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Haushalt 2011: Sparpaket gegen Arbeitslose

Die Bundesregierung plant drastische Einschnitte bei der Arbeitsagentur. Weitere Kürzungen drohen, wenn die Konjunktur nicht anspringt. Experten versuchen derzeit, die Zahlen des Finanzministeriums zu enträtseln - vergebens.

Wenn die Bundesregierung heute auf ihrer Kabinettssitzung den Haushalt 2011 auf den Weg bringt, werden Arbeitslose die Hauptlast des Sparkurses zu tragen haben. Für sie hat die Koalition konkrete Einschnitte beschlossen, etwa bei den Rentenansprüchen, beim Elterngeld oder dem befristeten Zuschlag für Langzeitarbeitslose.

Das könnte nur der Vorgeschmack sein auf noch weitreichendere Kürzungen. Denn auch am Arbeitsmarkt enthält das Sparpaket milliardenschwere Luftbuchungen. Da tauchen Zahlen auf, die sich Fachleute nicht erklären können. Kommt die Konjunktur ins Laufen, ist das kein Problem. Dann stellen sich die Einsparungen wie von selbst ein. Ohne dauerhaften Aufschwung aber wird die Koalition mit ungeahnten Härten nachlegen müssen.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) meidet zwar jede Kritik an der Politik. BA-Vorstand Raimund Becker sagt der Frankfurter Rundschau allerdings: "Wir wissen nicht genau, bei welchen Haushaltstiteln das Sparpaket ansetzt." Bisher kenne die Bundesagentur nur die Zahlen des Sparpakets. "Noch wissen wir aber nicht exakt, was daran strukturelle und was konjunkturelle Einsparungen sind."

Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linkspartei, sagt einen "Kahlschlag" voraus. Dafür komme alles in Frage, von der Kurzarbeit über die Förderung des nachträglich erworbenen Hauptschulabschlusses bis zum Gründungszuschuss für Selbstständige.

Dass dies mehr ist als die übliche Kritik der Opposition, zeigt ein internes Papier der BA zu den "Auswirkungen des Sparpaketes". Darin zeigt sich die ganze Fassungslosigkeit der Arbeitsverwaltung über ein Kürzungsprogramm mit offensichtlich gegriffenen Zahlen. Die Experten versuchen, das Tableau des Finanzministeriums zu enträtseln - vergebens. Sie vermuten, dass "Einsparungen durch den prognostizierten Rückgang der Arbeitslosigkeit eingeflossen" sind, auch wenn dies die Regierung "in den bisherigen Statements nicht formuliert" habe. So genau weiß dies nicht einmal die Bundesagentur.

In den offiziellen Planungen kalkuliert die Bundesregierung mit Einsparungen bei der Agentur im kommenden Jahr von 1,5 Milliarden Euro, indem sie Pflicht- in Ermessensleistungen umwandelt. Bis 2014 soll diese Summe auf drei Milliarden Euro steigen. Erwerbslose verlieren durch diese Reform also ihren Anspruch auf Leistungen und Förderungen.

Die BA hat bereits im Januar ausgerechnet, was diese Neuausrichtung bringen könnte. Sie kam auf eine "Bewirtschaftungsrendite von zehn Prozent", also rund 116 Millionen. Wenn die Bundesregierung 1,5 Milliarden herausholen wolle, müsse sie an ganz andere Dinge heran. Die größten Posten nach der Kurzarbeit bei den Pflichtleistungen bilden Ausgaben für die Reha. Dafür gab die Arbeitslosenversicherung 2009 gut 2,4 Milliarden Euro aus, davon allein 600 Millionen für Werkstätten, in denen behinderte Menschen arbeiten. Ob Schwarz-Gelb hier kürzen möchte, ist selbst der Bundesagentur unklar.

Wilhelm Adamy, Leiter der Abteilung Arbeitsmarktpolitik bei Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), rechnet mit dem Schlimmsten. Von der Umwandlung in Ermessensleistungen seien "Benachteiligte des Arbeitsmarktes in besonderer Weise betroffen". Keinesfalls auszuschließen seien Einschnitte auch bei Aus- und Weiterbildung für Jugendliche und erwachsene Arbeitslose. "Wir haben die Befürchtung, dass der Bund im Hartz-IV-System die Mittel für die Arbeitsförderung deutlich kürzen wird", meint Adamy. Damit beschneide die Regierung die Chancen von Langzeitarbeitslosen noch weiter.

 
Kommentar:

Abschied vom Solidarprinzip

Der heute verabschiedete Haushalt steht dafür beispielhaft. Was er enthält - und vielleicht mehr noch das, was ihm fehlt -, macht ihn einseitig und sozial unausgewogen. Was er enthält, ist eine Reduzierung des Sozialetats um 7,9 Prozent. Nicht mal die Bundesagentur für Arbeit hat eine Idee, wie sie ihren Anteil daran erwirtschaften soll, ohne genau da brutal zu kürzen, wo Deutschland seine peinlichsten Rekorde hält: bei den Langzeit-Arbeitslosen, die bei uns einen größeren Anteil ausmachen als in den anderen Industrieländern der OECD. Sollte es gelingen, die Phantasiezahlen der schwarz-gelben Haushälter in praktisches Handeln umzusetzen, dann könnte man sich Weiterbildung, Wiedereingliederung, Rehabilitation im Wortsinne "sparen". Und der Ehrlichkeit halber auch gleich die zweite Hälfte der Sonntagsrede vom "Fordern und Fördern".

Was der Etat dagegen nicht enthält, das ist die Herstellung größerer Ausgewogenheit auf der Einnahmeseite. Getreu dem neoliberalen Lehrbuch findet ein höherer Spitzensteuersatz nicht mal für Spitzenverdiener statt, eine Vermögenssteuer auch nicht. Die Steuer auf Finanztransaktionen wird an Europa delegiert und steht damit in den Sternen.

Fast noch erschreckender allerdings ist die Operation, die diese Regierung jetzt dem Gesundheitswesen zumutet. Was - leider unter Mitwirkung der SPD - schon in Merkels erster Amtszeit begonnen wurde, setzt Schwarz-Gelb verschärft fort. Es ist der - abstrakt gesagt - Abschied vom Solidarprinzip. Konkret: Die gemeinsame Verantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist Vergangenheit, künftige Zusatzbelastungen tragen nur die Versicherten. Richtig ist, dass sich die heutige Arbeitswelt nicht mehr dazu eignet, die Beiträge allein am Einkommen aus regulären Beschäftigungsverhältnissen zu orientieren.

Grundfalsch aber ist es, dass die Koalition - gemäß dem Kopfpauschalen- Konzept - die Belastung des Einzelnen von dessen realer Leistungsfähigkeit weitgehend löst und Spitzeneinkommen, Privatversicherte und andere Privilegierte auch noch verschont. Der versprochene Sozialausgleich aus Steuern mag diese Ungerechtigkeit teilweise lindern, aber am Systemwechsel in die falsche Richtung ändert das nichts - gerade die von Schwarz und Gelb so geschätzte Mittelschicht wird es spüren. Von einer Reform des Systems in die richtige Richtung, von einer fairen Beteiligung aller Bürger je nach ihren Möglichkeiten, ist nicht mehr die Rede.

Ob Haushalt, Steuern oder Gesundheit - soll es uns wirklich beruhigen, dass die Kanzlerin noch Schlimmeres nicht mitmachen würde? Auch Angela Merkel, sie sogar an erster Stelle, trägt Verantwortung für eine Politik, die dem neoliberalen Credo nicht ganz so radikal, aber doch eindeutig folgt. Das Märchen von der Meisterin der Mitte zwischen allen Extremen sollten wir spätestens jetzt vergessen. Und die Hoffnung, diese Regierung täte besser gar nichts, dürfen wir ebenfalls begraben. Sie tut, was sie kann, und das ist schlimm genug.

Quelle: FR vom 07.07.10

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