckarder Str. 10-12,
44147 Dortmund
Tel. 0231/33 67 173 (neu)
Fax nur nach tel. Anmeldung


  1. http://agora.free.de/sofodo/themen/allgem-gesamt/vrr-bestaetigt-verschiebung-des-sozialtickets
  2. s. unsere Stellungnahme vom Februar 2010 unter: http://agora.free.de/sofodo/ueber-uns/publikationen/dokumentationen/stellungnahme-zur-angekuendigten-einfuehrung-eines-vrr-201csozialtickets201d-und-zum-widerstand-aus-den-vorstandsetagen-der-verkehrsunternehmen
  3. Marktstudie zur Einführung des SozialTickets im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, durchgeführt durch die IVV Ingenieurgruppe GmbH & Co KG, Aachen
  4. s. http://www.derwesten.de/nachrichten/politik/NRW-CDU-fordert-Sparanstrengungen-von-Rot-Gruen-id4508149.html
  5. Eine solche „Quersubentionierung“ von Ticketarten ist in anderen Bereichen durchaus üblich: siehe Bärenticket (64,90 € monatlich für Preisstufe D und 1. Klasse), SchokoTicket für Selbstzahler (28,70 €, ebenfalls für Preisstufe D) und SchokoTicket Aufzahlung, also mit Eigenanteil. Preisstand 2011. Bei anderen Ticketarten ist die Quersubvention nur nicht so ganz einfach nachweisbar.
  6. s. VRR-Präsentation „Neue SozialTicketüberlegungen im VRR (für SPD-Fraktion), Stand: 13.4.2011
  7. a.a.O., Seite 6
  8. Vgl. oben Fußnote 4
  9. http://agora.free.de/sofodo/static/text/Forum-Sozialticket-Moers.pdf
  10. s. http://agora.free.de/sofodo/themen/do-spez-1/kommunale-pol/bus-und-bahn-in-dortmund-dsw-meldet-weniger-fahrgaeste und http://www.ruhrnachrichten.de/lokales/dortmund/lokalnachrichten_dortmund/Deutlich-weniger-Fahrgaeste-in-Bus-und-Bahn;art930,1267416

 

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