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Lektion für Neoliberale

In selbst organisierter Volksbefragung stimmen mehr als zwei Millionen Franzosen gegen Postprivatisierung. Rechte wütet gegen Basisdemokratie

Die »Schonfrist« für die französische La Poste sei bald zu Ende, frohlockten noch am Montag bürgerliche Organe wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die Neoliberalen auch in Deutschland fiebern der spätestens für den 1. Januar 2011 vorgesehenen vollständigen Marktöffnung im Nachbarland entgegen. Diese betrifft dann auch Briefe unter 50 Gramm. Konzerne wie die Deutsche Post AG oder die niederländische TNT stehen dafür bereits in den Startlöchern. Ihre Freude könnte sich allerdings als voreilig erweisen. Eine »Bürgerabstimmung«, die in den letzten Tagen in ganz Frankreich durchgeführt wurde, weist nicht nur eine unerwartet hohe Beteiligung, sondern auch ein mehr als eindeutiges Ergebnis auf: Insgesamt 2123717 Menschen nahmen an der Volksbefragung teil, und nur 31701 (1,51 Prozent) sprachen sich für die Privatisierung aus. 2092016 antworteten auf die Frage »Die Regierung will den Status der Post ändern, um sie zu privatisieren. Sind Sie mit diesem Projekt einverstanden?« mit Nein.

Gestartet wurde die Aktion von einem 62 Organisationen umfassenden Komitee, dem – mit Ausnahme der sozialdemokratischen CFDT – fast das komplette Gewerkschaftsspektrum von der christlichen CFTC über die KP-nahe CGT und die linksradikale SUD-PTT bis hin zur anarchosyndikalistischen CNT angehört. Darüber hinaus sind Parteien von der linksliberalen PRG, den Grünen und den Sozialisten bis zur KP und der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) sowie diverse Erwerbslosen-, Mieter-, Verbraucherverbände und ATTAC beteiligt. In einem bisher nicht dagewesenen gemeinsamen Kraftakt hatten sie zehntausend Abstimmungslokale eingerichtet. In von der Linken regierten Kommunen wurden dafür Räume in den Bürgermeisterämtern bereitgestellt. Anderswo handelte es sich notgedrungen um Zelte und Infostände samt Wahlurnen vor Postämtern, Einkaufszentren oder auf Märkten.

Obwohl die Abstimmung rechtlich in keiner Weise bindend ist, zeigen bereits die wütenden Reaktionen des rechten Regierungslagers das politische Gewicht dieser Form von Basisdemokratie. Für Haushaltsminister Eric Woerth handelt es sich um »Betrug und eine frisierte Abstimmung«, denn es sei die »falsche Frage« gestellt worden. Der von April 2002 bis Mai 2005 amtierende ehemalige Premierminister Jean-Pierre Raffarin sprach von »falscher Demokratie«. Und Industrieminister Christian Estrosi hält es für ein Votum »ohne juristischen Wert«, das seiner Ansicht nach an »die großen Momente der Sowjetunion« erinnert.

Die Linke hingegen fordert nun ein reguläres Referendum, um die Umwandlung der Post in eine Aktiengesellschaft, die als wichtiger Zwischenschritt zur Privatisierung betrachtet wird und im November vom Parlament beschlossen werden soll, zu verhindern. Für Razzy Hammadi, der in der Führungsspitze der Sozialisten für den öffentlichen Dienst zuständig ist, handelt es sich um »einen echten Erfolg. Das war eine Mobilisierung ohne­gleichen, und es ist der Beweis, daß es, wenn man seinen Grundsätzen treu bleibt und sich einen Ruck gibt, möglich ist, die Grenzen, die wir für unüberwindlich hielten, zu verschieben.« Seines Erachtens steht »die Regierung mit dem Rücken zur Wand. Entweder straft sie die Mobilisierung der Bürger in allen Landesteilen mit Verachtung, oder sie muß die Änderung des rechtlichen Status der Post stoppen und ein nationales Referendum organisieren.«

NPA-Sprecher Olivier Besancenot, selbst Briefträger, sprach von einer »Lektion für die Regierung« und erinnerte daran, daß Staatspräsident Nicolas Sarkozy bis vor kurzem »viel davon geredet hat, Volksabstimmungen durchzuführen, im vorliegenden Fall allerdings nicht«. Einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IFOP für die in Bordeaux erscheinende, auflagenstarke Tageszeitung Sud Ouest zufolge wird die Forderung nach einem Referendum von 59 Prozent aller Franzosen unterstützt. Naturgemäß ist der Anteil der Befürworter unter den linken Wählern mit 70 Prozent am höchsten, doch auch 41 Prozent der Anhänger von Sarkozys Partei UMP sind dafür.

Die Regierung versucht derweil, die Bewegung mit Zuckerbrot und Peitsche zu beherrschen. »Die Post stirbt, wenn sie nicht eine andere Rechtsform bekommt«, beschwört Industrieminister Estrosi den Untergang herauf. Nur durch die Umwandlung in eine AG könne sie gerettet und könnten ihr 2,7 Milliarden Euro frisches Kapital aus der staatlichen Beteiligungsgesellschaft Caisse des Dépots zugeführt werden. Tatsächlich lasten Schulden von sechs Milliarden Euro auf La Poste, für die jährlich 300 Millionen Euro Zinsen gezahlt werden.

Allerdings war es in den letzten fünf Jahren kein Problem, als Staatsbetrieb drei Milliarden in neue Briefverteilzentren zu investieren und das Zustellungstempo deutlich zu erhöhen. Bei dem jetzigen Schritt geht es offenkundig nicht um eine Verbesserung des Service, sondern um Kommerz und die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse.

Dem Versprechen, »die Post bleibt zu 100 Prozent öffentlich«, glaubt daher kaum jemand. Auch bei Gaz de France und France Télécom hatte Sarkozy einen Staatsanteil von mehr als 70 Prozent zugesagt, dann aber sein Wort gebrochen. Die Arbeitsbedingungen bei der Télécom sind nach einer Serie von 24 Selbstmorden seit Februar 2008 weiterhin Titelthema. Am Dienstag beteiligten sich laut SUD-PTT »30 bis 40 Prozent der Beschäftigten« an einem Proteststreik gegen den mörderischen Streß in dem privatisierten Konzern.

Quelle: Junge Welt vom 08.10.09

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