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Staat konfisziert Protestbriefe aus DDR

Brackel. Hunderttausende von Briefen aus der DDR legten die Dortmunder Postämter in den ersten Monaten des Jahres 1959 fast lahm. Briefe gegen die beabsichtigte Stationierung von Atomwaffen auf dem ehemaligen Flughafen in Brackel, die bei den Adressaten nie ankamen. Nur wenige gingen dem bundesdeutschen Zoll durch die Lappen. Einer liegt heute im Archiv der Dortmunder Geschichtswerkstatt.

Deren Vorsitzender, Andreas Müller, recherchierte, was es mit dieser groß angelegten Aktion des ehemaligen DDR-Regimes auf sich hatte.

Dabei bekamen die Demonstranten ausgerechnet in der Zeit des Kalten Krieges Schützenhilfe aus der DDR. Dort sah das kommunistische Regime die Pläne der Bundesrepublik zur Stationierung von Atomwaffen in Brackel ebenfalls mit Unbehagen. In der Folge flatterten hunderttausende von Flugblättern, verpackt in Briefen, aus Leipzig in Richtung Dortmund. Ihr Inhalt - eine beängstigende Vision: "Atomwaffen, die in Westdeutschland lagern, sind direkt gegen die DDR und das sozialistische Lager gerichtet [. . .]. Bei dem unvermeindlichen Gegenschlag würden die Einwohner des Ruhrgebietes in wenigen Minuten vernichtet werden."

Die meisten Briefe kamen nie an. Der Zoll zog die an die Dortmunder Haushalte adressierte Briefe, die alle handschriftlich mit privaten Absendern versehen waren, aus dem Verkehr. "Staatsgefährdend" lautete das Urteil des Landgerichtes am 3. März 1959. Über 150 000 Briefe wurden verbrannt.

Der öffentliche Protest der Bevölkerung stieß bei der britischen Besatzungsmacht und der Bundesregierung auf taube Ohren. Am 14. Februar trafen die ersten Raketen in Brackel ein. Bereits zwei Wochen vorher hatten die Briten ein 120 Mann starkes Vorkommando nach Dortmund geschickt, berichtete die WAZ damals. Die SPD Aplerbeck rief dazu auf, den Betrieb auf dem Flugplatz zu stören - notfalls den neuen Raketenstützpunkt von Strom, Gas und Wasser abzuschneiden. Es sei gerade eine christliche Gewissenspflicht, die Verlegung der Fernlenkwaffen nach Brackel mit allen erlaubten Mitteln zu verhindert, sagte Dortmunds ehemaliger Oberkirchenrat Heinz Kloppenburg auf einer Protestversammlung der SPD Wambel. Die Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde Brackel schlossen sich zur ersten Menschenkette der Stadt von der Kirche bis zum Kasernentor der britischen Einheit an der Oesterstraße zusammen. Kloppenburg und sein hessischer Kollege Martin Niemöller organisierten Mahnwachen, die nicht weit vom Stationierungsort stattfanden Unterschriftenaktionen in der ganzen Bundesrepublik wurden gestartet.

Ohne Erfolg. "Bis heute ist nicht bekannt, ob die Raketen damals wirklich mit Atomsprengköpfen bestückt wurden", sagt Andreas Müller. Das Militär hat einen Mantel des Schweigens darüber gelegt. Inzwischen ist Gras über den ehemaligen Stützpunkt des 47. Britischen Lenkwaffenregimentes gewachsen. Aus der ehemals streng bewachten Militärzone wird das Wohngebiet Hohenbuschei.

Das Dortmunder Landgericht befasste sich zuletzt im August 1959 mit den Flugblättern vom "Freund aus Leipzig". Es befahl im August 1959 die weitere Einziehung und Vernichtung von 30 000 Briefen, die im April und Mai bei den Postämtern in der Stadt landeten.

Das Zollamt konfizierte vom 13. April bis zum 20. Mai 1959 allein 229 544 Briefe aus der DDR. "Kommunistische Friedenspropaganda [ . . .] Druckschriften ohne Impressum, zur Tarnung jeweils mit verschiedenen Namen handschriftlich unterschrieben", hieß es dazu in der Westdeutschen Allgemeinden Zeitung. -   Von Susanne Meyer

 

FAKTEN - Gesetz erlaubt fast alles

  • Der allergrößte Teil der eingezogenen Schriften aus der DDR gelangte durch die Kontrolle der bundesdeutschen Post in die Hände des Staatsschutzes.
  • Zeitweilig wurden nach Schätzungen der Behörden 8 bis 10 Millionen Exemplare kommunistischer Schriften monatlich in die Bundesrepublik geschickt.
  • Die Praxis der Postkontrolle sah so aus: Postbeamte legten Sendungen, die dem äußeren Anschein nach politische Druckschriften aus der DDR enthielten, den Zollbehörden vor. Diese öffneten die Sendungen. Laut Gesetz vom 20. März 1939 waren sie dazu berechtigt.
  • Dieses Verfahren wurde - besonders nach Inkrafttreten eines sogenannten "Verbringungsgesetzes" - in großem Umfang betrieben. Zeitweilig hielten die Behörden monatlich 1,2 Millionen Sendungen zurück. Noch im Januar 1967 waren es 484 355.
  • Erst 1964 interessierte sich die Öffentlichkeit für diese Kontrolle, die daraufhin eingeschränkt wurde. Ab 1966 konnten beispielsweise Hamburger Bürger DDR-Zeitungen beziehen, wenn sie eine vom Amt ausgestellten Unbedenklichkeitsbescheinigung besaßen.
  • Alle Quellen: Archiv der Dortmunder Geschichtswerkstatt. (sam)
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    Quelle: Westfälische Rundschau vom 06.07.2007

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