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Arbeitszwang als Abschreckung

Arbeitszwang als Drohung für Erwerbslose? Das planen die Zukunftskommissionen Bayerns und Nordrhein-Westfalens. Nun liegen die Ideen beim Wirtschaftsministerium – Vorläuferprojekte gibt es bereits.

In Meyers Konversationslexikon von 1890 ist unter dem Stichwort Arbeitshäuser zu lesen: »Die Einrichtung des englischen Werkhauses stützt sich vorzüglich auf die Abschreckungstheorie. Sie ist darauf berechnet, von der Inanspruchnahme öffentlicher Hilfe möglichst abzuschrecken und durch eignen Erwerb die Aufnahme in A. zu vermeiden.« 120 Jahre später lesen wir in einem Papier des Bundeswirtschaftsministeriums von Arbeitsangeboten, bei denen eine produktive Tätigkeit nur von »nachrangiger Bedeutung« ist, ansonsten »der ›abschreckende‹ Effekt im Vordergrund steht«. Dabei handelt es sich um »Workfare« – quasi eine Umschreibung von Zwangsarbeit. Das Papier soll die Zukunft der Erwerbslosen sein. So sehen es die Zukunftskommissionen Nordrhein-Westfalens und Bayerns vor.

»Der entstehende Anreiz, anstelle einer staatlicherseits angebotenen gemeinnützigen Ganztagstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt auch solche Angebote anzunehmen, die gegenwärtig [...] zumeist kaum in Betracht gezogen werden, kann ein erhebliches Beschäftigungspotenzial bei einer gleichzeitigen massiven Haushaltsentlastung mobilisieren«, heißt es im Zukunftsbericht aus dem Hause des nordrhein-westfälischen Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU). Und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) präsentierte gerade den Abschlussbericht seiner Kommission, in dem eine »intensivere Einforderung von Gegenleistung« für staatliche Transferzahlungen gefordert wird. Im Klartext: Künftig sollen Erwerbslose für eine Entlohnung auf Sozialhilfeniveau mindestens 30 Stunden pro Woche arbeiten. Diese »Visionen« sind wenig überraschend: In den Kommissionen sitzen mit Hans-Werner Sinn vom IfO-Institut in München und Klaus F. Zimmermann vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin die ideologischen Rückendecker der Arbeitgeberseite.

Modellprojekte laufen längst, in Bayern unter dem Namen »Job-Perspektive Plus«, in Thüringen und Sachsen-Anhalt als »Bürgerarbeit«. In Bad Schmiedeberg bei Wittenberg bereits seit September 2006. Die Bürgerarbeit deckt sich aber nicht völlig mit Workfare: Zunächst werden diejenigen mit guten Chancen am ersten Arbeitsmarkt herausgefiltert. Am Ende des Ausleseprozesses finden sich jene, die nach offizieller Deutung keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Sie sollen zusätzlich geschaffene Stellen bei Vereinen, Kirchen und Kommunen annehmen. Der durchschnittliche Bruttolohn (30-Stunden-Woche) liegt bei rund 810 Euro, abzüglich Sozialversicherung und Steuern. Arbeitslosenversicherung wird nicht gezahlt, da sonst Ansprüche entstünden. Arbeitsagenturen finanzieren die Jobs.

Die ersten Bad Schmiedeberger Erfolgsmeldungen klangen fantastisch: In drei Monaten war die Erwerbslosenquote von 15,6 auf 6,3 Prozent zurückgegangen. Freilich handelt es sich hier vor allem um statistische Kosmetik. »Die Abgänge aus Arbeitslosigkeit gingen weit überwiegend in öffentlich geförderte Beschäftigung«, so das Urteil des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Bürgerarbeit hat anders als Workfare die soziale Komponente, Erwerbslosen eine sinnvolle Beschäftigung anzubieten. Subjektiv wurde sie von den Betroffenen nicht als negativ empfunden. Den Workfare-Hardlinern hingegen geht es um Abschreckung. Qualifizierung spielt keine Rolle, die Menschen sollen nur dazu gebracht werden, auch für Löhne nur knapp über Hartz IV zu arbeiten: »Die Androhung von Workfare-Jobs führt […] dazu, dass die Akzeptanz von gering entlohnten Jobs im regulären Arbeitsmarkt steigt.«

Workfare stammt aus den USA und wird seit den 1990er Jahren von konservativer Politik als Blaupause für eine Verschärfung der Sozialgesetzgebung benutzt. Der Grundsatz der Workfare-Vertreter, dass nur Daumenschrauben Erwerbslose zum Arbeiten brächten, ist ebenso zynisch wie haltlos. Das IAB kommt zu dem Schluss, dass die »mangelnde Aktivierung der Arbeitslosen nicht der Hauptgrund für die lang andauernde Arbeitslosigkeit ist«.

Quelle: Neues Deutschland vom 31.07.09

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