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Was waren und was sind Montagsdemonstrationen?

Stellungnahme der Gruppe Neue Einheit (GNE)

Internet Statement 2004-46 vom 20.08.04

Wenn der Protest gegen die soziale Entrechtung der Empfänger der Arbeitslosenhilfe durch Hartz IV sich artikuliert und als breite Stimme sowohl gegen die Regierung Schröder wie auch gegen alle Parteien, die diese Gesetzgebung mittragen, auf eine breite Ebene kommt, dann ist das ein wichtiges Ereignis in unserem Land, das wir außerordentlich begrüßen. Nach wie vor stellt sich aber die Frage, wo die Kräfte gesammelt werden, daß die Weichen in eine bessere Richtung gestellt werden.

Daß das Kapital, die Regierenden und die Parteien die Verschlechterung der Lebenslage der arbeitenden Bevölkerung wie der Freigesetzten durchsetzen können, ist Folge dessen, daß sie über Jahrzehnte hin die Positionen dieser arbeitenden Bevölkerung geschwächt haben. Sie wurde geschwächt durch die forcierte Verlagerung, durch die Internationalisierung der Produktion, ohne daß die Arbeiterbewegung sich ebenfalls internationalisiert hat. Nun trifft das Kapital mit seiner ganzen unmittelbaren Macht auf die große Mehrheit der Bevölkerung, die für solch einen Angriff zunächst einmal nicht gewappnet ist.

Gegenwärtig werden Montagsdemonstrationen entwickelt, die an den verschiedensten Punkten einigen Zulauf aus der Bevölkerung haben. Welche aufklärende Wirkung geht aber von diesen Montagsdemonstrationen aus? Was sind Montagsdemonstrationen eigentlich? Die Montagsdemonstrationen des Jahres 1989 sollte man doch in ihrem widersprüchlichen Charakter sehen. Was die ausgehende DDR unter Erich Honecker sich lange Zeit an Verknöcherung, bedingungsloses Lakaientum gegenüber dem sowjetischen Revisionismus und Hegemonismus geleistet hatte, war in der Tat dergestalt, daß es breiteren Widerspruch hervorrufen mußte. Der ökonomische Zerfall der DDR hatte schon in den 70er Jahren begonnen. Bis 1985 war die Ökonomie bereits in gefährliche Abhängigkeiten geraten. Als Gorbatschow Generalsekretär und Präsident in der Sowjetunion wurde, bekam der Westen Hebel in die Hand, den Unmut und den Widerstand in seine Kanäle zu leiten, die tatsächlich nur ein bißchen formale Freiheit, aber sehr viel soziales Verderben brachten. Der Widerstand aber stand am Schluß nun dagegen auf tönernen Füssen. Die Bewegung von 1989 in der DDR setzte dies fort. In ihr kommt eine Menge berechtigte Empörung zum Ausdruck, aber im Wesen leitet diese Bewegung in die westliche Herrschaft über, die sich alsbald in ihrer ganzen Nacktheit und Brutalität zeigen sollte. Jahrelang hatte doch z.B. das bundesdeutsche Kapital sich schon in der DDR etabliert, enge Beziehungen über verschiedene Kanäle in das Leben der DDR hinein sich verschafft. Ein Teil der Aushebelung der DDR wurde über Jahre hinweg vorbereitet. Die Beziehungen von Franz Josef Strauß zu Schalck-Golodkowski sind nur ein Phänomen, das in der Öffentlichkeit bekannt wurde. Das war nur ein Symptom für eine viel breitere Entwicklung.

Und was hat nun also diese Bewegung, die dabei mitgewirkt hat, in dieser Form Osteuropa umzuwälzen, erreicht? Sie hat erreicht, daß Osteuropa und ganz Europa in dieser Weise kapitalistisch umgewälzt worden sind, wie wir es heute vorfinden, wovon die Hartz-Gesetze nur einer der Ausdrücke sind. Diese Form von Bewegungen, die naiv dem Kapitalismus hinterhergelaufen sind und Hurra zum Kapitalismus geschrieen haben, haben nichts anderes bewirkt als die Verhältnisse, die wir heute haben. Deshalb gibt es durchaus etwas zu hinterfragen, wenn ausgerechnet die Montagsdemonstrationen, die dann diese weitere Entwicklung genommen haben, heute als Vorbild genommen werden. Schon damals gab es internationale Ausbeutungsverhältnisse, agierte die Bundesrepublik als einer der reichsten Staaten auf der Erde, der übrigens im Inneren viele der Lohnabhängigen und der Jugend auf ein aussichtsloses Gleis schob. Wo hat diese Bewegung damals die notwendigen Fragen gestellt? Vielleicht konnte sie das nicht anders, weil sie sich erst mal auf die aktuellen Aufgaben konzentrieren mußte. Jede Naivität gegenüber dem Kapitalismus jedenfalls führt ins Verderben, jede Spekulation, man möge an ihm teilhaben, ist zu verurteilen und führt zweitens nicht selten zu gefährlichen Irrtümern.

Mit von der Partie war damals auch die Kirche, die lange Zeit viele Mißstände des Revisionismus, des zerfallenden Sozialismus gedeckt hat und gleichzeitig ihre Fäden immer in Richtung Kapitalismus ausgerichtet hat. Ihr sogenannter Widerstand konnte in nichts anderem als in neokapitalistischen Richtungen enden. Wie hieß es doch damals? "Kommt die D-Mark nicht nach hier, gehen wir zu ihr!". Nun, die D-Mark ist gekommen, und was hat sie gebracht, bitteschön? Die Welt sah etwas anders aus, nachdem die D-Mark "gesiegt" hatte, oder heute der Euro, zusammen mit dem Dollar, als es sich mancher erträumt hatte, der vorher gehört hatte, wie es hier im Westen aussehe, der seine Informationen von ehemaligen DDR-Bürgern im Westen bekommen hatte, die hier im Westen einigermaßen passable oder manchmal ganz angenehme Bedingungen vorgefunden haben. Aber das hatte politische Hintergründe. Für die Mehrheit der Bevölkerung in Osteuropa und jetzt auch in Westeuropa sieht jetzt der Kapitalismus ganz anders aus. Ist der Sozialismus erst einmal platt, springt das Kapital auch mit Arbeitern so um, wie es das von seiner Natur her gewohnt ist. Deswegen ist es etwas merkwürdig, daß auf die Formen dieser Montagsdemonstrationen zurückgegriffen wird. Hier wird beim Worte genommen, daß angeblich diese Art von Protest den Sturz einer Regierung herbeiführen würde. Es ist die Frage, wohin denn diesmal mit den Montagsdemonstrationen der Zug nach rechts gehen soll? Denn wieder stehen die Fragen, die eigentlich das Land bewegen, der radikale Kapitalexport, die Logik mit der das Kapital hier seine internationale Strategie verfolgt, nicht zur Debatte.

Es ist absolut notwendig, daß man die wirklichen Hintergründe der heutigen Veränderungen wie Hartz-Gesetze und soziale Umschichtung im Sinne des Kapitals sieht. Der internationale Konkurrenzkampf des Kapitals zwingt die Kapitalisten, unabhängig von ihrem eigenen Willen, zur verschärften Akkumulation. Das Streben des Kapitals nach unumschränkter Herrschaft zwingt sie dazu, die Entrechtung so weit wie möglich durchzuführen. Einen Ausweg gegenüber diesem Kapital gibt es nicht, es sei denn, man bekämpft es selbst direkt. Ohne eine Auseinandersetzung um das, was das Kapital bewegt, was es will, wird man keinen einzigen Schritt weiterkommen, es sei denn nach hinten. In den jetzigen Redebeiträgen auf den Anti-Hartz-Kundgebungen sprechen Leute, die manchmal ehrlich ersten Protest ausdrücken. Aber diese Bewegungen sind nicht imstande, die Illusionen zu begraben, die sie überhaupt in die heutige Lage geführt haben. Die Montagsdemonstrationen von 1989 predigten auch Illusionen, viele Illusionen, katastrophale Illusionen, die heute das Schicksal einer ganzen kommenden Generation bestimmen. Auch schon 1989 hatte die Bundesrepublik eine katastrophale ökonomische Struktur, eine katastrophale Freisetzung von großen Teilen der Arbeiterklasse und rücksichtslose Deprivierung von Teilen der Jugend. Die Verlagerungen waren voll im Gange. Vieles hat die deutsche Einheit in den ersten Jahren überdeckt, die Arbeitskräfte aus der DDR konnte man erst einmal gut gebrauchen. Aber das alles war nur zwischendurch, bis das Kapital sich aufrappelte und heute international mehr ausbeutet als je zuvor. Heutige große Konzerne ziehen bis zu 80% ihres Profits aus dem Ausland. Und ihre ehrgeizigen Ziele sind zwangsläufig weiter auf die ganze Welt gerichtet. Wir stehen auf dem Abschiebegleis, auf dem Erniedrigungsgleis, wer weiß, wann wir nach ihrer Denkweise überhaupt wieder drankommen, um als bezahlte Arbeitskräfte zu dienen. Die ganzen sogenannten Sozialreformen, die Einrichtungen von Pseudojobs überdecken nur die Tatsache, daß sie diese Bevölkerung erst mal abgeschrieben haben. In ganz Europa steht es unter solchen Bedingungen an, mit dem Kapital als solchem abzurechnen und über Illusionen über das gesamte kapitalistische System mitsamt seinen revisionistischen Auswüchsen ins klare zu kommen.

Man muß schließlich auch berücksichtigen, daß keine einzige der parlamentarischen Parteien bei der Bewältigung der Probleme irgendwelche Erfolge verbuchen kann. Dies gilt auch für die PDS, weil sie da, wo sie an der Regierung ist, sich sehr schnell verschleißt, und dann vielleicht Rechte irgendwelche Erfolge haben. Aber was können Rechte denn an der sozialen Situation ändern? Gar nichts. An der vom internationalen Monopolkapital beherrschten Situation können sie gar nichts ändern, sie können aber die politische Situation für dieses Land radikal verschlechtern, in dem sie dazu beitragen die Nationen aufeinanderzuhetzen, letztlich aber die Spaltung Europas hervorrufen.

Was haben die Jugendlichen, die heute in irgendwelchen entvölkerten Städten sitzen und nicht wissen, was sie machen sollen, wenn sie nicht schon nach Westen abgehauen sind, von dieser Bewegung gehabt, die naiv das westliche System in den Himmel gehoben hat? Und es ist gerade dieses Nichts, die Aussichtslosigkeit, die den rechten Propheten Auftrieb gibt. Mit einem von ihnen propagierte "Ausbrechen" aus Verzweiflung tritt ein Ergebnis mit katastrophalen Folgen ein. Nachdem die Rechten sich sowohl auf Grund der historischen Erfahrungen, als auch auf Grund ihres phrasenhaften Charakters diskreditiert hatten, wäre es fatal, von größtem Schaden, wenn ihnen nun auf Grund von solcher Bewegung eine Brücke gebaut würde. Deshalb ist es durchaus eine berechtigte Frage, warum jetzt wieder eine solche Bewegung, solche Formen des Protestes gefördert werden, die das Hinterfragen der Verhältnisse unterbinden, die Hintergründe verschleiern, und angepaßte kleinbürgerliche Illusionen predigen. Wenn sich nun die Bewegung in diesen Formen entwickelt, dann muß dies auch objektive Gründe haben, darüber kann man nicht lamentieren, aber es ist die Pflicht aller Kräfte, die über diese Bewegung hinausblicken, diese Fragen unnachsichtig hineinzutragen und schonungslos unter anderem die Geschehnisse, die am Anfang der neunziger Jahre in der vormaligen DDR herrschten, beim Namen zu nennen.

Redaktion Neue Einheit, 20.8.2004

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