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Das Volk gegen Zensursula

Entweder sie sind für uns oder sie sind für die Pädophilen! So lässt sich der populistische Aktionismus der Familienministerin von der Leyen umschreiben. Im Parlament hatte die blonde Uschi bislang keinen relevanten Widerstand gegen ihre Sperrliste zu erwarten. Alle Oppositionsparteien sind zwar gegen die Einführung einer Zensurinfrastruktur bei deutschen Internetprovidern, aber die Reihen der Großen Koalition sind im Kampf gegen die Informationsfreiheit wie so häufig geschlossen.

Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die umstrittenen Gesetzesänderungen noch in diesem Jahr vollzogen werden. Damit wird man dem vorgegeben Ziel, der Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet, zwar keinen Jota näher kommen – stattdessen errichtet man das Fundament für künftige Zensurvorhaben im Netz. Die Reihe der Interessenten an Netzfiltern zur Durchsetzung ihrer Begehrlichkeiten ist lang – die staatlichen Glücksspielmonopolisten wünschen sich ein Verbot ausländischer Konkurrenzangebote, Musik-, Film- und Softwarevertreiber wollen gegen Peer-to-Peer-Netzwerke vorgehen und Innenminister Schäuble sieht die nationale Sicherheit durch subversive Internetseiten schon länger gefährdet.

Die Zensur ist das Breitschwert, das dort mit Brachialgewalt geschwungen wird, wo eigentlich ein Florett vonnöten wäre. Die geplante Sperrliste wird vom BKA verwaltet und es ist nicht vorgesehen, eine neutrale Kontrollinstanz einzuschalten, die über Sperrung oder Freigabe entscheidet. Dies ist ein Novum in der deutschen Jurisdiktion – bis dato gilt für alle Medien, dass sie entweder von einer freiwilligen Selbstkontrolle oder von der Bundesprüfstelle überprüft werden. So sehr man diese Prüfungen auch im Detail kritisieren mag, sie unterliegen rechtsstaatlichen Prinzipien. So sind die Listen einsehbar und es besteht die Möglichkeit, in einem offenen Verfahren Widerspruch gegen die Aufnahme in eine solche Liste einzureichen, der dann von einem Gericht geprüft wird. Die „Internetsperrliste“ wird nicht von einem rechtsstaatlich legitimierten Gremium aufgestellt, sondern in den dunklen Kellern des BKA – weder eine Einsicht in die Liste, noch ein offenes Sperrungsverfahren sind vorgesehen. Hier besteht die große Gefahr staatlicher Willkür – solche Verfahrensweisen sind allenfalls aus Diktaturen bekannt.

Wofür man überhaupt eine solche Liste benötigt, ist nicht erklärlich. Untersuchungen der vorhandenen Sperrlisten in Skandinavien, der Schweiz und Australien ergaben, dass sich die Server, auf denen die vermeintlich kinderpornographischen Schriften gespeichert sind, zu 96% in westlichen Ländern befinden – ein Großteil davon in den USA. In Ländern also, in denen es klare Gesetze gegen Kinderpornographie gibt, und die ohne weitere Probleme bei einem Rechtshilfeersuchen tätig werden könnten. Es ist unverständlich, warum in diesen Staaten nichts gegen die Anbieter getan wird. Auch in Deutschland sind 321 Seiten der skandinavischen Sperrlisten gehostet, und es wäre ein Leichtes, diese Seiten schon heute dichtzumachen. Wie einfach das ist, demonstrierte ein Versuch des Vereins Carechild. Die Mitarbeiter suchten sich in einer zufälligen Stichprobe zwanzig Anbieter von Kinderpornographie aus der dänischen Sperrliste heraus, ermittelten den Provider und schrieben diesen an. Binnen kürzester Zeit waren 16 der 20 beanstandetetn Seiten für immer aus dem Netz verschwunden – bei drei Seiten versicherte der Provider glaubhaft die Rechtmäßigkeit der Inhalte seiner Kunden. Das Ergebnis des Carechild-Versuchs ist blamabel für die Bundesregierung. Warum sollte man Internetseiten filtern, die man auch ohne großen Aufwand vom Netz nehmen kann? Wenn man bedenkt, dass die Filtermaßnahmen auch kinderleicht zu umgehen sind, ist das Vorgehen der Regierung umso unverständlicher.

Wenn sich so viel Aktionismus, Dilettantismus und Überwachungswut vermengen, ist der Widerstand des Netzes natürlich nicht weit. Um von der Leyens feuchte Zensurträume platzen zu lassen, hat die Netzaktivistin Franziska Heine beim Server des Bundestags eine Petition eingereicht, die erreichen soll, dass der Bundestag das Gesetzesvorhaben ablehnt. Diese Petition hat das Zeug, Geschichte zu schreiben. Seit Montagmorgen haben sich bereits aktuell (Mittwoch 19:30) rund 37.000 Zeichner eingetragen. Die „magische Grenze“ von 50.000 Unterschriften wird somit wohl noch diese Woche erreicht werden – ein solches Lauffeuer ist historisch einmalig. Der Petitionsausschuss des Bundestags wird sich also in einer Einzelsitzung mit den Argumenten von Franziska Heine auseinander setzen müssen. Dies hat freilich nur Signalcharakter. Durch die Petition wird sich das Gesetz direkt nicht verhindern lassen, was das Volk allerdings erreichen kann, ist ein kaum zu übersehendes und von den Medien nicht zu ignorierendes Ausrufezeichen! Das Volk hat eine Stimme und diese wird in diesem Punkt – und nicht nur in diesem – nicht durch die Große Koalition vertreten.

Nach der erfolgreichen Petition zum Thema Grundeinkommen ist dies das zweite Volksbegehren, das sich abseits der alten Medien in Form einer Graswurzelrevolution Gehör verschafft. Die elektronische Petition hat dabei das Zeug, ein außerparlamentarischer Denkzettel für die Politik zu werden. Auch wenn das Instrument „Petition“ keine direkte Wirkkraft besitzt, so hat es doch das Potential, die Machthaber zu nerven. Volkes Stimme ist lästig und je häufiger und je zahlreicher erfolgreiche Einzelpetitionen die Machthaber nerven, desto besser.

Die Möglichkeiten der partizipatorischen Demokratie in Deutschland sind leider nur sehr gering. Die alliierten Machthaber hatten kurz nach dem zwölfjährigen Reich, das 1000 Jahre überdauern sollte, verständlicherweise kein Vertrauen in das deutsche Volk. Daher wurde die Bundesrepublik als Parteiendemokratie gestrickt, in der auf plebiszitäre Elemente weitgehend verzichtet wurde. Seitdem sind nun 60 Jahre vergangen und niemand muss mehr vor dem deutschen Volk Angst haben – niemand, außer den deutschen Politikern. Es ist an der Zeit, die Verfassung zu ändern. Wenn die Politik nicht mehr die Sprache des Volkes spricht, so muss das Volk eine Stimme bekommen. Ein Volksentscheid zur Einführung plebiszitärer Elemente wäre wünschenswert. Vielleicht wäre dies ein guter Inhalt für die nächste Petition mit Potential?

P.s.: Alle Leser sind hiermit aufgefordert, sofern nicht schon geschehen, die Petition online zu zeichnen. Wir sind das Volk!

Hintergrundinformationen: Die Pressemappe des Arbeitskreises gegen Internet-Sperren und Zensur bietet umfangreiches Informationsmaterial zum Thema Internetsperrliste

Quelle: spiegelfechter.de vom 06.05.09

 

Zensur hilft keinem Kind

Zigtausende paranoide Bürger listet der Bundestag derzeit im Internet auf, und stündlich werden es mehr. So jedenfalls muss man die Union verstehen, wenn sie behauptet, nur Verschwörungstheoretiker würden in dem geplanten Gesetz zur Sperrung von Kinderporno-Seiten den Einstieg in die Zensur des Internets sehen.

Doch genau der droht. Denn der Entwurf der Bundesregierung sieht vor, dass das Bundeskriminalamt täglich eine streng vertrauliche Liste von Webadressen erstellt, die umgehend von den Providern gesperrt werden müssen - ohne dass irgendjemand kontrollieren kann, was warum und wie lange auf dieser Liste steht. Dagegen protestieren die mittlerweile weit mehr als 65 000 Mitzeichner einer Online-Petition auf der Webseite des Bundestags.

Man muss keine Horrorszenarien bemühen, um sich die Auswirkungen eines behördlich regulierten Internets vor Augen zu führen. Deutschland wird kein zweites China, mit einer Zensurbehörde, in der 40 000 Mitarbeiter die Netzaktivitäten der Bürger überwachen. Deutschland steckt auch keine kritischen Blogger ins Gefängnis, wie es der Iran tut. Es reicht schon ein Blick in die Türkei, wo die Regierung mal wieder den Zugang zu Youtube blockiert - ohne offizielle Begründung. Mit Verschwörungstheorien hat das nichts zu tun.

Dass die Blockade populärer Webseiten in Deutschland völlig undenkbar ist, glauben nicht einmal die Politiker, die am Gesetzentwurf beteiligt waren: Kaum hatte das Kabinett die Sperren beschlossen, äußerte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries Bedenken, dass die BKA-Liste sehr schnell sehr lang werden und sich schon bald nicht mehr auf kinderpornografische Inhalte beschränken würde. Forderungen, auch ausländische Glücksspielseiten und File-Sharing-Angebote zu sperren, wurden schon nach wenigen Tagen laut. Politiker aller Fraktionen zeigten sich ähnlich besorgt wie Zypries, dass man über das Ziel hinaus schießen könnte. Trotzdem saßen bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs nur etwa zwei Dutzend Abgeordnete im Plenum. Zu groß ist vielleicht die Angst vieler Parlamentarier, im Kampf gegen Verbrechen an Kindern als Saboteure dazustehen, wenn sie vor Eingriffen in die Informationsfreiheit warnen.

Ein rechtsfreier Raum soll das Web aber nicht sein. Was offline verboten ist - ob Kinderpornografie, rechtsradikale Hetze oder Drogenverkauf - muss auch online strafrechtlich verfolgt werden. Das BKA darf im Internet aber nicht Kläger und Richter zugleich sein, ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon erfährt. Die geplante Vorhang-Taktik wäre zudem Ressourcenverschwendung. Das Haus eines Kinderporno-Händlers würde die Polizei ja auch nicht nur mit einem Vorhang verhüllen. Ein Stoppschild mit der Aufschrift "Tatort! Eintritt verboten!" vor dem Haus aufzustellen, während hinter dem Vorhang alles weitergeht wie zuvor, ist keine Verbrechensbekämpfung. Sinnvoller wäre es, das BKA mit ausreichend Ermittlern auszustatten, um den Produzenten von Kinderpornos das Handwerk zu legen. Mit der Sperre ist keinem einzigen missbrauchten Kind geholfen.

Je weniger das Internet kontrolliert und reguliert wird, desto wertvoller ist es. Es ist ein Meilenstein für die Demokratie, auch wenn sein Potenzial erst in Ansätzen genutzt wird. So wie beim Protest gegen den Gesetzentwurf: Die Petition der Netzaktivisten wäre ohne das Internet wohl kaum so erfolgreich, kräftig dafür getrommelt haben vor allem Blogger und Online-Medien. Die Diskussion um die technischen Unzulänglichkeiten der Sperren, die selbst von Laien in wenigen Sekunden umgangen werden können, wird in erster Linie online vorangetrieben. Und zwar von denen, die mit dem Netz so umgehen, wie es künftig jede Generation tun wird: jederzeit, überall, in einer Geschwindigkeit und mit Detailkenntnissen, denen Lehrer, Eltern, Behörden und Gesetzgeber noch weitgehend macht- und ahnungslos gegenüber stehen.

Mit den negativen Seiten (im Wortsinn) muss man leben lernen. Es wird immer Webseiten geben, deren Inhalte viele Menschen anstößig finden. Das Internet bildet in seiner gewaltigen Vielfalt eben die gesamte Gesellschaft mit all ihren düsteren Nischen ab. Ein Vorhang aber, der diese und bald auch andere, möglicherweise legale Nischen bedeckt, nimmt dem Internet sein einzigartiges demokratisches Potenzial. Wer mehr Information, mehr Teilhabe, mehr Meinungsäußerung will, der muss die Medienkompetenz der Nutzer stärken, nicht das Medium schwächen.

Quelle: FR vom 11.05.09

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