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Eine Stadt im Generalstreik gegen die Krise

Lebrija ist eine Kleinstadt rund 60 km südlich von Sevilla. Seit dem 18. Februar ist der Ort mit seinen 26.000 EinwohnerInnen schlagartig berühmt geworden - als erste Stadt Spaniens, in der die Bevölkerung einen Generalstreik gegen die Krise und gegen die Vetternwirtschaft der Kommunalregierung durchgeführt hat. Organisiert wurde dieser Streik, an dem sich zwischen 90 und 95 Prozent aller Beschäftigten beteiligt haben, von der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft CNT und einem EinwohnerInnen-Komitee, das Erwerbslose vor einigen Wochen gegründet hatten.

5.200 Erwerbslose gibt es in Lebrija, so viele wie sonst kaum irgendwo in Spanien. Das hat strukturelle Gründe, denn in der Stadt leben viele TagelöhnerInnen, die in auf den Plantagen der Großgrundbesitzer in der Umgebung des Ortes arbeiten - und für die gibt es im andalusischen Winter nur weniger Jobs. Seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, die Spanien bereits viel mehr im Griff hat, als andere Gegenden Europas, ist die Zahl der Erwerbslosen in Lebrija aber noch einmal rapide nach oben geschnellt. Auch in Spanien versucht der Staat auf verschiedenen Ebenen mit Antikrisen-Programmen der drohenden Gefahr von sozialen Aufständen entgegenzusteuern. Und die Verteilung dieser Gelder war ein weiterer Anlass für den eintägigen Generalstreik am 18. Februar

Lebrija - Tierra del enchufismo

Die kleine Stadt liegt in einer Gegend, in der traditionell „links“ gewählt wird. In Lebrija und der Umgebung regiert seit mehreren Jahren eine Koalition aus rechten Sozialdemokraten (PSOE) und der sog. „Izquierda Unida“ (IU-CA), einer linkssozialdemokratischen Partei, die am ehesten mit der Partei „die Linke“ in der BRD zu vergleichen ist. Eng verbunden mit diesen Parteien sind die Gewerkschaften UGT und CCOO. Sie haben von der andalusischen Regionalregierung alleine von 2004 bis Anfang 2006 mehr als 265 Millionen Euro direkte oder versteckte Zuwendungen erhalten und verhalten sich seither auffällich friedlich.

In Lebrija führte diese Konstellation zu einem System, das von den Arbeitslosen der Stadt als „Enchufismo“ (Vetternwirtschaft) bezeichnet wird. Mitglieder der beiden regierungsnahen Gewerkschaften sollen bei der Vergabe von Jobs aus staatlichen Unterstützungsgeldern regelmäßig bevorzugt worden sein. Kein Wunder, denn Funktionäre von UGT und CCOO sind an der Kontrolle der Vergabe dieser Mittel beteiligt.

Um mehr Transparenz herzustellen und dem Enchufismo Einhalt zu gebieten, gründeten Erwerbslose aus Lebrija im Winter ein EinwohnerInnen-Komitee. Eine ihrer Forderungen war die Errichtung einer lokalen Arbeitsbörse unter Beteiligung des Komitees und der CNT. Die Lokalföderation der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft wurde in Lebrija erst vor wenigen Jahren gegründet. Mittlerweile ist sie nach einer ganzen Reihe von Arbeitskämpfen und Unterstützung von sozialen Kämpfen am Ort mit mehr als hundert Mitgliedern eine der größeren Gewerkschaften am Ort. Zur Durchsetzung ihrer Forderung begann das Komitee Anfang 2009 eine Reihe von Demonstrationen zu organisieren. An der ersten beteiligten sich 100 Leute, an der zweiten 200, an der dritten 500, bis schließlich am 6. Februar mehr als 2.500 Menschen in der Gemeinde mit 26.000 EinwohnerInnen dem Aufruf der CNT und des Komitees folgten.

Eine Stadt mobilisiert sich

Die Stadtregierung unter Bürgermeister María José Fernández (PSOE) stellte sich angesichts der größten sozialen Mobilisierung in dem Ort seit der spanischen Revolution taub. Außer Denunziationen und Verächtlichmachung ging sie mit keinem Wort auf die Forderungen der Arbeitslosen ein. Diese begannen daraufhin einem bemerkenswerten Projekt, sie riefen für den 18. Februar, zusammen mit der CNT, zu einem Generalstreik in Lebrija auf. Anfangs wurden sie dafür belächelt, einige Tage später begannen die Unternehmer der Stadt, zusammen mit der Lokalregierung und den beiden Gewerkschaften UGT und CCOO, schließlich alles aufzufahren, was sie an Klüngelei und Medieneinfluss mobilisieren konnten. Im Lokalblatt „El Periodico de Lebrija“ schaltete die UGT ganzseitige Anzeigen gegen den Streik und Unternehmer- sowie Einzelhandelsverbände, die Stadtregierung und mit ihr verbundene Parteien und Vereine durften sich seitenweise darüber auslassen, dass man aber viel lieber arbeiten und den Wohlstand steigern wolle, als zu streiken. Die Bosse setzten kurzfristig noch eine Demonstration an, die mehr als schlecht besucht war. Alles wartete gespannt auf den 18. Februar, am Vorabend ließ die Stadtverwaltung noch verkünden, kaum jemand werde sich am Generalstreik beteiligen.

Lebrija steht still

Die einzigen Geschäfte, die in Lebrija am 18. Februar 2009 geöffnet hatten, waren dann aber eine Tankstelle, zwei Kneipen und acht Gemüsestände auf dem Marktplatz. Ansonsten glich der Ort einer Geisterstadt. Die Belegschaften der Supermärkte Día, Lidl, Eroski und die ArbeiterInnen in den Bäckereien befolgten den Streikaufruf zu hundert Prozent. Ebenso die Beschäftigten auf den Baustellen, in den Dienstleistungsfirmen und vielen Versorgungsbestrieben sowie die fast aller Kneipen und Restaurants. Als einziger Supermarkt hatte die Mercadona-Filiale geöffnet. Als sich aus einer Demonstration von 1.500 UnterstützerInnen des Streiks dann aber 100, zusammen mit Beschäftigten des Supermarktes, zu einem Streikposten postierten, mochte den Rest des Tages so gut wie niemand mehr bei Mercadona einkaufen. Die Supermarkt-Kette ist in Spanien wegen ihrer rüden Methoden gegen Streikende bekannt und liegt seit mehr als zwei Jahren in mehreren Städten in Konflikt mit der CNT.

Während des Generalstreiks war massiv lokale Polizei und Guardia Civil auf den Straßen der Stadt unterwegs, ohne dass sich die Menschen davon einschüchtern ließen. Gegen Abend konnte das Streikkomitee bekanntgeben, dass rund 90% der Bevölkerung der 26.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt „mit einem unverkennbaren Ja“ auf den Streikaufruf reagiert habe. In der Presse wurde teilweise sogar von einer 95 prozentigen Beteiligung gesprochen. Dieser Erfolg, mit dem in diesem Umfang niemand auch nur in den kühnsten Träumen gerechnet hat, ist ein Schlag ins Gesicht der Stadtregierung. Alles wartet gespannt darauf, ob sie jetzt endlich reagieren und auf die Forderungen des EinwohnerInnen-Komitees eingehen wird. Falls nicht, werden die Mobilsierungen weitergehen.

Zum Generalstreik wurde von CNT und BürgerInnen-Komittee ganz ausdrücklich auch als „erstem Generalstreik gegen die Krise“ mobilisiert. Das ist nicht nur für Spanien etwas Gänzlich Neues und ein Beispiel, das hoffentlich Schule machen wird.

Einige Links zum Weiterlesen:

http://www.fau.org/artikel/art_090218-174745
Bericht mit Fotos und Dokumenten zum Generalstreik in Lebrija

http://www.cnt.es
Website der Gewerkschart CNT (Spanisch)

http://www.lahaine.org/index.php?p=36144
Berichte über den Streik auf dem Nachrichtenportal La Haine (Spanisch)

Quelle: indymedia vom 19.02.09

 

 

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