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Türöffner für Behördenwillkür

Bundesrat plant Einführung einer Gebühr für Anträge auf Prozeßkostenhilfe

Seit Beginn des Monats ist das Hartz-IV-Optimierungsgesetz in Kraft. Erwerbslosen droht damit noch schneller als bisher die Streichung von Leistungen wegen angeblicher und tatsächlicher Verfehlungen, »Mißbrauch« oder Nicht­annahme »zumutbarer« Arbeiten. Schon zuvor arbeiteten die Sozialgerichte auf Hochtouren: Beschwerden Erwerbsloser gegen die Arbeitsagenturen häufen sich. Mietzahlungen, Kostenerstattungen für Klassenfahrten oder Umzüge oder aus Sicht der Betroffenen ungerechtfertigte Sanktionen sind Gegenstand der Klagen. 40 Prozent der Sozialgerichtsverhandlungen in diesem Jahr betrafen nach Einschätzung der Gewerkschaft ver.di die Jobcenter-Thematik.

Dem will der Bund nun einen Riegel vorschieben und eine schon lange erwogene Gebühr für Sozialgerichtsprozesse durchsetzen. Auch die Prozeßkostenhilfe soll gekürzt werden. Im Gespräch sind 50 Euro, die allein für den Antrag auf Prozeßkostenhilfe hingelegt werden sollen. »Mißbräuchliche Inanspruchnahme« der Gerichtsbarkeit, so der Bundesrat, solle dadurch verhindert werden. Dauerhaft in »Mißbrauchs«-Debatten verstrickte Erwerbslose belasten den Haushalt zu sehr mit ihren Verfahren.

Doch schon jetzt ist der Weg durch die Gerichtsinstanzen steinig. Die Berliner Rechtsanwältin Carmen Flecks, die sich überwiegend mit sozialgerichtlichen Verhandlungen befaßt, bemerkt seit einiger Zeit eine »unglaubliche Verzögerung, was die Entscheidungen über Prozeßkostenhilfe betrifft«, und fügt hinzu: »Das entspricht in keiner Weise einem Rechtsstaat.« Natürlich sei von mehr Verwaltungsaufwand auszugehen, aber es gebe genug arbeitslose Juristen, die die Personalsituation der Gerichte verbessern könnten.

Absurder Richterspruch

In den ersten Augusttagen erlebte ein Berliner Erwerbsloser, daß sein Antrag auf Prozeßkostenhilfe beim Familiengericht Tempelhof-Kreuzberg vorläufig abgelehnt wurde. Begründung: Er müsse dem Gericht erst Nachweise über seine Arbeitsbemühungen erbringen. Anderenfalls sei bei ihm von »Arbeitsscheu« auszugehen. Sein Anwalt Sven Korzilius war außer sich: »Bei meinem Mandanten gab es keinerlei Anzeichen, die eine solche Vermutung rechtfertigen.« Das Gericht stützte sich dabei auf die Kommentierung zu Paragraph 115 der Zivilprozeßordnung in der 2005 erschienenen Auflage, in der es heißt: »Gerichte müssen sich vor Arbeitsscheu schützen.« Korzilius: »Mich erschreckt, was für ein Gedankengut da befördert wird. Der Erwerbslose wird nun auch vom Gericht unter den Generalverdacht gestellt, nicht arbeiten zu wollen.« Nach Ansicht des Anwalts hat das Gericht sich nur mit der Frage zu befassen, ob die angestrebte Klage hinreichend Aussicht auf Erfolg hat.

Auch Carmen Flecks hält einen solchen Gerichtsbescheid für »abwegig«. Eine zusätzliche 50-Euro-Hürde für die Beantragung von Prozeßkostenhilfe würde nach ihrer Einschätzung für viele Erwerbslose bedeuten, daß sie ihr Recht nicht mehr einklagen können: »Bei denen, die den Antrag stellen, geht es ja ohnehin schon um die letzten Mittel zum Überleben«.

Während viele Erwerbslose sich verzweifelt an die Buchstaben des Gesetzes klammern, legt die Bundesregierung und mit ihr die Bundesagentur für Arbeit einen sehr unbefangenen Umgang damit an den Tag. Die nach dem »Optimierungsgesetz« gestatteten persönlichen Hausbesuche durch das Jobcenter zur Kontrolle der Lebensverhältnisse der Betroffenen verstoßen gegen den Artikel 13 des Grundgesetzes über die Unverletzlichkeit der Wohnung. Gegen den automatisierten Datenabgleich haben die Datenschutzbeauftragten der Länder Alarm geschlagen. Und zur Praxis der Ein-Euro-Jobs hat sich unter anderem der Berliner Hauptpersonalrat deutlich geäußert: 90 Prozent der Berliner Ein-Euro-Jobs werden nach seiner Einschätzung nicht in Übereinstimmung mit dem Gesetzestext eingerichtet.

Bundesagentur mauert

Die Erwerbsloseninitiative »Tacheles e. V.« bohrte in einer anderen Richtung nach. Nach ihrer Auffassung ist die Bundesagentur für Arbeit verpflichtet, ihre internen Dienstanweisungen für 2006 im Internet zugänglich zu machen, da sie von »erheblichem Interesse« für Erwerbslose seien. In den Anweisungen sind Ermessensspielräume der »Fallmanager« und Detailfragen der Verwaltungspraxis näher definiert.

Die Initiative stützte sich bei ihrer Forderung auf das Informationsfreiheitsgesetz, das erst dieses Jahr in Kraft getreten ist. Per gerichtlichem Vergleich hatte sich die Bundesagentur verpflichtet, das Material bis zum 15. Juli im Internet zu veröffentlichen. Aber sie kam dem nur teilweise nach. Just die Anweisungen bezüglich der mit dem »Optimierungsgesetz« beschlossenen Veränderungen im So­zialgesetzbuch II gab die Agentur bis heute nicht heraus. Harald Thomé von »Tacheles« sagt, man habe inzwischen einen eigenen Weg zu den Informationen gefunden und sie auf der Vereinshomepage veröffentlicht. - Ilse Kaminski

Quelle: Junge Welt vom 17.08.06

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