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Hartz IV – die Justiz – und ein gravierendes Dilemma

Pressemitteilung des Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts für das Land NRW vom 29.11.2004

Während die Justizminister am vergangenen Donnerstag den Startschuss zu einer "Großen Justizreform" gegeben haben, ist die Justiz bei Hartz IV schon einen Tag später – doch bislang ohne öffentliche Wahrnehmung – in ein gravierendes Dilemma geraten. Darauf hat jetzt der Präsident des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, Dr. Michael Bertrams, hingewiesen.

Zur Vorgeschichte: Im Jahre 2003 hat der Bundesgesetzgeber beschlossen, mit dem Start von Hartz IV im Januar 2005 den Sozialgerichten die Streitigkeiten um Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe zuzuweisen. Allerdings vergaß der Gesetzgeber für die sozialhilferechtlichen Streitigkeiten eine Regelung zur Bestellung der ehrenamtlichen Richter. Hinsichtlich der Streitigkeiten um das Arbeitslosengeld II unterlief dem Gesetzgeber im Sommer 2004 außerdem ein Versehen: Bei der Verabschiedung des "Kommunalen Optionsgesetzes" hob er die Regelung der Zuweisung zu den Sozialgerichten wieder auf. Am Freitag nun hat der Bundestag in einem "Siebenten Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes" dieses Versehen korrigiert und die Streitigkeiten um das Arbeitslosengeld II erneut den Sozialgerichten zugewiesen. Überdies hat er erstmals die Besetzung der Richterbank bei den Sozialgerichten in Sozialhilfestreitigkeiten geregelt.

Das Dilemma: Der Bundesrat hat dem Änderungsgesetz wegen sachlicher Bedenken die Zustimmung versagt. Der Bundestag ist auf diese Bedenken nicht eingegangen. Die Zustimmungsbedürftigkeit hat er verneint. Nun muss der Bundespräsident prüfen, ob er auch ohne Einigung zwischen Bundesrat und Bundestag das Gesetz unterzeichnen kann. Hält auch der Bundespräsident das Gesetz für zustimmungsbedürftig, wird er nicht unterzeichnen; das Gesetz kann nicht in Kraft treten.

Konsequenz: In Streitigkeiten um das Arbeitslosengeld II fehlt eine gesetzliche Zuweisung an die Sozialgerichte. Ohne diese Zuweisung wären die Verwaltungsgerichte zuständig. Weitere Konsequenz: In sozialhilferechtlichen Streitigkeiten wäre die Besetzung der Richterbank weiterhin nicht geregelt. Hält der Bundespräsident das Gesetz im Gegensatz zum Bundesrat nicht für zustimmungsbedürftig, wird er unterzeichnen. Damit wäre die Frage nach dem verfassungsmäßigen Zustandekommen des Gesetzes allerdings nicht vom Tisch. Diese Frage – und damit die nach dem gesetzlichen Richter - wäre vielmehr fortan ein Sprengsatz für jede gerichtliche Streitigkeit um Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II. Entschärfen müsste diesen Sprengsatz im Falle seiner Anrufung das Bundesverfassungsgericht.

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