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Grundsatzentscheidung des Sozialgerichts für das Saarland: Eheähnliche Gemeinschaft nicht nachweisbar - trotz 27-jähriger Wohngemeinschaft

Urteil des SG Saarbrücken vom 4.4.05 (Az.: S 21 AS 3/05)

Quelle:   http://www.tacheles-sozialhilfe.de/harry/view.asp?ID=1456



Auszug aus dem Urteil:

Urteil
in dem Rechtsstreit

XXXX XXXXXXXXX, XXXXXXXX
-Kläger-

gegen

die Arbeitsgemeinschaft der Agentur für Arbeit, Saarbrücken und des Stadtverbandes Saarbrücken, Hafenstraße 18, 66111 Saarbrücken,
-Beklagte-

hat die 21. Kammer des Sozialgerichts für das Saarland durch den Richter Dr. Knobloch als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richterinnen Helma Wagner und Barbara Stachel auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 04.04.2005

für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Abänderung ihres Bescheids vom 25.11.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.02.2005 die Regelleistung von € 311,- seinen Anteil an den Mietnebenkosten sowie die Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zu bewilligen.
  2. Dem Kläger werden seine notwendigen außergerichtlichen kosten erstattet.

Gründe: ... ...

Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Gemäß § 9 Abs. 2 S. 2 SGB III sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen oder vermögen des Partners zu berücksichtigen.

...

Gemäß § 7 Abs. 3 SGB II gehören zur Bedarfsgemeinschaft als Partner oder Partnerin des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen u.a. auch die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt. Dies ist nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ( vgl. dazu Urteile des Bverw vom 17.11.1992[ Az. 1 BvL 8/87] und zuletzt vom 02.09.2004 [ Az. 1 BvR 1962/04 ], zitiert nach JURIS ) dann der Fall, wenn die Lebensgemeinschaft auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindung auszeichnet, die die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinaus gehen. Nur wenn sich die Partner der Gemeinschaft so sehr miteinander verbunden fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, ist ihre Lage mit derjenigen nicht getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen vergleichbar. Das Fehlen der Bereitschaft hierzu wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als ein Indiz gewertet, aus dem auf das Nichtbestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft geschlossen werden muss ( so ausdrücklich im Urteil des BverwG vom 17.05.1995 [ Az. 5 C 16/ 93 ] ).

Für ihre Annahme, dass die Zeugin XXXXX mit dem Kläger in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt, ist die Beklagte nach den Grundsätzen der objektiven Beweislastverteilung im sozialgerichtlichen Verfahren darlegungs- und beweisbelastet. Diese Beweislast umfasst auch das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zwischen dem Kläger und der Zeugin XXXXX. Die Kammer verkennt nicht, dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, deren Nachweis für die Antragsgegnerin kaum möglich ist und auf die aus dem bloßen Bestehen einer Wohngemeinschaft auch dann nicht geschlossen werden kann, wenn sie bereits seit 27 Jahren besteht. Dies kann dennoch keine Beweislastumkehr zu Lasten des Klägers begründen, da in diesem Fall auf Grund der stets gegebenen Zweifel an der Glaubhaftigkeit der dem Antragsteller zur Verfügung stehenden Beweismittel ein überzeugender Nachweis des Nichtbestehens einer eheähnlichen Gemeinschaft für den Antragsteller ebenfalls schlechterdings nicht zu führen wäre, was noch weniger hingenommen werden kann ( vgl. hierzu den Beschluss des OVG Schleswig- Holstein vom 02.01.2002, Az. 2 M 104/ 01, zitiert nach JURIS).

Der Kläger hat zwar in seinem Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende angegeben, mit Frau XXXX seit 1978 in eheähnlicher Gemeinschaft zu leben. In dieser subjektiven Einschätzung der gegenseitigen Beziehung kann jedoch kein prozessual wirksames Eingeständnis einer im Rahmen von § 7 SGB II relevanten Tatsache gesehen werden. Die Kammer kann nicht a priori davon ausgehen, dass der Antragsteller diesen Begriff im technischen Sinne gemäß den Regelungen des SGB II gebraucht hat, sondern hat alle verfügbaren Hinweistatsachen daraufhin in Blick zu nehmen, ob sie den Schluss rechtfertigen, dass die Partner der betreffenden Lebensgemeinschaft in der Tat den Willen haben, auf Dauer füreinander einzustehen ( Urteil des BverwG vom 17.05.1995 [ Az. 5 C 16/ 93] , zitiert nach JURIS).

Einer solchen Wertung stehe eine Reihe weiterer angaben des Antragstellers entgegen. Denn er hat ebenfalls geltend gemacht, dass die Zeugin XXXX zwar die Hälfte seiner Mietkosten trägt, aber nicht bereit ist, weiter Beträge zu seinem Lebensunterhalt zu leisten. Sie hat ferner ihm gegenüber erklärt und auch der Antragsgegnerin gegenüber schriftlich bestätigt, dass sie seinen weiteren Verbleib in der gemeinsamen Wohnung nicht tolerieren werde, wenn sie gezwungen wäre, seinen Lebensunterhalt vollständig aus ihrem Renteneinkommen zu bestreiten. In diesem Fall würde sie darauf bestehen, dass er auszieht und sich eine andere Wohnung sucht. Aus diesen Angaben des Klägers uns seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung war insgesamt zu folgern, dass er sich zwar durchaus in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit der Zeugin XXXX wähnt, diese Intensität der Bindung zwischen den beiden aber offenbar jedenfalls zur Zeit anders wertet. Vom Vorliegen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft kann jedoch nur bei Konsens zwischen beiden Partnern ausgegangen werden.
Die Kammer hat daher in der mündlichen Verhandlung die Zeugin XXXX zur Klärung des Verhältnisses zwischen ihr und dem Kläger vernommen. Sie hat angegeben, seit 25 bis 27 Jahren mit dem Kläger zusammen zu leben und in dieser Zeit keine andere eheähnlichen Verhältnisse gehabt zu haben. Zu dem Zeitpunkt als die beiden zusammen gezogen seien, seien beide berufstätig gewesen. Trotz des langen Zusammenlebens mit dem Kläger sei eine Heirat für die Zeugin zu keinem Zeitpunkt ein Thema gewesen. Der Kläger habe, bevor er Arbeitslosenhilfe bezogen habe, Geld für Miete, Nahrungsmittel und Nebenkosten an sie gezahlt, erst seit dem er im Leistungsbezug stünde, komme die Zeugin XXXX für die Heizkosten selbst auf. Seit dem 01.01.2005 trage sie die gesamten Lebensunterhaltungskosten, aber so könne dies nicht weitergehen; für den Fall seines Unterliegens in hiesigem Verfahren würde sie darauf bestehen, dass er auszieht. Sie sei im Moment finanziell so belastet, dass sie nicht einmal mehr Geld habe, um Geschenke für ihre Enkel zu kaufen.

Diese Angaben waren nach Überzeugung der Kammer glaubhaft. Sie verkennt bei der Wertung der Glaubhaftigkeit dieser Angaben zwar nicht die Tatsache, dass der Antragsteller und die Zeugin XXXX bereits seit 28 Jahren zusammen leben und die Aussage der Zeugin XXXX den beiden deutlich zum Vorteil gereicht. Andererseits kann die Möglichkeit, dass es sich wirklich nur um eine Wohngemeinschaft und nicht um eine eheähnliche Lebensgemeinschaft gehandelt hat, angesichts des erheblichen Altersunterschieds zwischen dem Kläger und der 15 Jahre älteren Zeugin XXXX nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden. Anhand der Aussage der Zeugin XXXX war spürbar, dass sie während des gesamten Zeitraums ihres Zusammenlebens eine gewisse Distanz zu ihm gewahrt hat. Hierfür spricht insbesondere ihre klare Weigerung, mit ihm die Ehe zu schließen, selbst zu einem Zeitpunkt, als beide noch berufstätig waren und dies steuerliche Vorteile gebracht hätte. Die von ihm an sie geleisteten Zahlungen hatten stets eine klare Zweckbindung, was gegen ein für eheähnliche Lebensgemeinschaften typisches Wirtschaften aus einem Topf spricht. Zudem hat die Zeugin deutlich gemacht, dass sie nicht mehr länger hinnehmen will, ihren Enkeln keine Geschenke machen zu können, und aus diesem Grund auf Auszug des Klägers bestehen würde. Hieraus ergibt sich, dass die unbedingte Voranstellung der Interessen des Lebenspartners gegenüber den Interessen jedweder Dritter, und seien es die eigenen Enkel, die für eheähnliche Lebensgemeinschaften charakteristisch ist, von der Zeugin XXXX nicht anerkannt wird.

Insgesamt konnte- auch unter Berücksichtigung des erheblichen eigenen Interesses der Zeugin XXXX, die Aussage so zu machen, wie sie es getan hat- aus ihren Angaben weder das Bestehen noch das Nichtbestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zwischen ihr und dem Kläger sicher nachgewiesen werden; dies gilt nicht nur für den jetzigen Zeitpunkt, sondern auch für den gesamten Zeitraum ihres Zusammenlebens. Im Hinblick auf die oben dargestellte klare Beweislastverteilung geht dies zu Lasten der Beklagten.

Da die Voraussetzung für die Annahme der Beklagten, zwischen dem Kläger und der Zeugin XXXX bestehe eine eheähnliche Lebensgemeinschaft und damit eine Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 2 S. „ SGB II, nicht nachweisbar waren, war der Klage stattzugeben.

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