»Den Laden mal auseinanderfliegen lassen!«
Gegenkampagne zu »Du bist Deutschland« gestartet. Dezentrale Aktivitäten per Internet. Ein Gespräch mit Arian Wendel.
Arian Wendel ist Mitglied von [’solid]36, die sozialistische jugend kreuzberg, und arbeitet zur Zeit an einer Gegenkampagne zu »Du bist Deutschland«.
F: Egal ob im Kino, im Fernsehen oder auf den Straßen der Bundesrepublik, überall wird man zur Zeit von der Kampagne »Du bist Deutschland« verfolgt. Sie wollen nicht »Deutschland« sein. Warum eigentlich nicht?
Ich habe keine Lust, von amoklaufenden Werbetextern derart dreist von der Seite angekumpelt und mit nationalstaatlichen Gebilden gleichgesetzt zu werden. Ich bin halt Arian Wendel und nicht Deutschland. Wer etwas anderes behauptet, dem würde ich einen Gang zum Psychiater empfehlen. Darüber hinaus fühle ich mich der sozialistischen Linken zugehörig, und wir galten ja schon immer aus gutem Grund als Vaterlandsverräter. Für uns stellt der nationalstaatliche Rahmen bestenfalls ein Terrain des Klassenkampfes dar, unsere Ziele sind dem Wesen nach internationalistisch. Wie sagte Marx doch so schön: »Das Proletariat hat kein Vaterland«.
Wenn von Deutschland und den Deutschen die Rede ist, sollen meistens Differenzen verschleiert werden. Hier geht es darum, wachsende soziale Unterschiede mit der Ideologie einer modernisierten Volksgemeinschaft zuzuschütten. Dem arbeitslosen Schlucker soll so vermittelt werden, daß ihn mit den Millionären, die in dem Kampagnenspot auftreten, mehr als die gemeinsame Sprache verbindet.
F: Im Rahmen der »Du-bist-Deutschland«-Kampagne wird die Bundesrepublik als demokratischer Sozialstaat dargestellt. Haben Sie andere Erfahrungen?
In der alten BRD waren die personellen und gesellschaftlichen Kontinuitäten zum Naziregime unübersehbar. Im Gegensatz zur DDR wurde dort nicht einmal der Versuch gewagt, mit der faschistischen Vergangenheit zu brechen. Die Auswirkungen der mangelnden Aufarbeitung spüren wir noch heute. Ein schönes Beispiel für die fragwürdige Kontinuität ist diese aktuelle Kampagne. Es paßt zu ihr, daß vor einer Woche das Bild einer NSDAP-Kundgebung aus dem Jahre 1935 auftauchte. (s. jW v. 25. November 2005) Es zeigt auf einem Ludwigshafener Platz ein riesiges Hitlerporträt, unter dem »Denn Du bist Deutschland« zu lesen ist.
Die Macher der Kampagne wollen sich zwar scharf vom Faschismus abgrenzen. Dennoch ist es so: Wer mit deutschem Nationalismus hausieren geht, landet früher oder später bei den Nazis. Und als linker politischer Aktivist weiß ich aus eigener Erfahrung, daß in Deutschland ein instrumenteller Umgang mit demokratischen Grundrechten an der Tagesordnung ist. Auch der sogenannte Sozialstaat wird jetzt plattgemacht, um die Auslandseinsätze der Bundeswehr bezahlen zu können. Seine zentrale Aufgabe hat er ohnehin schon erfüllt – er sollte nämlich die Arbeiter davon abhalten, mit den Kommunisten im Osten zu sympathisieren.
F: [’solid]36 ist Teil eines Bündnisses gegen die Kampagne. Was haben Sie konkret vor?
Wir haben uns am Rande des Jugendkongresses »Es kommt die Zeit« Mitte Oktober in Berlin zusammengefunden, um den hurra-patriotischen Verblödungsversuchen dieser Kampagne etwas entgegenzustellen. Wir haben dort die Idee dezentraler Aktivitäten entwickelt. Das heißt konkret, daß unsere Internetseite Plakate, Flugblätter, Aufkleber, Postkarten und Sprühschablonen anbietet, die sich kritisch mit der Kampagne beschäftigen.
F: Die Kampagne wurde von der Bertelsmann AG ins Leben gerufen. Welches Interesse verfolgt der Konzern damit?
In dem Manifest der Kampagne heißt es »Du hältst den Laden zusammen« – und genau darum geht es. Bertelsmann möchte, daß wir den Laden, genannt Deutschland, immer schön zusammenhalten, damit sie weiter die Profite einstreichen können. Wir dagegen meinen, daß es an der Zeit ist, den Laden mal auseinanderfliegen zu lassen und zu sagen »Alle Räder stehen still, wenn mein starker Arm es will!«
Infos: www.deutschland-raus-aus-den-koepfen.de; www.solid36.net
Interview: Markus Bernhardt
Quelle: Junge Welt vom 29.11.05