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Gefährliche Stille

Generalstreiks, Straßenkämpfe, Geiselnahme von Managern, ein belagertes Parlament: Um Deutschland herum brandet in zahlreichen Ländern die Wut der schwächsten Verlierer der Weltkrise auf.

Wenn man von außen auf die friedlich gebliebene Bundesrepublik blickt, müsste man glauben, sie sei weniger betroffen als andere Länder. Tatsächlich aber schrumpft die Wirtschaft des Exportweltmeisters überdurchschnittlich.

Neben nachtschwarzen Prognosen gibt es viele Anlässe für sozialen Unfrieden und das Gefühl, dass „die da oben” zu jeder Zeit komfortabel „die da oben” bleiben können. Ein grundsätzliches Missverhältnis hat sich entwickelt, das sich mit Bonuszahlungen für gescheiterte Manager und der Entlassung einer Kassiererin wegen 1,30 Euro beschreiben lässt. Auch die Bespitzelung von Arbeitnehmern nicht nur bei Lidl nährt den Eindruck, dass „die da oben” sich praktisch alles erlauben. Dennoch wirkt es seltsam, wenn etwa DGB-Chef Michael Sommer vor wachsender Unruhe in der Bevölkerung warnt. Das Protestpotenzial in Deutschland, das wissen gerade Gewerkschafter, ist vergleichsweise gering, weil die soziale Absicherung vergleichsweise hoch ist. Die verfallenden Preise für Nahrungsmittel und Energie tragen überdies dazu bei, dass die Krise für Menschen, die nicht um Arbeitsplätze bangen, bislang wenig spürbar ist.

Eher Entsolidarisierung als einen Proteststurm

Auch die für den Sommer erwartete dramatische Zunahme der Arbeitslosigkeit wird eher mit einer Entsolidarisierung einhergehen als einen Proteststurm entfachen. Die Krise wird sich Betrieb um Betrieb holen, und nach dem dritten Betrieb schaut jeder nur noch nach sich selbst. Soziale Unruhen wie in anderen Ländern sind extrem unwahrscheinlich, und das sollte niemanden beruhigen. Vielmehr muss man ernsthaft befürchten, dass viele Menschen resignieren und sich in der Hoffnungsarmut einrichten. Wenn diese Krise lang andauert, dann könnte das Vertrauen in die Demokratie erodieren. Bemerken würde man das an sinkenden Wahlbeteiligungen und etwas mehr Zulauf für radikale Parteien. Ansonsten ist ein solcher Prozess schleichend und weitgehend unsichtbar. Das macht ihn so gefährlich.

Proteste haben erstens eine alarmierende und zweitens eine entladende Funktion. Insofern steckt hinter Warnungen vor sozialen Unruhen vielleicht sogar der Wunsch, es möge doch endlich mal in Maßen aufbegehrt werden. Eine stille Abkehr von dem, was diesen Staat ausmacht, wäre weit schlimmer.

Quelle: WAZ vom 23.04.09


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