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Peter Grottian - 16 Punkte zur Herbstkampagne '04

Für einen heißen Herbst 2004 zur Bundes- und Senatspolitik: Die Agenda 2010 - Politik zu Fall bringen! 16 Hebelpunkte zum zivilgesellschaftlichem Ungehorsam (Vorbereitungspapier zum Herbst-Koordinationstreffen 15. 08.2004 und Berliner Sozialforum 16.08.2004)

Prof. Peter Grottian

(FU Berlin/Berliner Sozialforum/Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V./Recht auf Mobilität - Fahrt schwarz!, Initiative Berliner Bankenskandal), 2. Fassung

Juli 2004

Für einen heißen Herbst 2004 zur Bundes- und Senatspolitik: Die Agenda 2010 - Politik zu Fall bringen! 16 Hebelpunkte zum zivilgesellschaftlichem Ungehorsam (Vorbereitungspapier zum Herbst-Koordinationstreffen 15. 08.2004 und Berliner Sozialforum 16.08.2004)

Unsere bisherigen Anstrengungen für Alternativen zur Agenda 2010 haben noch entscheidende Defizite:

  1. Die programmatischen Alternativen waren nicht überzeugend und vor allem nicht massenmobilisierend. Es fehlen einsichtige, leicht nachvollziehbare Projekte zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur sozialen Grundsicherung. Die Freiheit, keine Angst vor sozialer Deklassierung zu haben, müsste in einer Doppelstrategie für ein Grundeinkommen und gesellschaftlich finanzierte - wie selbst geschaffener Arbeitsplätze - angegangen werden. Wachstum und Agenda 2010 schaffen wenige Arbeitsplätze. Ein Grundeinkommen, das seinen Namen verdient und 2 Mio. selbstgewählte, gesellschaftlich sinnvolle Arbeitsplätze, sind eine konkrete Utopie zur Abschaffung der Arbeitslosigkeit.
  2. Die neuen Bündnis-Allianzen (Basis der Gewerkschaften, linke Ränder von SPD, PDS, neue soziale Bewegungen, Wahlalternativen etc.) sind bisher eher formale als inhaltlich-strategische Allianzen. Das Gerede von der gleichen Augenhöhe verschleiert die jeweils betriebene Eigenlogik, die bisher noch dominierend ist und nicht sehr gute Chancen hat, sich bis zum Herbst wirklich aufzulösen. Die Differenzen zwischen den Wahlalternativen und dem Berliner Volksbegehren zur vorzeitigen Abwahl des Senats sowie die außerparlamentarischen Initiativen blockieren die Köpfe für notwendige gemeinsame Projekte zum Herbst, die wichtiger sind als das Interesse an sich selbst!.
  3. Alle bisherigen Mobilisierungskampagnen zeichneten sich durch eine Kreuzbravheit ihrer Protestaktionen aus (Demonstrationen), die etablierte Institutionen nicht herausforderten. Der hilflose Ruf von Michael Sommer, die rot-grüne Politik solle sich gefälligst mit der Demonstration der 500.00 am 3. April 2004 ausein-andersetzen, zeigt die Ohnmacht eigener Protestinstrumente und die Stärke etablierter Institutionen. Zivilgesellschaftliche Widerstände neuen Typs müssen dringend angegangen werden. Statt Kreuzbravheit sind couragierte zivilgesellschaftliche Ungehorsamsprojekte überfällig.

Der Herbst 2004 dürfte durch einen weiteren Legitimationsverlust der SPD und die brutale Zurichtung über Hartz IV in eine Verarmungspolitik gekennzeichnet sein. Wir dürfen uns nicht in Wahlalternativen außerparlamentarische Linke, Gewerk-schaften und soziale Gruppen auseinanderdividieren lassen, sondern politische Projekte und Konflikte entwerfen, die das breite Band unserer politischen Gemeinsamkeiten nutzen. Folgender Zeit-, Arbeits- und Mobilisierungsplan erscheint plausibel:

  1. Bis Anfang September: Material- und Informationsaufbereitung
    • Modellrechnungen über Hartz IV und alternative Sozial- und Beschäftigungsmodelle;
    • Modellrechnungen der Auswirkungen von Hartz IV auf Berlin (Senatsverwaltung, DIW, eigene Berechnungen);
    • Treffen der unterschiedlichen Initiativen, Projekte etc. zur vorläufigen Diskussion der anstehenden Aktivitäten (15.und 16.08.2004 in Berlin).
  2. Wissenschaftler/innen stellen am 24.09. oder Anfang Oktober in Berlin Alternativen zur Agenda 2010-Politik vor (Memogruppe, Hirsch/Steinert-Gruppe (Universität Frankfurt), Hildebrandt-Gruppe (WZB), Grottian/Narr/Roth-Gruppe (Freie Universität Berlin), Grundeinkommensgruppe Opielka/Offe/ Blaschke (Jena, Dresden und Berlin), Negt/Spitzley (Loccumer Initiative). Ziel: Es gibt echte Alternativen zur Agenda 2010.
  3. Verweigerungskampagne des Hartz-IV-Fragebogens. "Aufruf zur begründeten Verweigerung" (mit Rechts-experten). Borchert, Preuß/Spindler etc.) Ende September in Berlin mit möglicherweise Menschenrechts- und Bürgerrechtsorganisationen (RAV, Humanistische Union, Humanistischer Verband, Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., GHI, Liga für Menschenrechte). Ziel: Problematisierung und eventuelle Massenpetition. Zu klären: Materielle Unterstützung für Verweigerer (Fonds).
  4. Aufruf von Hochschullehrern: Wir rufen zum zivilgesellschaftlichen Ungehorsam gegen Hartz-IV-Gesetze auf (1. Oktoberwoche). Kritik der Hartz-Gesetze und Vorschläge zivilgesellschaftlicher Ungehorsamkeitsformen - und dem eigenen Beitrag zusammen mit Studierenden in der 3. und 4. Oktoberwoche, die Arbeit für eine Woche niederzulegen. Es sollte ein Kreis bekannter Hochschullehrer/Innen sein. Zu denken wäre an: Offe, Häußermann, Kaschuba, Schwintowski, Münkler, Greven, Lösche, Hurrelmann, Evers, v. Alemann, Hirsch, Esser, Altvater, Zeuner, Narr, Vilmar, Kurz-Scherf, Schaeffer-Hegel, Wehland-Rauschenbach, Schwan, Krätke, Roth, Mayer, Hengsbach, Beck, Beck-Gernsheim, Huster, Leggewie, Holland-Cunz, Neumann, Vobruba, Opielka, Grottian, Negt,Blanke, Albrecht, Thürmann-Rohr, Spitzley, Leibfried, Tennstedt, Schwendter, Bergmann, Lembke, Hartmeyer, Funke, Krippendorff, Seifert, Raschke, Hickel, Bosch, Pfar, Spindler.
  5. Die reichen Armen fahren vor den Arbeitsämtern zu Hartz IV vor (01.10.2004). Motto: Für die Agenda 2010 geben wir alles her. Mit Bugatti und Rolls Royce, mit Rembrandts und Miros, mit teuren Schmuckstücken und Gucci-Mode, mit Vodafone-Aktien und Fondzertifikaten des Bankenskandals usw. Ziel: Die Verdrehung der Reichtums-Armutsdebatte ganz anders.
  6. Manifestation der Verweigerung am 02.10.2004 vor dem Tag der Deutschen Einheit "Ungehorsam gegen Hartz IV - Prominente und Bürger rufen zum zivilgesellschaftlichem Widerstand auf. Am Gendarmenmarkt als eine Art "alternative Vereidigung" mit Hengsbach, Negt, A. Schwarzer, R. Hochhuth, D. Hensche, A. Goehler, U. Lindenberg, R. Grönemeyer, K. Wecker, Wahlalternative, Bsirske. Ziel: Zivilgesellschaftlicher Ungehorsam als legitimen demokratischen Akt popularisieren und massenhafte Anstiftungen lokal-regional anstoßen. Die Promis sollen nicht nur schlau reden, sondern sich durch eindeutige Handlungen des zivilen Ungehorsams legitimieren ("ich werde das Arbeitsamt Köln mitbesetzen", "ich lege meine Arbeit dann und dann nieder".) Auftritt am Festzug zur Deutschen Einheit mit allen Prominenten als 17. Bundesland "Hartz-Arbeitslosien" unter Mitführung von Schmuckstücken, Bildern und anderen "Wertgegenständen", die für das Arbeitslosengeld II anzurechnen sind.
  7. Dezentralisierte politische Mobilisierungsversuche zu Hartz IV von Betroffenen in ausgewählten Stadtteilen (Info, Versammlungen, Mobilisierung von unten). Hier bietet sich Mitte, Kreuzberg, Friedrichshain und ein weiterer Ostbezirk an. Die Betroffenen werden von uns alle angeschrieben und es werden ihnen Vorschläge für kleinere und größere Protest- und Widerstandsformen vorgeschlagen. Kein Mensch kann im Moment abschätzen, ob diese neue Betroffenheit Menschen anders aktiviert. Wir müssen es einfach versuchen, da wir den Zugang zu den Personaldaten haben
  8. Schließung von Arbeitsämtern. Unsere Forderung nach Grundsicherung und Arbeitsplätzen zieht die Problematisierung der Arbeitsämter nach sich, die die Arbeitslosen und Arbeit Suchenden bürokratisch formieren. Wenn sie für eine sinnvolle Sozial- undvArbeitsmarktpolitik teilweise entbehrlich ind, dann ist ihre Schließung folgerichtig. Wieviel Gewalt durch diese Ämter ausgeübt wird, ist längst zum öffentlichen Konflikt zu machen. Exemplarisch ist zunächst, gewaltfrei eine Arbeitsagentur für einen Tag zu schließen.
  9. Armutsproteste neuen Typs. Wer für eine bedingungslose Grundsicherung eintritt, muß die Gesellschaft mit dem Ausmaß von verdeckter, offener und erreichter Armut anders als bisher konfrontieren. Wo keine gesellschaftliche Teilhabe angeboten wird, ist Armutsprotest geboten. Lumpen-Demonstrationen anläßlich festlicher Ereignisse (Pressebälle, Staatsbesuche, G7-Gipfel), demonstrative Aufrufe und Bezahlung Schwarzfahrender Erwerbsloser, Obdachloser, Sozialhilfeempfänger und andere Armen könnte zu erheblichen politischen Auseinandersetzungen führen. Bettel-Demonstrationen in den wohlhabenden Wohnvierteln sind überfällig. Armut muß ihr Gesicht den Habenden und Herrschenden zeigen. Eine provozierende, bedrängende Bettel-Aktion im Grunewald für die Hartz-Betroffenen steht an und sollte in seinem Herausforderungscharakter unsere bisherigen Grunewald-Demonstrationen bei weitem übertreffen. Armuts-begleitungen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens stehen an.
  10. Instandbesetzungen von gesellschaftlich sinnvollen und konsensfähigen Arbeitsplätzen. Ein geschlossenes Jugendzentrum könnte wieder eröffnet und die dort geleistete Arbeit öffentlichkeitswirksam vermittelt werden. Nach 5 - 6 Tagen ist eine "fürsorgliche Belagerung" von politisch Verantwortlichen denkbar. Damit diese Arbeit öffentlich finanziert werde. Dieser Aktion könnte ein "Spaziergang zu den Wohlhabenden" in den besseren Stadtteilen korrespondieren, um deren Mitverantwortlichkeit zu bekunden. Sie sollten dafür gewonnen werden, die tiefen Spaltungen in den Städten zu überwinden.
  11. Gewaltfreier ziviler Ungehorsam von denjenigen, die in den Institutionen nicht mehr loyal sein können oder wollen. Der außerinstitutionelle Ungehorsam und Protest wird erst seine Wirkung entfalten, wenn diese Akte zivilen Ungehorsams mit denjenigen korrespondieren, die zur Loyalität innerhalb der Institutionen verpflichtet sind. Erst wenn Jugendarbeiter, die 150 Jugendliche betreuen sollen, erst wenn Hochschullehrer, die mit 120 Studierenden Seminare gestalten sollen, erst wenn Sozialbeamte, die 180 Sozialhilfeempfänger sinnvoll betreuen sollen, sich diesen Aufgaben verweigern und die Arbeit demonstrativ niederlegen, wird sich die herrschende Politik herausgefordert sehen. Vorerst hat ein Generalstreik keine Chancen. Begründete, von Teilen der Gewerkschaften mitgetragene Arbeitsniederlegungen, könnten jedoch die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen anschieben.
  12. Großdemonstration am 6.11. in Nürnberg. Alles spricht dafür, es nicht nur bei einer Demonstration zu belassen, sondern am Vorabend bis zur Demonstration eine Belagerung der Bundesagentur für Arbeit zu versuchen. Die Weiss-Engelen-Keferisierung als Stunde der Herrschaftsbürokratie ist am Ende!
  13. Bürgerstreik gegen Hartz IV am 10.12. Da ein Generalstreik noch nicht machbar erscheint, wäre ein Bürgerstreik (Arbeit, Tätigkeiten, Dienstleistungen) der für 3 Stunden das öffentliche Leben lahm legt, eine eindrucksvolle, regelverletzende und machbare Protest- und Konfliktform. Der Bürgerstreik müsste von Aktionen flankiert weren, die auf Grundbedürfnisse der Ärmsten der Armen ausgerichtet sind (Schwarz-Fahren für ein Sozialticket, Sammeln für Suppenküchen, Besetzung von öffentlichen Räumen für die Wohnungsnutzung etc.). Der Bürgerstreik könnte auch dazu dienen, Gewerkschaften und soziale Bewegungen einem Bündnistest zu unterwerfen.
  14. Hartz-Tribunal in Berlin (11.12.04). Zwischenbilanz der Sozialproteste aus ESF, DSt, lokale Sozialforensicht, Gewerkschaften, Wissenschaft (eventuell erste Vorbereitung über Lokales Agenda-Forum, Berlin-Erwerbslosen-Initiativen, Sozialforen, Sozialbündnis, Wissenschaftler).
  15. Feierliche Festnahme von Clement durch Hartz-Betroffene als Adventsaktion - im Vorfeld der versendeten Bescheide zu Hartz IV (natürlich unter voller Wahrung der persönlichen Integrität des verdienstvollen Super-Ministers).
  16. Vorlage eines radikalen Entschuldungsplans für Berlin, der die einäugige Sparlogik Sarrazins durchbricht und Entschuldung und Lösung des Bankenskandals zusammenbindet. Im Visier müssen sein: Ganz andere Ausgabenkürzungen, Einnahmenverbesserungen durch eine kommunale Notsteuer, ein Schuldenmoratorium, Personalkostensenkung in den oberen Einkommensschichten etc.

Peter Grottian: z.Z. 0171-8313314 oder 0043-5573-82355

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