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Der Mythos vom Abstieg: Deutschland - der "kranke Mann Europas"?

Die Exporte steigen, neue Jobs entstehen. Trotzdem waechst die deutsche Wirtschaft nicht. Das hat wenig mit dem Standort D zu tun und viel mit der Wiedervereinigung und dem Euro. --- Artikel von R. von Heusinger und W. Uchatius in: DIE ZEIT 15.04.2004

Von R. von Heusinger und W. Uchatius

in: DIE ZEIT 15.04.2004 Nr.17

Die in Deutschland derzeit meisterzaehlte Geschichte ist ein grosses Epos von Aufstieg und Niedergang. Aber sie laeuft nicht im Kino, sondern bei Sabine Christiansen. Diese Geschichte handelt von einem Superstar, gegen den sich David Beckham oder Brad Pitt wie Winzlinge ausnehmen. Sie beschreibt geheimnisvolle Viren, die dem Helden die Lebenskraft rauben. Aber sie kommt nicht als Fantasy-Roman daher, sondern als Sachbuch. Denn es geht um die traurige Wirklichkeit.

Die Geschichte erzaehlt von Deutschland. Einst war es eines der reichsten Laender der Welt.

Heute ist es der "kranke Mann Europas ". Meint das Muenchner ifo-Institut. Schreibt der britische Economist. Behauptet das Kieler Institut fuer Weltwirtschaft. Verkuenden Verbandsfunktionaere, Oekonomen und Politiker in Talkshows und Zeitungen.

Sie nennen auch die Krankheitserreger: die gesunkene Wettbewerbsfaehigkeit. Die ausufernden Staats- und Sozialausgaben. Den inflexiblen Arbeitsmarkt. "Um diese vermeintlichen Probleme dreht sich seit Jahren fast die gesamte oekonomische Debatte ", sagt Ullrich Heilemann, Wirtschaftsprofessor an der Uni Leipzig.

Aber entsprechen sie auch der oekonomischen Realitaet? Kann Deutschland tatsaechlich mit dem Rest der Welt nicht laenger mithalten?

Tatsache ist: Die deutsche Wirtschaft ist in den vergangenen zehn Jahren schwaecher gewachsen als irgendeine andere in der Europaeischen Union. Inzwischen liegt die Wirtschaftsleistung pro Kopf in Deutschland unter dem EU-Durchschnitt. So weit stimmt die Geschichte also. Die Frage ist nur, was die wahren Gruende fuer die Wachstumsschwaeche sind.

"Deutschlands Wettbewerbsfaehigkeit sinkt." (aus einer Untersuchung des Instituts fuer Managemententwicklung Lausanne)

"Bei den Lohnstueckkosten sehen wir im internationalen Vergleich nicht gut aus. " (BDI-Chef Michael Rogowski in der "Berliner Zeitung ")

Der Standort. Grundig, Voigtlaender, Seidensticker. Fernseher aus Nuernberg, Kameras aus Braunschweig, Hemden aus Bielefeld. Die fuenfziger Jahre waren noch Zeiten. Damals kostete ein Fabrikarbeiter nur ein paar Mark in der Stunde. Damals belieferten deutsche Unternehmen die halbe Welt.

Dann kamen die Japaner. Die Koreaner. Spaeter die Chinesen. Und natuerlich die Polen und Tschechen. Heute liegen die Arbeitskosten in der westdeutschen Industrie bei 26 Euro pro Stunde, in Osteuropa bei 5 Euro, in Ostasien noch niedriger. Keine Ueberraschung also, wenn hiesige Unternehmen auf den Weltmaerkten das Nachsehen haben.

Oder doch eine Ueberraschung. Denn sie haben gar nicht das Nachsehen. Im Gegenteil. "Deutschland dominiert alle anderen", sagt Andreas Cors vom Deutschen Institut fuer Wirtschaftsforschung (DIW). Tatsaechlich sind in keinem grossen Industrieland die Exporte in den vergangenen Jahren so stark gewachsen (siehe Grafik).

Bei genauerem Hinsehen gehoeren die deutschen Arbeitskosten zwar zu den hoechsten der Welt, aber seit 1995 stiegen die Loehne nach Angaben der OECD kaum – im Gegensatz zu den anderen Industrielaendern. Was stieg, war die Produktivitaet deutscher Unternehmen. Die Innovationsoffensive, die der Kanzler ankuendigte, ist in vielen Firmen laengst Realitaet. "Wir sind technologisch weltweit fuehrend ", sagt Olaf Wortmann vom Maschinenbauverband VDMA. Infolgedessen haben sich die Lohnstueckkosten weit guenstiger entwickelt als in fast allen Konkurrenzlaendern. "Die Wettbewerbsfaehigkeit ist in Deutschland kein Problem mehr ", sagt Harald Joerg, Volkswirt bei der Dresdner Bank.

Die ueberraschende Qualitaet des Standorts D zeigt sich auch an einer zweiten Zahl: den auslaendischen Direktinvestitionen. Hiesige Politiker und Funktionaere moegen das Vertrauen in die deutsche Wirtschaft verloren haben, doch amerikanische und asiatische Konzernchefs denken anders. Seit 1998 verzeichnen die Statistiker einen kraeftigen Zustrom auslaendischen Kapitals nach Deutschland. Zuletzt konnte ausser Frankreich kein Industrieland so viele Investitionen aus dem Rest der Welt anziehen.

"Dieser Staat haengt uns wie eine Bleikugel am Bein." (DIHK-Chef Ludwig Georg Braun in der "Welt am Sonntag ")

"Der Anstieg der Staatsquote muss sukzessive zurueckgefuehrt werden." (CDU-Fraktionsvize Friedrich Merz vor Unternehmern)

Der Staat. Sechs Monate lang gehen sie zur Arbeit und bekommen kein Geld dafuer. Sie sitzen im Buero, sie schuften in der Fabrik, aber das Gehalt kassiert der Fiskus. So ergeht es den Bundesbuergern Jahr fuer Jahr, jedenfalls denen, die einen Job haben. Der Bund der Steuerzahler hat es ausgerechnet: Die erste Jahreshaelfte arbeiten die Deutschen quasi nur fuer den Staat. Fuer die Steuern und fuer die Sozialabgaben, fuer die Arbeitslosen-, die Renten- und die Krankenversicherung. Womoeglich ist die Wirtschaftsleistung in Deutschland schwaecher als anderswo, weil sich Leistung nicht lohnt.

Ein Blick auf die Fakten zeigt: Sie lohnt sich mehr als in den meisten europaeischen Laendern. Bei der Steuer- und Abgabenquote (dem Verhaeltnis von Steuern und Sozialabgaben zur Wirtschaftsleistung) rangiert die Bundesrepublik im Mittelfeld. In wachstumsstarken Laendern wie Finnland, Schweden oder Frankreich greift der Staat seinen Buergern allerdings weit tiefer in die Tasche (siehe Grafik). Das erinnert an frueher. "Noch in den sechziger Jahren lag die deutsche Sozialleistungsquote, und dann auch die Steuer- und Abgabenquote, europaweit mit an der Spitze", sagt Stephan Leibfried, Leiter des Zentrums fuer Sozialpolitik an der Uni Bremen. Damals war Deutschland Spitzenreiter beim Wachstum.

Seitdem ist der Sozial- und Steuerstaat in den meisten europaeischen Laendern weit staerker gewachsen als hierzulande.

In Deutschland dagegen liegt der Anteil des Staatssektors an der Wirtschaftsleistung heute nicht hoeher als 1975. Im Westen ist er sogar leicht gesunken. Allerdings nicht auf das Niveau von Japan, mit seinem im internationalen Vergleich kleinen Staatssektor. "Trotzdem kamen die Japaner zehn Jahre lang nicht aus der Krise ", sagt Peter Bofinger, Mitglied des Wirtschafts-Sachverstaendigenrats. Und fuegt an: "Ein Zusammenhang zwischen Staatsquote und Wachstumsraten ist aeusserst zweifelhaft."

Das zeigt auch folgende Ueberlegung: Eine Privatisierung der deutschen Sozialversicherungen liesse den Staatssektor schlagartig schrumpfen. Allerdings ist fraglich, ob den Deutschen dann tatsaechlich mehr Geld fuer den Konsum bliebe. Wollten sie nicht auf jegliche Sicherheit verzichten, muessten sie weiter einen Grossteil ihrer Arbeitszeit dafuer verwenden, Rente, Krankenversicherung und Ruecklagen fuer eine moegliche Arbeitslosigkeit zu erwirtschaften. Nur muessten sie die dann privat finanzieren. Wie in den USA, wo nach Berechnungen des Sozialforschers Jacob Hacker von der Uni Yale die Sozialausgaben einen aehnlich hohen Teil der Wirtschaftsleistung aufbrauchen wie im Wohlfahrtsstaat Deutschland – nur werden sie in Amerika staerker privat finanziert, bei teils schlechteren Leistungen.

Rechnet man dagegen die Sozialleistungen aus dem Staatssektor heraus, stellt man fest: "Der Staat ist in Deutschland nicht teurer als in den USA", so der OEkonom Ronald Schettkat von der Russell Sage Foundation in New York. Denn fuer Polizei oder Verwaltungspersonal wenden die Deutschen nicht mehr Geld auf als die Amerikaner.

"Die Deutschen muessen mehr arbeiten." (BDA-Chef Dieter Hundt in der "Bild ")

"Unsere Nachbarstaaten haben alle mehr Jobs, auch bei niedrigem Wachstum." (Wirtschaftsminister Wolfgang Clement in der ZEIT)

Der Arbeitsmarkt. Vor 20 Jahren hiess er Josef Stingl, danach Heinrich Franke, dann Bernhard Jagoda, spaeter Florian Gerster und heute Frank-Juergen Weise. Die Bundesanstalt fuer Arbeit wurde in Bundesagentur fuer Arbeit umbenannt, aber die unangenehmste Aufgabe ihres Praesidenten ist geblieben: Monatlich muss er die Arbeitslosenzahl bekannt geben. Sie steigt immer weiter.

Was weniger bekannt ist: Im Westen der Republik hat seit Mitte der Neunziger auch die Zahl der Arbeitsplaetze kraeftig zugenommen (siehe Grafik). Ausgerechnet in jenem Teil Deutschlands, in dem die meisten Beschaeftigten unter Kuendigungsschutz und Flaechentarif fallen, lief die Jobmaschine – erst durch die weltweite Konjunkturkrise geriet sie ins Stocken.

Wie kommt es dann aber, dass die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren stetig stieg, bis auf viereinhalb Millionen?

"Das liegt zum einen an der gestiegenen Erwerbsneigung", sagt Gerhard Bosch, Vizepraesident des Instituts fuer Arbeit und Technik in Gelsenkirchen. In kaum einem Industrieland strebt ein so hoher Anteil der 25- bis 55-Jaehrigen auf den Arbeitsmarkt wie in Deutschland. Mit der Folge, dass es trotz Jobwachstums nicht genug Jobs gibt.

Vor allem aber liegt die wachsende Arbeitslosigkeit am Osten. Dort ist die Zahl der Jobs seit 1995 nicht gestiegen, sondern fast jedes Jahr gesunken. Ausgerechnet dort, wo nach Erkenntnis des DIW neun von zehn Unternehmen nicht mehr an den Flaechentarif gebunden sind (siehe auch Frei und erfolglos). Ein Grund, weshalb der US-Wirtschaftsnobelpreistraeger Robert Solow folgert: "Selbst ein voellig liberalisierter Arbeitsmarkt wird die Wirtschaft nicht retten" (siehe Interview: "Unnoetig schmerzvoll").

Unter Schock. Wenn der Standort, der Staat und der Arbeitsmarkt als Erklaerungen nicht so recht taugen, woran liegt die deutsche Wachstumsschwaeche dann? "In der oeffentlichen Diskussion wird meist uebersehen, dass die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Jahren mehrere schwere Schocks zu verkraften hatte", sagt Dresdner-Bank-Volkswirt Harald Joerg.

Mindestens drei Schocks lassen sich identifizieren, welche die deutsche Wirtschaft schwer erschuetterten, den Rest Europas aber verschonten. Die Wiedervereinigung. Die Einfuehrung des Euro, die nur hierzulande negative Folgen hatte. Und die Bankenkrise.

Die Wiedervereinigung. Zuerst sah es so aus, als mache die Einheit alle reicher. Die Mauer fiel, die Ossis bekamen die D-Mark zum guenstigen Kurs, kauften Autos und bauten Haeuser. Durch Steueranreize der Regierung kuenstlich verbilligt, schossen Eigenheime und Buerogebaeude aus dem Boden. Die Wirtschaft wuchs bundesweit. 1990 mit fuenf, 1991 mit fast sechs Prozent. Solche Raten kennt man heute aus China.

Die Bundesbank fuerchtete, das kraeftige Wachstum werde die Wirtschaft ueberfordern. Tatsaechlich schnellte die Inflationsrate nach oben. Als Antwort setzte die Bundesbank die Leitzinsen drastisch herauf.

Die Wirkung zeigte sich schnell: Kredite und neue Investitionen wurden teurer, Deutschland rutschte in die Rezession. Wegen der hohen Zinsen stieg auch der Kurs der D-Mark, was deutsche Produkte teurer und deutschen Exporteuren das Leben schwer machte. "Gleichzeitig erhoehte die Regierung im Krisenjahr 92 die Steuern und Sozialabgaben – und erdrosselte damit die Inlandsnachfrage", so der Oekonom Heilemann.

Das Ergebnis ist nun Thema in Talkshows und Zeitungen. Der Osten komme nicht auf die Beine, er ziehe den Westen mit in die Tiefe, warnt eine Kommission um den ehemaligen Hamburger Politiker Klaus von Dohnanyi. In Wahrheit hat die falsche Wirtschaftspolitik des Westens den Osten zum Dauerproblem gemacht. Erst wurde durch den guenstigen Umtauschkurs und die Hilfen fuer den Bau ein Boom erzeugt, dann wurde er schlagartig abgewuergt, wovon sich die gesamtdeutsche OEkonomie bis heute nicht erholt hat. "Die zu restriktive Geld- und Fiskalpolitik hat die Wirtschaft destabilisiert", so der Hamburger OEkonom Joerg Bibow.

Die Folgen sind fatal. Um den Osten vor weiterem Absturz zu bewahren, muessen die alten Laender noch immer jaehrlich 4,5 Prozent der Wirtschaftsleistung dorthin transferieren. "Das daempft das Wachstum im Westen", sagt ein hochrangiger Volkswirt der Bundesbank.

Als jedoch mit Beginn des neuen Jahrtausends die Debatte um den "kranken Mann Europas" begann, blieb der Hinweis auf die Wiedervereinigung meist aus.

Dabei hatte schon vor zwei Jahren der Sachverstaendigenrat berechnet, dass allein die Spaetfolgen der so schlecht gestalteten Wiedervereinigung fuer zwei Drittel der Wachstumsschwaeche verantwortlich seien.

Nirgends zeigt sich dies so deutlich wie am Bau. Seit 1995 gehen jedes Jahr weitere Firmen Pleite. "Der Bau belastet die deutsche Wachstumsperformance im internationalen Vergleich erheblich, die uebrigen Sektoren dagegen halten mit dem europaeischen Tempo recht gut mit", sagt Klaus Borger, Volkswirt bei der bundeseigenen Foerderbank KfW. Borger hat fuer einen besseren Vergleich der tatsaechlichen Wachstumsstaerke Deutschlands die Bauwirtschaft aus dem BIP herausgerechnet. Und siehe da: Seit drei Jahren waechst Deutschland genauso schnell wie das uebrige Euroland (siehe Grafik).

Die Euro-Einfuehrung. Am Anfang der Marktwirtschaft steht der Kredit: etwa fuer den Kauf von Maschinen, die ein Unternehmer braucht, um zu produzieren. Ohne Kreditwachstum kein Wirtschaftswachstum. In Deutschland aber wachsen die Kredite nicht.

Was das mit dem Euro zu tun hat? Ganz einfach. Die Waehrungsunion brachte den Deutschen nicht nur neue Muenzen und Scheine, sondern auch neue Zinsen, und das hat fuer die Bundesrepublik eine ungleich groessere Bedeutung. Denn die Zinsen sind der Preis, den ein Unternehmer fuer einen Kredit zu zahlen hat.

Bevor der Euro kam, galt die D-Mark in Europa als Leitwaehrung. Wer in Franc oder Lire einen Kredit aufnahm, musste Risikoaufschlaege in Form hoeherer Zinsen zahlen. Denn die europaeischen Waehrungen waren in staendiger Gefahr, gegenueber der D-Mark an Wert zu verlieren. Kredite in der deutschen Waehrung waren deshalb billiger und Investitionen hierzulande guenstiger als im restlichen Europa. Heute gibt es in Euroland nur noch eine Waehrung und einen einheitlichen nominalen Zinssatz – und die deutsche Wirtschaft hat einen Vorteil verloren.

Tatsaechlich hat sie jetzt sogar mit dem Nachteil hoher Zinsen zu kaempfen. Zwar ist der Zinssatz nominell ueberall in Euroland gleich. Bereinigt man ihn jedoch um die Inflationsrate, ergeben sich deutliche Unterschiede. Je niedriger die Inflation, desto hoeher die realen Zinsen. In Deutschland ist die Inflation so niedrig wie nirgendwo sonst in Euroland – weshalb die Realzinsen stiegen. "Steigende Realzinsen aber bremsen die Investitionstaetigkeit der Unternehmen und damit das Wachstum", sagt Stefan Bergheim, Volkswirt bei der Deutschen Bank Research.

Theoretisch koennte die Bundesregierung den Zinsschock durch eine grosszuegigere Fiskalpolitik mildern. Soll heissen: Sie muesste vom Sparkurs abweichen, bis die Wirtschaft wieder Luft hat. Doch dieser Weg ist ihr verwehrt. "Da ist der widersinnige Stabilitaetspakt vor, der eine vernuenftige Reaktion der Fiskalpolitik verhindert", moniert Dieter Wermuth, Euroland-Chefvolkswirt der japanischen Grossbank UFJ.

Die Kreditklemme. Wenn es einen Ort gibt, an dem der Puls der deutschen Wirtschaft schlaegt, dann ist es der Bankensitz Frankfurt. Denn die Banken vergeben die Kredite.

Die Wiedervereinigung, das Ende des Baubooms, die Waehrungsunion – das hat Spuren in den Bilanzen der Finanzhaeuser hinterlassen. Und damit die Schocks noch verstaerkt. Fuenf der sieben groessten Banken haben 2003 zusammen mehr als zehn Milliarden Euro Verlust verzeichnet, weswegen sie mit neuen Krediten vorsichtig sind. Die Folge: Erstmals in der Geschichte der Republik schrumpft das Volumen der an Unternehmen ausgegebenen Darlehen (siehe Grafik). Im restlichen Euroland dagegen waechst es mit rund fuenf Prozent.

Vergangene Woche gab erstmals ein deutscher Bankmanager zu, dass diese Situation ein Problem darstelle. "Die Banken geben bei weitem nicht so viele Kredite, wie es fuer den Mittelstand erforderlich ist", sagte KfW-Chef Hans Reich dem Handelsblatt. Die Auftragsbuecher vieler Firmen seien voll, koennten aber wegen fehlender Finanzierung nicht abgearbeitet werden.

Bei einer Umfrage des manager magazins unter 350 Mittelstaendlern in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gaben 40 Prozent an, die Kreditvergabe sei ein Hauptproblem. Der Arbeitsmarkt rangierte weit dahinter, nur 15 Prozent hielten den Flaechentarifvertrag fuer hinderlich.

Der Ausweg. Wenn der Mittelstand tatsaechlich das oft zitierte Rueckgrat der deutschen Wirtschaft ist, warum diskutieren Politiker und Oekonomen ueber Probleme, die Mittelstaendler als drittrangig einschaetzen? Natuerlich ist niemand gegen noch mehr Wettbewerbsfaehigkeit. Selbstverstaendlich koennen Sozialreformen dafuer sorgen, dass Renten- und Krankenversicherung effizienter arbeiten und wieder mehr Geld in ihre Kassen fliesst. Mit Sicherheit kann ein flexiblerer Arbeitsmarkt Wunder wirken – aber erst, wenn es wieder aufwaerts geht.

Damit das jedoch eintritt, muessen die Banken wieder Kredite vergeben, muss die Last der hohen Realzinsen durch eine expansive Fiskalpolitik gemildert werden, muss endlich auch die Nachfrageseite der Wirtschaft ernst genommen werden, wie es Nobelpreistraeger Solow fordert. Durch Lohnkuerzen und Guertel-enger-Schnallen ist dies kaum zu erreichen. Im Gegenteil. Die deutsche Vorstellung von einem "Wachstum durch Sparen" koennte am Ende ganz Euroland destabilisieren, fuerchtet der Wirtschaftsweise Bofinger.

aus: DIE ZEIT 15.04.2004 Nr.17

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