Benutzerspezifische Werkzeuge
Sie sind hier: Startseite Soziale Lage / Sozialpolitik Erwerbslos / Hartz ... Ein-Euro-Jobs Klagen gegen Ein-Euro-Jobs

Klagen gegen Ein-Euro-Jobs

Bundessozialgericht stärkt Hartz-IV-Kritiker und Gegner von »Arbeitsgelegenheiten«. Die IG BAU hat ihre Mitglieder zu rechtlichen Schritten aufgerufen

Wenn ein Hartz-IV-Empfänger dazu gedrängt wird, einen unzulässigen Ein-Euro-Job anzunehmen, dann stehen seine Chancen sehr gut, den branchenüblichen Tariflohn zu bekommen. Wehrt er sich, kann er sich künftig auf zwei richtungsweisende aktuelle Urteile des Bundessozialgerichts berufen (Az: B 14 AS 98/10 R; B 14 AS 101/10 R).

Nach den kürzlich veröffentlichten Entscheidungen steht Ein-Euro-Jobbern der Tariflohn zu, wenn ihre Arbeit dazu geeignet ist, eine reguläre Stelle zu verdrängen. Denn Langzeiterwerbslose dürfen laut Sozialgesetzbuch nur in eine zusätzliche Stelle vermittelt werden, die im öffentlichen Interesse liegt – eine »Arbeitsgelegenheit« also, die es sonst in dieser Form nicht geben würde. Das Gericht hatte über die Klage eines Betroffenen aus Mannheim zu entscheiden, der in seinem Ein-Euro-Job als Umzugshelfer eingesetzt worden war. Es habe sich hier nicht um zusätzliche Arbeiten gehandelt, stellten die Richter fest. Der Mann bekommt jetzt den einem Umzugshelfer zustehenden Tariflohn erstattet.

Nach Ansicht der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) haben die Richter damit ins Schwarze getroffen. Nun empfiehlt die Gewerkschaft ihren Mitgliedern, Massenklagen für Tariflohnnachzahlungen auf den Weg zu bringen. Sie könnten dafür den Rechtsschutz der DGB-Gewerkschaften in Anspruch nehmen, teilen in diesen Tagen zahlreiche örtliche IG-BAU-Bezirksverbände ihren Mitgliedern mit.

Im Kasseler Urteil und in der schon zuvor vom Bundesrechnungshof getroffenen Feststellung, daß bei etwa der Hälfte aller Ein-Euro-Jobs bundesweit die Voraussetzungen für eine staatliche Förderung fehle, sehen nun Kritiker von Ein-Euro-Jobs neue Bestätigung. »Bisher sind dadurch bundesweit rund 150000 reguläre Arbeitsplätze weggefallen«, monierte ein IG-BAU-Sprecher.

In der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden fehlen nach Recherchen der Gewerkschaft gar bei drei Viertel aller örtlichen Ein-Euro-Jobs die Voraussetzungen für eine staatliche Förderung. Die Kommune hatte in den letzten Jahren im Zusammenhang mit Ein-Euro-Jobs mehrfach Schlagzeilen gemacht. CDU und SPD, die jetzt für die kommenden fünf Jahren eine Rathauskoalition vereinbart haben, wollen den bisherigen Kurs fortsetzen.

Kritiker weisen seit langem darauf hin, daß die Wiesbadener Stadtverwaltung zahlreiche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze durch Ein-Euro-Jobs ersetzt habe, und beklagen dies als einen mit Bundesmitteln öffentlich subventionierten Abbau von regulären, versicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. So seien seit der Umsetzung der Hartz-Gesetze in der direkten Verantwortung der Stadt mindestens 100 versicherungspflichtige Arbeitsplätze direkt oder indirekt abgebaut, verdrängt oder nicht wieder besetzt worden, erklärt die örtliche IG BAU. Dies betreffe insbesondere Arbeiten in Grünanlagen, Hausmeistertätigkeiten in Schulen und Bürgerhäusern sowie Küchenarbeiten und andere Aushilfs­tätigkeiten in Kindertagesstätten. Dazu kämen ähnliche Effekte durch weitere 650 vernichtete Jobs bei anderen Trägern vor Ort etwa im Sozial- und Pflegebereich. Auch der örtliche ver.di-Bezirk teilt die Ansicht, »daß Ein-Euro-Jobs arbeitsrechtlich und tarifrechtlich gestaltete Beschäftigung aushöhlen und zu einer Verdrängung regulärer Beschäftigung führen« und fordert deren Umwandlung in reguläre Arbeitsverhältnisse. Während allein in Parks und Friedhöfen Dutzende Ein-Euro-Jobber eingesetzt seien, müßten Auszubildende um ihre Übernahme bangen, so ein ver.di-Aktivist.

Der Fall eines Ein-Euro-Jobbers, der im dichtbesiedelten innenstadtnahen Wiesbadener Rheingauviertel als Spielplatzwärter eingesetzt wird und dabei für reguläre Arbeiten wie Auf- und Zuschließen sowie Reinigung des Toilettenhäuschens, Aufsammeln von Müll und Unrat, Grünschnitt und Platzaufsicht zuständig ist, wird jetzt den Ortsbeirat befassen. Ein vom Vertreter der Linken im Gremium eingereichter Antrag verlangt die Ersetzung des Ein-Euro-Jobs durch eine Festanstellung bei der Stadtverwaltung.

Quelle: Junge Welt vom 06.06.2011

Artikelaktionen