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"Unsere Akten haben wir immer noch nicht zurück"

Vor vier Wochen ueberfiel die Polizei in Bochum das LabourNet-Buero. Die Redaktion war zuvor schon ein halbes Jahr ausgeforscht worden. Ein Gespraech mit Mag Wompel

Interview: Wolfgang Pomrehn

  • Mag Wompel ist Redakteurin der Internet-Plattform LabourNet Germany, die tagesaktuell ueber betriebliche und ausserbetriebliche Kaempfe der Lohnempfaenger und Erwerbslosen in Deutschland und dem Rest der Welt informiert.

F: Die Staatsanwaltschaft hat vor vier Wochen die Redaktionsraeume von LabourNet durchsucht und Materialien beschlagnahmt. Haben Sie Ihre Sachen wieder?

Nein. Der Skandal haelt an. Wir haben zwar nach Protesten unseres Anwalts drei Tage darauf unsere Rechner zurueckbekommen – die mussten wir aber selbst abholen. Die Dokumente mit sensibler Informantenpost haben wir immer noch nicht zurueck. Unter anderem die zur Kampagne "Schwarze Schafe", die ueberhaupt nichts mit den gegen uns erhobenen Vorwuerfen zu tun hat. Dabei geht es um die Erfassung von Ein-Euro-Jobs und Arbeitsbedingungen. Inzwischen hat die Justiz vier Wochen Zeit gehabt, unsere Korrespondenz zu lesen und zu kopieren. Wir werden wohl nie erfahren, an wen welches Material weitergegeben wurde.

F: Hat Ihr Anwalt Akteneinsicht, so dass Sie zumindest nachvollziehen koennen, was geschieht?

Das hat fast drei Wochen gedauert. In den ersten zwei Wochen wussten wir nur vom Hoerensagen, was uns vorgeworfen wurde.

F: Welcher hochverraeterischen Tat werden Sie beschuldigt, die einen derart massiven Eingriff in die Pressefreiheit erlauben wuerde?

Mitte Dezember 2004 wurde in Bochum und Koeln ein anonymes Flugblatt verteilt, unterzeichnet von einem "Kommando Paul Lafargue". Dabei handelte es sich um ein Schreiben mit dem fingierten Absender Bundesagentur fuer Arbeit (BA) an alle Haushalte, das in offensichtlich satirischer Absicht unterstellen wollte, jeder Haushalt koenne einen Ein-Euro-Job schaffen, zum Beispiel in der Kinderbetreuung oder zum Putzen. Man solle sich bei Bedarf an die BA wenden.

Daraufhin hat die Bochumer BA eine Anzeige gegen Unbekannt wegen Urkundenfaelschung erstattet. Einige Tage, nachdem das Flugblatt verteilt wurde, gab es, wie wir aus unseren Akten erfuhren, ein Bekennerschreiben. Darauf stand unter der Signatur "Kommando Paul Lafargue" ein Verweis auf weitere Informationen auf der Internetseite der Agenturschluss-Kampagne www.labournet.de/agenturschluss. Die ist, wie man an der Adresse sieht, bei uns angesiedelt. Die Kampagne hatte sich im Dezember und Januar gegen die Einfuehrung des Arbeitslosengeldes II gerichtet.

Jedenfalls handelte es sich um nichts weiter als einen Verweis. Das ist ungefaehr so, als wenn jemand ein nicht genehmes Flugblatt verteilt, auf dem auf Informationen auf einer Webseite des WDR hingewiesen wird. Und die Staatsanwaltschaft nimmt dies dann zum Anlass, die Raeume des Rundfunksenders zu durchsuchen und saemtliche journalistische Korrespondenz zu beschlagnahmen.

F: Trotz dieser duerftigen Beweislage wird das Verfahren gegen LabourNet weitergefuehrt?

Ja. Und wie wir nach der Akteneinsicht wissen, hat man uns ein halbes Jahr lang ausgeforscht, ohne uns auch nur einmal zu befragen. Erst als ich im Urlaub war, brach die Polizei in meine Wohnung ein, in der sich auch die Redaktion befindet – so empfinde ich es jedenfalls, unabhaengig von der angeblichen Rechtslage. Ebenso gab es bei einem Redaktionskollegen sowie beim Vorsitzenden des Traegervereins des LabourNet Germany morgens um 6.30 Uhr Hausdurchsuchungen.

F: Was sagt die Deutsche Journalisten Union (DJU) in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zu diesem Angriff auf die Pressefreiheit?

Der DJU-Bundesvorstand hat sich mit uns solidarisch erklaert und heftig gegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Bochum protestiert. Auch sonst haben wir viel Solidaritaet erfahren. Vom Komitee fuer Grundrechte und Demokratie zum Beispiel, von Professoren und auch von Gruppen und Personen aus dem Ausland. Einen Teil dieser Zuschriften, etwa 120, kann man auf unserer Internetseite einsehen. Die Staatsanwaltschaft scheint das bisher nicht zu beeindrucken, deshalb bitten wir darum, uns weiter mit Protest- und Solidaritaetsschreiben zu unterstuetzen.

Adressen fuer Protestbriefe unter www.labournet.de

Quelle: Junge Welt vom 3.8.05

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