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Ärzte fehlen in sozialen Brennpunkten

SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach über den Wechsel von Fachmedizinern in einkommensstarke Regionen. Es gibt in den Städten viel zu viele Fachärzte - doch in sozialen Brennpunkten haben sie Seltenheitswert.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im FR-Interview über Landarztquote und Unterversorgung für Einkommensschwache.

Herr Lauterbach, FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler will den Ärztemangel in bestimmten Regionen etwa durch eine Landarztquote bekämpfen. Sie halten nichts davon. Warum?

Der Minister konzentriert sich einseitig auf das Problem der fehlenden Hausärzte auf dem Land. Dabei lässt er völlig außer Acht, dass wir in praktisch allen Großstädten seit etwa vier Jahren eine katastrophale Entwicklung beobachten: Obwohl es in Berlin, Frankfurt oder Köln insgesamt zu viele Fachärzte gibt, fehlen in den sozialen Brennpunkten dieser Städte dringend benötigte Mediziner.

Warum ist das so?

Die Kassenärztlichen Vereinigungen, die die Niederlassung der Ärzte steuern, haben in den letzten Jahren die sogenannten Planungsbezirke massiv ausgedehnt, von einzelnen Stadtbezirken auf das ganze Stadtgebiet. Ein Hautarzt oder ein anderer Facharzt kann daher ohne Probleme mit seiner Praxis in Berlin vom armen Neukölln ins reiche Charlottenburg ziehen oder in Frankfurt am Main von Bonames nach Bornheim. Dort gibt es dann keine Einkommensschwachen und Migranten, sondern wohlhabende Privatversicherte.

Welche Arztgruppen betrifft das?

Wir stellen diese fatale Entwicklung nicht nur bei den Fachärzten fest, sondern auch bei Haus- und Kinderärzten. Mittlerweile gibt es Bezirke mit 10.0000 Einwohnern, in denen es nicht einen einzigen Augenarzt mehr gibt. Und auch bei Kinderärzten gibt es in vielen Vororten der großen Städte eine dramatische Situation. Das Problem schreitet rasant voran und führt zu einer prekären Unterversorgung für Einkommensschwache.

Warum ist die Politik hier nicht eingeschritten? Eine Politikerin Ihrer Partei hat neun Jahre lang das Gesundheitsministerium geführt.

Wir waren ja nicht frei in unseren Entscheidungen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen standen und stehen unter dem besonderen Schutz der Union. Obwohl es seit langem klar ist, dass die Bedarfsplanung nicht funktioniert, wollte die Union hier nichts tun.

Was muss jetzt passieren, um das Problem in den Griff zu bekommen?

Wir brauchen eine gezieltere und kleinteiligere Planung, was wir durch gesetzliche Eingriffe erreichen können. Es kann nicht angehen, dass Großstädte nur aus einem Planungsbezirk bestehen und damit so getan wird, als ob es sich um homogene Einheiten handelt. Außerdem ist es dringend erforderlich, die Ärztehonorare für die Behandlung von gesetzlichen und privaten Versicherten anzugleichen. Es muss für die gleiche Leistung das gleiche Honorar geben. Das bedeutet, dass die Bezahlung bei Kassenpatienten steigen und die bei den Privatversicherten sinken muss. Ansonsten werden die Ärzte weiterhin dort hingehen, wo es viele Privatversicherte gibt.

Minister Rösler hat ins Gespräch gebracht, in überversorgten Städten die Möglichkeit einzuschränken, dass ein in den Ruhestand gehender Arzt seine Praxis verkaufen kann. Würde das irgendetwas an der von Ihnen beschriebenen Problemlage ändern?

Gar nichts. Das könnte das Problem sogar noch verschärfen. Denn damit könnte man zwar den Landarztmangel bekämpfen, gleichzeitig würde sich aber die Unterversorgung in den sozialen Brennpunkten der Städte noch verschärfen.

Verstehe ich Sie richtig, dass Sie die Entwicklung in den Großstädten für problematischer halten als den Landarztmangel?

Es macht meiner Meinung nach keinen Sinn, die beiden Themen gegeneinander auszuspielen. Aber in der Tat denke ich, dass die ärztlichen Unterversorgung in den Städten mehr Menschen betrifft als der Landarztmangel. Denn dieses Problem stellt sich in der Regel nur dort, wo auch die Bevölkerung schrumpft. Die Anpassung der Honorare wäre im Übrigen auch hier der Königsweg.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 30.4.2010

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