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Stellungnahme zur angekündigten Einführung eines VRR-“Sozialtickets” und zum Widerstand aus den Vorstandsetagen der Verkehrsunternehmen

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Man kann und muss die von den Fraktionen von CDU und Bündnis90/Die Grünen in der Verbandsversammlung des VRR per Koalitionsvereinbarung angekündigte Version eines verbilligten Tickets für in Arbeitslosigkeit und Armut gedrängte Menschen durchaus kritisieren.

Es lässt sich auch trefflich spekulieren, welche (wahl-)taktischen Überlegungen eine CDU, bisher im VRR und vielerorts entschiedene Gegnerin eines Sozialtickets, dazu bewogen haben mögen, hier und jetzt ein verbilligtes Ticket zu befürworten. 

Die Art und Weise jedoch, mit der verschiedene Verkehrsunternehmen wie die Rheinbahn, BOGESTRA oder die Dortmunder DSW21 mit großem Medienecho gegen die beabsichtigte Einführung eines Sozialtickets im VRR stänkern, ist unerträglich. Trotz billiger Beteuerungen, dass sie “nicht[s] gegen ein Sozialticket” (DSW21-Chef Pehlke) hätten, richten sie sich offensichtlich gegen jede Form eines Sozialtickets, das nach eigener, äußerst anfechtbarer Kostenrechnung nicht “kostenneutral” ist. Mit gezielter Desinfomation suggerieren sie, dass das avisierte Angebot nur über Leistungsreduzierungen, Einsparungen im Personalkostenbereich oder Tarifanhebungen (für normale Kunden) zu stemmen sei. Und versuchen damit demagogisch, einen Keil zwischen die verschiedenen Kundengruppen bzw. zwischen Kunden auf der einen und ÖPNV-Beschäftigten auf der anderen Seite zu treiben. Allerdings: Die schwarz-grüne VRR-Koalitionsvereinbarung liefert ihnen dazu auch einige Ansatzpunkte. 

Wenn das 23-Euro-Ticket (tageszeitlich unbegrenzt/Preisstufe A2; in der 9-Uhr-Version 16 Euro) tatsächlich beschlossen werden sollte, wäre es für in Arbeitslosigkeit und Armut gedrängte Menschen in den vielen VRR-Städten und -Kreisen, die bisher nichts dergleichen hatten, ein kleiner, nichtsdestotrotz begrüßenswerter Fortschritt in eine richtige Richtung. Mehr noch nicht. 

Denn: Hartz IV (SGB II) und SGB XII weisen für einen alleinstehenden Erwachsenen 11,49 Euro als angeblich ausreichenden “menschenwürdigen” Regelbedarf für den Öffentlichen Nahverkehr aus. Für Paare in Lebensgemeinschaft, junge Erwachsene, Jugendliche und Kinder noch deutlich weniger. Das jetzt von Schwarz-Grün propagierte 23-Euro-Ticket wird also mehr als das Doppelte von dem kosten, was die politischen Parteien, die Hartz-IV zu verantworten haben, für den Nahverkehr zugestehen. Als “sozial” lässt sich das nur mit einer gehörigen Portion Unverfrorenheit verkaufen. Viele Anspruchsberechtigte werden sich dieses Ticket nicht leisten können, und verbilligte Vierertickets als mögliche Alternative werden nicht angeboten. 

Die schwarz-grüne Festlegung auf "Kostenneutralität" lässt den Verdacht zu (schließlich haben wir in Dortmund da einschlägige Erfahrungen), dass es nach den NRW-Wahlen und wenige Wochen nach Einführung des Tickets heißen könnte: "Die kostenneutrale Rechnung ist nicht aufgegangen, wir müssen nach oben anpassen ...". Die laufende Gegenkampagne der ÖPNV-Vorstände liefert dafür schon jetzt die Argumentationsmuster. Für die NRW-CDU wäre das dann unterm Strich ein preiswerter Wahlwerbe-Gag gewesen. 

Das Sozialforum Dortmund und andere vielerorts aktive Sozialticket-Initiativen haben immer betont, dass ein Sozialticket, das den Namen verdient, “kostenneutral” nicht zu haben ist. Wir haben mit Hinweisen nicht gespart, wie sich ein Sozialticket finanzieren ließe (solange die Hartz-IV-Regelsätze nicht auf das erforderliche Niveau gehoben sind). Die Vorschläge gehen in eine ganz andere Richtung als die von den Vorständen der Verkehrsbetriebe suggerierte: Für den über sozialticketbedingte Mehreinnahmen hinausgehenden Finanzierungsbedarf müssen die zur Kasse gebeten werden, die Massenerwerbslosigkeit, Dumpinglöhne und Verarmung zu verantworten haben und von der nicht zu leugnenden massiven Einkommensumverteilung von unten nach oben reichlich profitieren. 

Einige in der schwarz-grünen "Koalitionsvereinbarung" angedeuteten Finanzierungsbeiträge (Verteuerungs"spielraum" bei Preisstufen C und D, Verteuerung oder Abschaffung beim Bärenticket, Überprüfung "diverser preisintensiver Zusatzleistungen" des derzeitigen Ticketangebots) sind demgegenüber eine Steilvorlage für alle, die ein Sozialticket verhindern möchten. Sie fordern geradewegs dazu heraus, die von Verteuerungen/Verschlechterungen betroffenen ÖPNV-NutzerInnen gegen das Sozialticket aufzuhetzen. Die haben aber die Armuts- und Ausgrenzungsmisere genausowenig zu verantworten, wie die Sozialticket-Berechtigten selbst. Und sollen nun die Zeche zahlen? Nein! Ebensowenig, wie ein Sozialticket zu Lasten der Beschäftigten gehen darf. Wenn Verkehrsvorstände jetzt versuchen, ihre Schubladenpläne für weitergehendes Lohndumping im ÖPNV auf ein Sozialticket als Sündenbock zu schieben, weisen wir das entschieden zurück. Eine sozialticketbedingte deutlich höhere Nutzung des ÖPNV – wie in Dortmund empirisch nachweisbar – wird vielmehr sowohl zur Beschäftigungssicherung wie auch zu besseren gewerkschaftlichen Ausgangspositionen hinsichtlich Sicherung und Verbesserung der Einkommens- und Arbeitsbedingungen der ÖPNV-Beschäftigten führen. 

Auf kommunaler Ebene käme eine deutlich weitergehende differenzierte Erhöhung der Gewerbesteuer - auf breiter Front der Kommunen - dem Kreis der Verantwortlichen für Massenerwerbslosigkeit und Verarmung schon sehr nahe. Doch die Kommunalpolitiker der maßgeblichen Parteien jammern lieber über die (reale) finanzielle Ausblutung der Kommunen, unternehmen aber effektiv nichts dagegen. Sie lassen stattdessen ihrerseits öffentlich Beschäftigte und Erwerbslose bluten. 

Die zig-Millionen schwere Subventionierung städtischer Leuchturmprojekte - Stichworte für Dortmund: Flughafen, Goldenes U, Phoenix-See etc.pp. – ist in Frage zu stellen. Vielfach Projekte, deren Nutzung für das untere Einkommensdrittel der Dortmunder Bevölkerung gar nicht bezahlbar ist und zu denen es sich - ohne Sozialticket - nicht mal die Fahrt leisten kann. Priorität muss in Dortmund das Projekt “Soziale Stadt” haben und - als wesentlicher Bestandteil - ein echtes Sozialticket. 

Bezeichnend ist, dass der DSW21-Vorstand nun auch gegen das verbilligte Ticket im VRR mit dem Kostenargument zu Felde zieht, über die riesigen Belastungen der Unternehmensbilanz durch Flughafen und Phoenixsee aber kein Wort verliert. Wenn ein Herr Pehlke, als DSW21-Chef auch Aufsichtsratsvorsitzender des hochsubven-tionierten Dortmunder Flughafens, in Bezug auf das inzwischen beerdigte Dortmunder 15-Euro-Sozialticket vom “Spaß” sprach, “den der Rat der Stadt Dortmund bestellt und den er gefälligst auch zu bezahlen” habe und vom sozialpolitischen “Räppelchen” einiger Kommunalpolitiker, lässt sich das nur als blanker Zynismus bezeichnen. 

Mobilität ist ein existenzielles Bedürfnis. Zumindest innerhalb der eigenen Stadt, des eigenen Kreises mobil zu sein, stellt eine Grundvoraussetzung zur Mindestteilhabe am gesellschaftlichen Leben dar. Neben der Kommunalpolitik stehen dafür auch die kommunalen Verkehrsbetriebe in der Verantwortung.

Sozialforum Dortmund Dortmund, 18.02.2010

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