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EU-Richtlinie gefährdet Jobs im Handwerk

Kammer und IG Bau warnen vor Lohndumping / Im Juli wird über Dienstleistungsfreiheit abgestimmt

Viele Handwerksbetriebe in der Region können dem Druck der Billigkonkurrenz aus Osteuropa kaum mehr standhalten. Wird die neue Dienstleistungsrichtlinie der EU wie geplant Anfang Juli beschlossen, sind Sozialstandards und Arbeitsplätze ernsthaft in Gefahr, warnen die Gewerkschaft IG Bau und die Handwerkskammer Rhein-Main.

Die Auftragsbücher sind bis September voll, und doch zittern Ute Kowalski und ihr Mann Aron Seng jeden Monat aufs Neue, ob sie ihren zwölf Arbeitern den Lohn pünktlich zahlen können. Preiskrieg, schlechte Zahlungsmoral, steigende Abgaben an die Baugenossenschaft - dass ihr kleiner Baubetrieb auf der Berger Straße in Frankfurt bis jetzt existiert, hat für Ute Kowalski nur einen Grund: Sie haben sich mit Qualität und Zuverlässigkeit eine Nische bei Privataufträgen erarbeitet. "Größere Ausschreibungen haben wir abgehakt." Keine Chance. Selbst bei "knallharter Kalkulation" nicht. Tariflöhne und Sozialabgaben sind da nicht mehr drin, sagt die Firmenchefin. Ganz zu schweigen von den Gebühren für Baugenossenschaft oder die Sozialkasse für Urlaubs- und Schlechtwettergeld, die je 20 Prozent des Bruttolohns pro Monat verschlingen.

Aber die große Konkurrenz arbeitet nicht mehr mit Festangestellten - und zahlt entsprechend keinen Cent in die Sozialsysteme. "Großfirmen wie Hochtief zum Beispiel", sagt Ute Kowalski. "Aber gerade die streichen hohe Gewinne bei Großaufträgen ein."

Im globalen Wettbewerb greifen Firmen zu Subunternehmern, zu Billiglöhnern aus Osteuropa oder Ich-AGs. Und trotz aller Kontrollen arbeitet ein Heer aus Illegalen auf den Baustellen in der Region, sagt Hans-Ulrich Viehweg, Gewerkschaftssekretär bei der IG-Bau Rhein-Main. "Auf einen legalen Arbeiter kommt in der Region ein illegaler."

Doch getürkt wird selbst, wenn die Arbeiter ordentlich angemeldet sind, weiß Viehweg. "Laut Arbeitsbögen arbeiten sie vier Stunden, tatsächlich schuften die Leute bis zu zehn Stunden" - für den Lohn von vier. Arbeiter aus Polen zum Beispiel, deren Mindestlohn im eigenen Land 230 Euro pro Monat beträgt, machen immer noch einen guten Schnitt - und spielen deshalb mit. Ein Coup gelang der IG Bau im Frühjahr auf der Baustelle Eschborn Plaza von Hochtief. Arbeiter steckten der Gewerkschaft Stundenlisten, die polnische Arbeiter blanko unterzeichnen mussten.

Für Viehweg aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein im Kampf gegen Lohndumping. Sollte im Juli die geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie in Kraft treten, würden Lohndumping und Arbeitsplatzabbau ganz legal Tür und Tor geöffnet, warnt er. Sieht die Richtlinie doch vor, dass Betriebe aus anderen EU-Ländern ihre Dienste ohne Gewerbeschein auch in Deutschland anbieten dürfen. Das Herkunftsland müsste prüfen, ob die Arbeit angemeldet ist und geltende Mindestlöhne eingehalten werden. "Das wird zum freien Wettbewerb für Lohndrücker führen." Viele Betriebe reagierten schon jetzt auf den Preiskrieg. Die Baufirma Dressler etwa entlasse 17 Bauarbeiter in Darmstadt, um künftig mit Subunternehmern im Wettbewerb zu bestehen.

Kleine Betriebe vor dem Aus

Vor allem kleine Handwerksbetriebe stellt die Dienstleistungsrichtlinie vors Aus, warnt auch die Handwerkskammer Rhein-Main und appelliert, das Regelwerk zu überarbeiten. Darauf hoffen auch die Gebäudereiniger, die der Billigkonkurrenz kaum noch standhalten können. Seit im vorigen Jahr der Meisterzwang fiel, schießen neue Firmen wie Pilze aus dem Boden, sagt die Gewerkschaftssekretärin Alexandra Münch. Als Dienstleister unterliegen die Neueinsteiger nicht dem Tarif für Gebäudereiniger von 7,89 Euro die Stunde, sondern dem Dienstleistungstarif von 6,83 Euro.

80 Prozent der "echten" Gebäudereiniger haben bereits Zweigfirmen nach Dienstleistungstarif gegründet, sagt Münch. "Betriebe, die tarifkonform zahlen, haben bei Ausschreibungen keine Chance mehr." Selbst die Stadt Frankfurt, verpflichtet zu europaweiter Ausschreibung, muss den billigsten wählen und kickt damit bewährte Firmen raus. "Wir haben voriges Jahr gut 20 Aufträge der Stadt verloren", bestätigt Angelika Heil von der Firma AFG. "Manche Firmen bieten Quadratmeterpreise, in denen der Tariflohn gar nicht drin sein kann." Die Folgen sind in vielen Betrieben zu spüren, sagt Münch: Es werden inflationär Stellen abgebaut, Teilzeitkräfte ohne Tarifbindung beschäftigt und die Zahl der Insolvenzen steigt. Als Handwerker, der den Beruf noch mit Gesellen- und Meisterbrief gelernt hat, macht die Arbeit keinen Spaß mehr, klagt Christian Buchholtz von der Gebäudereinigung ADF. "Man dreht an der Leistungsschraube bis alles nur noch billig ist."

Quelle: Frankfurter Rundschau online vom 20.06.05 VON ANITA STRECKER

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