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Hartz IV für die Ewigkeit

Es gibt bekanntlich immer zwei Seiten einer Medaille. Beim Thema Ausbildungsplätze unterschlägt nach Ansicht der Gewerkschaft ver.di die Industrie- und Handelskammer eine.

Ein Plus bei den Ausbildungsverträgen von 4,1% im Vergleich zum Vorjahr vermeldete die Kammer stolz (wir berichteten). "Das ist sicherlich eine tolle Geschichte. Den Unternehmen, die ausbilden, gebührt dafür Respekt und Lob", sagt Michael Kötzing, Jugendsekretär bei ver.di im Bezirk Dortmund. "Doch was uns wahnsinnig ärgert, ist, dass die andere Seite nicht dargestellt wird. Dadurch spielt die Kammer das Thema herunter." Denn die andere Seite der Medaille ist für Kötzing, dass es auch viel mehr Ausbildungssuchende gibt als vor einem Jahr. "Das blendet die Kammer völlig aus." Darüber hinaus würden viele unversorgte Jugendliche in den Bildungskollegs "geparkt" und "die platzen aus allen Nähten. Die werden mittlerweile fünfzügig geführt, mit 30 bis 35 Leuten pro Klasse."

Von 1500 unversorgten Jugendlichen allein in Dortmund geht der 29-Jährige aus, 1500 zu viel, "denn wer heute keine Ausbildung hat, sitzt für die Ewigkeit in Hartz IV fest". Da meint Kötzing pragmatisch: "Lieber irgendeine Ausbildung als keine". Wenn viele Unternehmen zum Teil durchaus zu Recht die mangelnde Ausbildungsfähigkeit der jungen Bewerber kritisierten, so müssten sich manche Betriebe auch an die eigene Nase fassen. So wurde der Gewerkschafter kürzlich von einem Berufsschüler ernsthaft gefragt, ob es korrekt sei, wenn ihm sein Arbeitgeber 100 Euro vom Lohn abziehe und er drei Tage nacharbeiten müsse, weil er drei Tage krank war. Oder wenn Azubis für jeden Fehler fünf Euro in eine Kaffeekasse geben müssen. Oder 50 bis 60 Wochenstunden arbeiten selbstverständlich ist. "Wenn das Einzelfälle sind, gibt es jedenfalls eine ganze Menge davon", so Kötzings Erfahrung aus seiner täglicher Beratungspraxis. Für ihn ist die Beratung zum Teil frustrierend. "Denn ich kann zwar gute Ratschläge erteilen, die Konsequenzen muss aber der Azubi ertragen". Das könnte bei einer Klage bei der Schlichtungsstelle oder dem Arbeitsgericht der Verlust der Lehrstelle sein.

Für den Ausbildungsmarkt sieht der gelernte Bankkaufmann im Übrigen für das nächste Jahr noch schwärzer, " wenn das denn geht. "Wegen der Studiengebühren werden manche Abiturienten erstmal eine Ausbildung machen. Die nehmen den Haupt-, Real- und Gesamtschülern dann die Ausbildungsplätze weg."

Für das große Problem der mangelnden Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen hat Kötzing auch kein Patentrezept. "Das ist vor allem Aufgabe der Bildungspolitik wie Pisa gezeigt hat." Er befürwortet es durchaus, dass Unternehmen verstärkt in die Schulen gehen, wohl wissend, dass das mancher Gewerkschafter das anders sieht. "Die sagen, Schule ist ein neutraler Ort, da haben Unternehmer nix zu suchen." Doch Kötzing ist sicher, dass Unternehmen durch eine entsprechende Präsentation Schüler für Berufe begeistern können.

ver.di selbst hat in den letzten drei Jahren rund 4000 Schüler über Bewerbungstraining und Berufs- und Lebensplanung erreicht. Denn mancher geht doch recht blauäugig an seine Berufswahl ran. "Da will ein Hauptschüler Arzt werden, ein anderer will als Popstar reich werden", so Kötzings Erfahrung. Die Beratung bringe die Jugendlichen auf den Boden zurück. - Bettina Kiwitt

Michael Kötzing ist in der ver.di-Verwaltungsstelle am Königswall 36 unter Tel. 91 30 00 22 oder E-Mail michael.koetzing(ät)verdi.de zu erreichen. Jeder Jugendliche erhält eine Erstberatung, Rechtsberatung gibt es jedoch nur für ver.di-Mitglieder.

Quelle: RN vom 06. Oktober 2005

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