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Keine starke Brücke, sondern ein Steg

Die wenigsten Leiharbeiter schaffen den Sprung in eine Festanstellung

Politik und Wirtschaft schwärmen nach wie vor von der Zeitarbeit als Jobmotor und Brücke in unbefristete Vollzeitbeschäftigung. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesarbeitsagentur kommt zu dem Ergebnis, dass gerade einmal sieben Prozent der vormals Arbeitslosen in den zwei Jahren nach ihrer Tätigkeit als Leiharbeiter auch eine dauerhaften, nicht befristete Arbeit nachgehen.

Daher kommt der IAB-Direktor Joachim Möller zu dem Schluss, dass Leiharbeit keine Brücke, sondern ein schmaler Steg zurück in Arbeit ist. Dabei verdienten Leiharbeiter im Schnitt 20-25 Prozent weniger als ihre Kollegen. Diese Zahlen seien jedoch relativ unsicher, da das genaue Tätigkeitsfeld der Leiharbeiter nicht bekannt sei, was einen direkten Vergleich erschwert. Die staatliche Regulierung der Löhne sei allerdings notwendig, so Möller. Ein Ergebnis der Studie ist auch, dass Leiharbeitsverhältnisse in den meisten Fällen nur von äußerst kurzer Dauer sind: nur 12 Prozent dauern ein Jahr oder länger. Ungefähr die Hälfte ist bereits nach drei Monaten wieder beendet. Die genauen Gründe für die hohe Fluktuation konnte das IAB nicht nennen.

Auswirkungen der Aufhebung des Synchronisationsverbotes?

Einen Anteil daran hat möglicherweise die Aufhebung des so genannten Synchronisationsverbotes unter Rot-Grün. Durch dessen Wegfall wurde es den Zeitarbeitsfirmen erlaubt, Personal nur für einen zeitlich befristeten Bedarf bei einem Entleihbetrieb einzustellen. Gleichzeitig fiel das Wiedereinstellungsverbot, so dass ein projektbezogenes 'Hire-and-Fire-System' ermöglicht wurde.

In vielen Unternehmen hätten Leiharbeiter nur kurze Einsätze, erklärte Ulrich Walwei, Vizedirektor des IAB. Zahlen darüber, wie viele Einsätze ein Leiharbeiter während seiner Beschäftigung bei einer Zeitarbeitsagentur hat, liegen dem IAB nicht vor. Im Rahmen der Hartz-Reformen sei die Leiharbeit so stark dereguliert worden wie nie zuvor. Damit sei die Hoffnung verknüpft gewesen, dass mehr Arbeitslose in Beschäftigung kommen.

"Die bessere Alternative zur Arbeitslosigkeit"

Wie hoch die Wahrscheinlichkeit, den Weg aus der Arbeitslosigkeit über die Zeitarbeit in eine Festanstellung zu schaffen ist, hängt auch stark von der Situation vor dem Eintritt in die Leiharbeit ab. Um dies darzustellen, hat das IAB diejenigen, die aus Arbeitslosigkeit in Leiharbeit gehen, in Gruppen aufgeteilt. So finden diejenigen, welche im Zeitraum von zwei Jahren vor der Leiharbeit bereits als Leiharbeiter oder sogar als Festangestellte gearbeitet haben, mit einer Wahrscheinlichkeit von ungefähr 21 Prozent nach dem Ende ihrer Tätigkeit als Leiharbeiter eine Arbeit, die zumindest zum größten Teil außerhalb der Leiharbeit stattfindet.

Menschen, die in den letzten zwei Jahren vor Eintritt in die Leiharbeit gar nicht oder höchsten 90 Tage lang einer Tätigkeit nachgegangen sind, haben lediglich eine 13prozentige Chance, sich ganz oder zumindestens zum größten Teil aus der Leiharbeit zu befreien und eine feste Anstellung zu finden. Ganze 42 Prozent von ihnen rutschen jedoch nach der Leiharbeit wieder in die Arbeitslosigkeit ab. Dabei stellt diese Gruppe den höchsten Anteil unter den Arbeitslosen, die in Zeitarbeit gehen.

Florian Lehmer, der in der Forschungsgruppe mitgearbeitet hat, stellt fest, dass für alle Gruppen übereinstimmend gelte: wer in die Leiharbeit geht, der werde dort sehr wahrscheinlich in den nächsten anderthalb bis zwei Jahren auch verbleiben. Jedoch sei Zeitarbeit immer noch die bessere Alternative zur Arbeitslosigkeit.

Strategische Nutzung

Walwei erklärte, dass Leiharbeit zu einem bestimmten Teil auch reguläre Arbeit verdränge. Zu einer deutlicheren Einschätzung kam am Montag in einer Expertenanhörung des Arbeitsausschusses der Soziologieprofessor Klaus Dörre. Seiner Meinung nach spielt die "strategische Nutzung", wie das Beispiel BMW in Leipzig zeige. Dort sind 30 Prozent der Beschäftigten Leiharbeiter.

Doch das sei nur die Spitze des Eisberges, bei den Zulieferern sehe es teilweise noch schlechter aus. Diese strategische Nutzung sei zunächst nur im angelsächsischen Raum bekannt gewesen und erst durch die Deregulierung der Zeitarbeit auch hierzulande möglich geworden. Einen nennenswerten Brückeneffekt in reguläre Beschäftigung gibt es laut Dörre nicht, vielmehr hätten die Zeitarbeitsfirmen besonders im Bereich der qualifizierten Arbeitskräfte gar kein Interesse an einer Verstetigung, weil die Zeitarbeiter in diesem Bereich besonders rentabel seien.

Drehtüreffekt

Zur Arbeitsplatzunsicherheit und niedrigeren Löhnen kommen für Leiharbeiter noch andere Erschwernisse hinzu. Der Journalist Markus Breitscheidel, der zwei Jahre verdeckt in der Leiharbeit gearbeitet hat, berichtet von bewusster Ausgrenzung. Leiharbeiter müssten andere Kleidung tragen als die Stammbelegschaft, mehr Geld für das Essen in der Betriebskantine zahlen und dürften nicht einmal den Betriebsparkplatz nutzen, so Breitscheidel. Die schlecht bezahlten und leicht zu entlassenden Leiharbeiter setzen die Festangestellten zudem latent unter Druck: eine Festanstellung erscheine durch sie als Privileg, das mit Klauen verteidigt werden müsse.

Die Arbeitgeber sehen dies naturgemäß völlig anders und preisen die Leiharbeit als vorweglaufenden Konjunkturmotor. Leiharbeit habe sich als attraktiv für die Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen erwiesen und ermögliche auch die Einstellung weniger qualifizierter Menschen, so der Bundesverband Deutscher Dienstleistungsunternehmen. Der Verband warnte davor, getroffene Deregulierungen wie die Aufhebung der Überlassungshöchstdauer zurückzunehmen, dies würde den Drehtüreffekt erhöhen. Auch der Bundesverband Zeitarbeit warnte, neue Restriktionen könnten den Verlust von Arbeitsplätzen in der Zeitarbeit zur Folge haben.

Ein neuer Begriff

Die Unternehmen würden notfalls auf andere Maßnahmen zur Flexibilisierung zurückgreifen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern oder diese sogar ganz wegrationalisieren. Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sieht in Sachen Leiharbeit keinen ernstzunehmenden Handlungsbedarf.

Wenn man meine, etwas gesetzlich machen zu müssen, dann solle man sich aber eng an die Maßnahmen anlehnen, die auch die Branche treffe. Zudem sollte der Begriff Leiharbeit ersetzt werden, denn man verleihe Sachen, aber keine Menschen. Auch sei es nicht gut, von atypischer oder prekärer Beschäftigung zu sprechen, da Zeitarbeit auch sozialversicherungspflichtig sei. Mit dieser neuen Sprachregelung erhofft sich der BDA, die Akzeptanz der Leiharbeit zu erhöhen.

Quelle: telepolis vom 30.06.2010

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