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Situation der Beschäftigten (und der "Kunden") in der ARGE Wuppertal

Die Beschäftigten berichten von katastrophalen Zuständen für die "Kunden" und die Beschäftigten. Sicher kein Einzelfall. Dass sie "Hartz IV" gerne zum "Erfolg führen" möchten (zu welchem?) kann angesichts der beschriebenen Zustände erst mal außen vor bleiben --- Quelle: e-mail vom 12.04.05



Offener Brief zur Situation der Beschäftigten in der ARGE Wuppertal

Sehr geehrter Herr Bundesminister Clement,

über die Medien verbreiten Ihre zuständigen Behörden für die Umsetzung von Hartz IV seit Jahresbeginn eine Erfolgsmeldung nach der anderen. Diese Meldungen können die Beschäftigten der ARGE Wuppertal nicht nachvollziehen. Sie treffen für die Arbeitsgemeinschaft Wuppertal einfach nicht zu.

Die betroffenen Kundinnen und Kunden sowie Beschäftigte in den Jobcentern vor Ort berichten von katastrophalen Zuständen. Wir bitten Sie, folgende andauernde Situation zur Kenntnis zu nehmen:

  1. Im Vordergrund steht weiterhin die Zahlbarmachung der Leistungen an die Arbeitslosen.
  2. Wann ernsthaft die "Phase der Vermittlung", die laut Aussage Ihres Ministeriums jetzt schon begonnen hat, tatsächlich in Angriff genommen werden kann, ist aus unserer Sicht völlig unklar.
  3. Die Aussage, dass ein persönlicher Ansprechpartner oder Fallmanager im Durchschnitt 75 bzw. 140 "erwerbsfähige Hilfebedürftige" betreuen soll, bleibt weiter Wunschdenken. Derzeit betreut der persönliche Ansprechpartner oder Fallmanager weit über 200 Personen.

Wo sind nun die Ursachen für diese unhaltbaren Zustände zu suchen?

  • Das EDV-Programm A2LL ist weiterhin instabil. Das bundesweite IT-Verfahren für die Berechnung und Zahlbarmachung der Leistungen bricht immer wieder zusammen und produziert sogar eigene Fehler.
  • Der Publikumsandrang bleibt weiterhin sehr hoch. Es wird deutlich, dass die Fallzahlen viel höher sind, als ursprünglich angenommen. Vielen Betroffenen wird jetzt erst durch die Anschreiben der ARGE klar, dass sie einen AlgII-Antrag stellen müssen. Die sogenannte Datenmigration betrifft allein in Wuppertal über 10.000 Fälle, die während laufenden Geschäftes überprüft werden. Damit sind im übrigen insbesondere Vermittler beschäftigt.
  • Die Inflation der Fallzahlen: Anfangs ging man von ca. 18.000 Fällen aus. Absehbar ist aber, dass über 20.000 Fälle zu betreuen sind. Dahinter verbergen sich derzeit 36627 Menschen.
  • Es müssen häufig Abschlagszahlungen vorgenommen werden. Bei den Scheckzahlungen über die Postbank kommt es häufig zu Problemen.
  • Gewaltige Rückstände bauen sich auf und können nicht aufgearbeitet werden. Das betrifft auch Geldrückforderungen oder Änderungsanzeigen, die z. B. zu einer Verringerung der Alg-II-Zahlung führen müssten.
  • Notwendige Schulungen, die sich allein schon durch dauernde Veränderungen der Dienstanweisungen ergeben, sind nur mangelhaft durchführbar. Es fehlt zum einen an entsprechenden Trainern zum anderen an "Ersatzpersonal", das die zu schulenden Kolleginnen und Kollegen während der Schulungen ersetzt.
  • Die Jobcenter sind noch nicht ausgebaut und müssen teilweise in langwierigen bürokratischen Verfahren angemietet werden. Folglich ist die derzeitige räumliche Unterbringung katastrophal.
  • Die Beschäftigten sitzen teilweise zu zweit oder dritt in Einzelbüros und sind in einem Jobcenter gar in einem umgebauten Parkhochhaus dermaßen eng untergebracht. Wartezonen sind im ausreichenden Maße nicht vorhanden, sodass Arbeitslose auf dem Boden sitzen müssen - und das bei bis zu vierstündigen Wartezeiten!
  • Es fehlt an Personal. Allein für die Startaufstellung fehlen der ARGE Wuppertal über 40 Beschäftigte für die Zahlbarmachung der Leistungen. Diese können nicht eingestellt werden, weil der ARGE Wuppertal die entsprechenden Stellen nicht zur Verfügung gestellt werden! Für die betroffenen Kundinnen und Kunden sowie die Beschäftigten sind das unhaltbare Zustände.

Die Kolleginnen und Kollegen haben schon im vergangenen Jahr mit Überstunden und Schichtarbeit übermenschliches geleistet. Der Krankenstand, der im ehemaligen Sozialamt in den vergangenen Jahren sehr niedrig war und in der AA Wuppertal in den vergangenen Jahren immer weiter gesunken ist, ist sprunghaft angestiegen und liegt in einem Jobcenter zeitweise bei bis zu 50%! Nach den Recherchen der Personalräte häufen sich ernsthafte Erkrankungen wie Magengeschwüre, Burn-out-Syndrom, Angstzustände etc. Mittlerweile machen sich erhebliche Abwanderungstendenzen breit. Die Beschäftigten haben begonnen, sich möglichst schnell wegzubewerben. Andere Kolleginnen und Kollegen, die im Rahmen der Amtshilfe befristet eingestellt wurden, werden den Vertrag nicht verlängern - weil diese Arbeitsbedingungen krank machen.

Die Aggressivität der Kundinnen und Kunden steigt zunehmend. Aufgeschlitzte Reifen und tätliche Angriffe können von den angemieteten Sicherheitskräften nicht verhindert werden. Sollten die Reformgegner mit ihrer Meinung etwa Recht behalten, dass es bei der Reform Hartz IV in erster Linie um das Fordern geht?

Sie sehen, sehr geehrter Herr Bundesminister, so kann die von Ihnen eingeleitete Reform nicht zum Erfolg geführt werden.

Die ver.di-Personalräte der Stadtverwaltung und der AA Wuppertal stellen fest, dass diese Reform zu Lasten der betroffenen arbeitslosen Menschen und ihrer Familien durchgeführt wird. Die gesetzten Rahmenbedingungen lassen ein Einlösen der Versprechungen nicht zu. Diese Reform geht auch zu Lasten der betroffenen Beschäftigten und deren Familien. Die gesetzten Arbeitsbedingungen führen bei den Beschäftigten zu ernsthaften Erkrankungen.

Die ver.di-Personalräte werden diese Zustände nicht länger hinnehmen und fordern hiermit, dass der politische Druck verringert wird. Die personellen, technischen und räumlichen Voraussetzungen sind schnellstens zu verbessern. Darüber hinaus muss die durch die Politik aufgebaute hohe Erwartungshaltung der ALG II-Kunden auf die derzeitige Realität zurückgeführt werden.

Die Beschäftigten der ARGE Wuppertal haben im letzten Jahr ihre Arbeit mit hohem Engagement und einer außergewöhnlichen Einsatzbereitschaft begonnen. Schichtarbeit, Überstunden am Wochenende, freiwillige Überstunden zeugen davon, dass die Kolleginnen und Kollegen der ARGE Wuppertal ihrerseits alles tun, um "Hartz IV" zum Erfolg zu führen. Allerdings nur im Zusammenwirken dieses Engagements mit den notwendigen Rahmenbedingungen können diese Anstrengungen den betroffenen Menschen wirklich helfen.
Geben Sie den Beschäftigten der ARGE Wuppertal die Chance, diese Reform zum Erfolg zu führen.

Mit freundlichen Grüßen H. S. + R. W.

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