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Wohlfahrtsverband fordert höheres ALG II

Musterklage für höhere Sätze in der Sozialhilfe und beim Arbeitslosengeld II geplant

Der Paritätische Wohlfahrtsverband will eine Musterklage gegen die Höhe des Regelsatzes, der Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II bestimmt, bis vor das Bundesverfassungsgericht unterstützen. Geschäftsführer Ulrich Schneider sagte, man wähle derzeit einen Kläger aus, der den Belastungen eines solchen Verfahrens auch gewachsen ist.

Berlin · 24. Juni · Es sei unerlässlich, den Regelsatz um 19 Prozent zu erhöhen, sagte Schneider - von derzeit 345 Euro im Westen auf 412 Euro im Monat. Außerdem sei es nicht mehr angemessen, den Satz in Ost und West zu splitten. Auch in den Neuen Ländern müsse der erhöhte Regelsatz den Berechnungen staatlich garantierter Existenzsicherung zugrunde liegen. Zum einen hätten sich die Lebensverhältnisse in Ost und West mittlerweile angeglichen, zum anderen könne man sich laut Schneider "14 Jahre nach der Vereinigung die Spaltung des Landes politisch nicht mehr leisten".

Der jetzige Regelsatz sei "verfassungsrechtlich bedenklich", weil er jene acht Prozent der Bevölkerung in Deutschland, die als Bezieher von ALG II oder Sozialhilfe davon abhängig sind, in Armut leben lasse. "Das Geld reicht nicht", so Schneider, "um vor Ausgrenzung in dieser Gesellschaft zu schützen." Deshalb werde man "eine Musterklage zur Höhe des Sozialhilfesatzes nötigenfalls durch alle Instanzen unterstützen". Schneider erhofft sich neben einem im Sinne des Sozialverbands positiven Ausgang des Verfahrens eine "öffentliche Diskussion darüber", was ein arbeitsloser oder arbeitsunfähiger Mensch zu einem Leben in Würde in Deutschland braucht.

Der Bundesregierung wirft der Verband einen "manipulativen und unseriösen Umgang mit den statistischen Grundlagen" vor. Zwar sei von Seiten der Regierung stets betont worden, der Regelsatz orientiere sich an Einkommens- und Verbrauchsstichproben, aber letztendlich sei die Höhe der politischen Willkür und den Sparzwängen der Haushälter unterworfen gewesen. Als nicht hinnehmbar empfindet es der Verband zudem, dass über die Höhe des Regelsatzes nicht etwa der Gesetzgeber nach öffentlicher Debatte im Parlament befindet, sondern "in den Hinterzimmern von Ministerien" bestimmt wird. Nötig sei stattdessen, dass die Parteien offen Rechenschaft ablegen darüber, was sie zur Bekämpfung der Armut zu zahlen bereit sind.

Forderungen nach einem niedrigeren Arbeitslosengeld II kann Schneider nicht nachvollziehen. Wer so argumentiere, "ist ganz weit weg von den Menschen, die darauf angewiesen sind". Vor allem die Situation von Familien mit Kindern habe sich deutlich verschlechtert, weil wiederkehrende einmalige Leistungen nicht mehr wie früher auf Antrag gewährt werden können, sondern für Kleidung oder einen unvorhergesehenen Schulausflug Pauschalen gezahlt werden, die laut Schneider "geradezu lächerlich gering" seien. Nach Angaben des Verbandes bekommen Schulkinder nach den derzeitigen Regelsätzen für Schulmaterial 1,33 Euro und für Spielzeug 1,56 Euro pro Monat.

Sozialhilfe und ALG II:
Der Regelsatz bestimmt die Lebensverhältnisse von 6,4 Millionen Menschen, die von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II abhängig sind. Davon abgeleitet sind aber auch Freibeträge in der Einkommensteuer oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz

VON THOMAS MARON

Existenzfrage

KOMMENTAR: ARMUT - Von Katharina Sperber

War da was, in diesem kalten Frühjahr? Oh ja, die Bundesregierung legte den Armuts- und Reichtumsbericht vor - etwas verschämt. Denn die beiden wesentlichen Ergebnisse lauteten, dass sich die Schere zwischen Vermögenden und Habenichtsen im Land weiter öffnet und das Risiko steigt, in Armut zu fallen. Die für den Report zuständige Ministerin Ulla Schmidt (SPD) überließ damals die Präsentation der Zahlen einem ihrer Staatssekretäre. Und atmete hernach auf. Weil bald niemand mehr über das Papier sprach, ein paar Fachwissenschaftler und Lobbygruppen ausgenommen.

Doch es wird der Bundesregierung nichts nützen, den unter den Teppich gefegten Skandal weiter wie lästigen Kehricht zu behandeln. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat nun erklärt, einen Kläger zu unterstützen, der den geltenden Regelsatz für Sozialgeld und Arbeitslosengeld II von einem Gericht prüfen lassen will. Man wird den Richtern in ihrer Entscheidung nicht vorgreifen dürfen. Aber es ist gut, wenn in einem solchen Prozess Armut nicht mehr nur abstrakt gesehen wird, sondern ein menschliches Gesicht bekommt.

Dann lässt sich ermessen, was es bedeutet, von einer "Grundsicherung", wie sie Rot-Grün festgelegt hat, existieren zu müssen. In einem solchen Leben jedenfalls ist der Dorn schon im allerletzten Loch des Gürtels.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 25.06.05

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