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"Patriotische Pflicht"

Der militante Rechtsextremismus in Deutschland ist so stark wie selten zuvor. Doch ausgerechnet das lange verrufene Brandenburg organisiert erfolgreich Widerstand gegen den braunen Mob.

Während Hunderttausende unter freiem Himmel in Berlin den 60. Geburtstag des Grundgesetzes feierten, wollten 50 Kilometer südlich am selben Tag Rechtsextremisten ihre Macht demonstrieren. Ihr Motto für den 23. Mai: "Demokraten sind der Volkstod".

Neonazi-Aufmarsch im brandenburgischen Halbe 2006: Kampf um öffentliche Plätze

Aber Luckenwalde sperrte sich gegen die ungebetenen Gäste: Schüler malten Plakate, Dennis H., der die Neonazi-Demonstration angemeldet hatte, fand sein Foto mit Adresse und vollem Namen im Internet wieder, Polizei und Staatsanwaltschaft rückten vor der Demo aus, beschlagnahmten Computer und Unterlagen und ermitteln wegen "Verunglimpfung des Staates".

Am Ende brachte eine Gegendemonstration in der brandenburgischen Stadt weit mehr Teilnehmer auf die Beine als die Rechtsextremen, ein "Demokratiefest" im Zentrum zog die Aufmerksamkeit auf sich. Abends griffen Hunderte Bürger zum Besen, versammelten sich zum "Kehraus": Luckenwalde, so die Botschaft, toleriert keinen braunen Dreck.

Die Geschichte aus Luckenwalde ist eine gegen einen Trend, von dem ein sichtlich zerknirschter Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) wenige Tage zuvor berichtet hatte. Einen neuen Höchststand an rechtsextremen Straftaten verzeichnet das Bundeskriminalamt, Verfassungsschützer registrieren einen Zuwachs der sogenannten Autonomen Nationalisten, die gezielt Randale anzetteln, gegen Gewerkschafter oder gegen Polizisten vorgehen; außerdem mehr Nazi-Aufmärsche. Wer die Vorstellung des Verfassungsschutzberichts erlebte, musste den Eindruck gewinnen, der Rechtsextremismus sei ein Schicksal, an das sich die Deutschen gewöhnen müssten - oder mit dem sie sich längst abgefunden haben.

Gute Nachrichten zu verbreiten ist vielleicht nicht die Aufgabe eines Innenministers. Aber er hätte es durchaus tun können. Inmitten seiner Statistiken ist eine Zahl fast unbemerkt geblieben, die zeigt, dass Gewalt von rechts eben kein Schicksal sein muss. Auch nicht im Osten Deutschlands, wo die Zahl der Straftaten besonders hoch ist. Entgegen dem Bundestrend ist in Brandenburg die Zahl rechtsextremer Gewalttaten deutlich zurückgegangen (siehe Grafik). Noch immer gibt es auch in diesem Land viel zu viele Straftaten von Rechtsextremen. Aber sowohl der Verein Opferperspektive als auch die zuständige Generalstaatsanwaltschaft bestätigen die Tendenz zur Besserung.

Jahrelang kamen aus Brandenburg ausschließlich Schreckensmeldungen. Auf Zeltplätzen wurden Schüler überfallen, Menschen zu Tode gehetzt. Städte wie Bernau oder Schwedt galten als "Browntown", Touristenführer erklärten ganze Landstriche zu "No-Go-Areas", in Schulen etablierten Rechtsextreme mit Nazi-Musik eine eigene Jugendkultur. Das Bundesland galt nicht nur als Hochburg der Neonazis, sondern auch als Zentrale der Verharmloser. Manfred Stolpe (SPD), von 1990 bis 2002 Ministerpräsident, entschuldigte viel zu lange jugendliche Gewalttäter - sie seien Opfer der Wendewirren.

Wie bei einer Suchttherapie war der erste Schritt zur Bessererung das Eingestehen des Problems. Stolpes Nachfolger redete Klartext. "Brutale Angriffe, offene Ausgrenzung von Menschen aus anderen Ländern, von anders Aussehenden oder anders Denkenden - das alles ließ und lässt sich nicht unter der Rubrik ,Isolierte Einzelfälle' verbuchen", sagt Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) in der Rückschau.

Es war eine Art Zangenbewegung, mit der sich Brandenburg daranmachte, die Rechtsextremen zurückzudrängen, zivilgesellschaftliches Engagement auf der einen Seite, Druck durch die Staatsorgane auf der anderen. Auch Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hat es an klaren Signalen nicht missen lassen. Jeder Polizist wurde von ihm per Erlass zum verschärften Kampf gegen die Neonazis verpflichtet.

Die Beamten bekamen Anweisung, jede noch so belanglos erscheinende Tat zu erfassen - jedes Hakenkreuz, jeden Hitlergruß im Suff. Dadurch wurde es möglich, "täterorientierte Maßnahmen" zu ergreifen, ob an Tankstellen oder Bahnhöfen. Stück für Stück wurde der Verfolgungsdruck erhöht.

Und die Justiz zog mit. Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg drängte auf beschleunigte Verfahren. "Für mich persönlich", so Rautenberg, "ist die strafrechtliche Bekämpfung des Rechtsextremismus keine normale Berufserfüllung, sondern geradezu eine patriotische Pflicht." Der Chefermittler, der in der Bundesanwaltschaft einst gegen Terroristen von links vorgegangen war, schreckte nicht davor zurück, rechtsextreme Gruppen als terroristische Vereinigung einstufen. 2004 klagte er das "Freikorps Havelland" als Terrorgruppe an. Die Gruppe hatte sich die Vertreibung von Ausländern aus dem Havelland zum Ziel gemacht und zehn Imbissbuden angezündet.

Anfangs wurde Rautenberg dafür belächelt, "überzogen" sei sein Vorgehen, schließlich seien die Täter doch Jugendliche. Der Bundesgerichtshof aber bestätigte das Urteil gegen fünf Gründungsmitglieder, auch die Einstufung als "terroristische Vereinigung". Das harte Vorgehen gegen die Szene war nicht ohne persönliches Risiko: Auf einer CD einer Nazi-Band wurde gegen den Chefermittler eine Morddrohung ausgesprochen. Auf das Cover einer anderen CD wurde das Bild eines Oberstaatsanwalts aus Neuruppin gedruckt.

Auch Andreas Müller wurde zum Feindbild der Neonazis. Müller arbeitet in Bernau, als Jugendrichter am Amtsgericht. Und Bernau war eine jener rechten Hochburgen, in der sich Farbige, Linke oder Schwule nicht angstfrei bewegen konnten. 1998 wurde hier eine Jugendgruppe aus West-Berlin angegriffen, nur weil ein Junge türkisch aussah. Er könne "es einfach nicht ertragen, wenn Menschen anderer Herkunft oder anderer Meinung Angst haben müssen", sagt Müller, "die Macht liegt beim Staat. Auf der Straße darf es keine Macht geben". Den martialischen Worten ließ der Richter Taten folgen. Über 100 Neonazis hat er verurteilt.

Der Staat kann wirksam reagieren, wenn er nur will. Müller hat jugendliche Skinheads im Gerichtssaal in Handschellen abführen lassen. Er sorgte dafür, dass die Anklagen schnell auf seinen Tisch kamen, nicht erst Wochen nach den Taten. Und er wusste, um welche Symbole man kämpfen muss. "Ich habe Springerstiefel im Gerichtsaal einkassiert. Es sind Waffen", sagt er. Ein NPD-Funktionär sagte in seiner Verhandlung in Socken aus, Müller hatte ihm den Zutritt in Springerstiefeln verweigert. Die Null-Toleranz-Linie zeigt Erfolge: Die Polizei Bernau registrierte 2007 und 2008 kein rechtes Gewaltdelikt mehr.

Die harte Linie setzt sich inzwischen durch. Wegen Mordes wurden jüngst zwei Männer verurteilt, die im vergangenen Jahr einen Arbeitslosen in Templin stundenlang bestialisch misshandelt hatten, bis er starb. Ein Fall, der zeigt, dass es noch zu früh ist, Entwarnung zu geben. Der Vorsitzende Richter betonte in der Urteilsbegründung, das "neonazistische Menschenbild" der Angeklagten habe bei der Auswahl des Opfers eine Rolle gespielt. Sie hätten sich "als Herr über Leben und Tod" aufgespielt und aufgrund ihrer Gesinnung den Arbeitslosen als minderwertig angesehen. Der 19 Jahre alte Sven P. wurde nach Jugendstrafrecht zur Höchststrafe von zehn Jahren verurteilt. Ein Mitangeklagter, der 22-jährige Christian W., wegen Beihilfe zum Mord zu neun Jahren und drei Monaten Gefängnis.

So symbolisch solche Urteile sind, glaubt Generalstaatsanwalt Rautenberg, "so wichtig ist das Besetzen öffentlicher Plätze". Jahrelang missbrauchten Rechtsextreme aus ganz Deutschland den Ort Halbe, 35 Kilometer südlich von Berlin, für ihr "Heldengedenken". Auf dem Waldfriedhof Halbe liegt die größte Kriegsgräberstätte Deutschlands mit über 22.000 Gefallenen aus dem Zweiten Weltkrieg. Immer am Volkstrauertag marschierten die Braunen durch Halbe, die 2200 Einwohner schlossen Fenster und Türen und hofften, dass der Spuk einfach verginge.

Sozialarbeiterin Anne Böttcher wollte nicht länger zusehen. Zunächst nur mit ein paar Mitstreitern überlegte sie, "wie wir die Stadt zurückerobern". Das "Aktionsbündnis gegen Heldengedenken und Nazi-Aufmärsche in Halbe" fand Verbündete. Die Landesregierung schickte eines seiner "Mobilen Beratungsteams", das Kommunen und Bürgerinitiativen bei der Auseinandersetzung mit den Extremisten unterstützt. In Halbe gingen die Aktivisten von Haus zu Haus, "um den Menschen Mut zu machen", so Böttcher.

Im November 2005 blockierten mehrere tausend Menschen erstmals den Marsch der Neonazis zum Soldatenfriedhof. Die Landespolitik reagierte: Sie verabschiedete ein "Gräberstätten-Versammlungsgesetz", das aus dem Areal um den Waldfriedhof braunes "Heldengedenken" verbannt. Mittlerweile haben die Neonazis Halbe aufgegeben - inzwischen gibt es keine Nazi-Aufmärsche mehr zum "Heldengedenken".

Das Beispiel hat Schule gemacht. Als die Rechtsextremen ihre Aufmärsche in das hundert Kilometer entfernte Seelow verlegen wollten, wurde kurzerhand per Rechtsverordnung auch um den dortigen Friedhof eine Bannmeile gezogen.

Quelle: Spiegel vom 30.05.2009

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