Update und Unterzeichner-Aufruf zum aktuellen 129a-Verfahren
Seit nunmehr 21 Tagen sitzt Andrej H. (ehemaliger RLS-Promotionsstipendiat und RLS-Werkvertragsmitarbeiter) unter verschärften Haftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Moabit. Die Belastungsmomente, die die Bundesanwaltschaft für den Tatvorwurf "Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung" (§ 129a) gegen insgesamt sieben Personen hernimmt, sind mittlerweile hinlänglich bekannt und in der Presse rauf und runter zitiert worden.
Selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung äußerte sich kritisch gegenüber derBegründungszusammenhänge seitens der Bundesanwaltschaft und auch die Sendung "Titel, Thesen, Temperamente" brachte einen kritischen Beitrag. Zumindest von Andrej sind mir bislang folgende Haftbedingungen bekannt:
Er durfte aus angeblich logistischen Gründen die ersten 8 Tage nicht duschen, seine Zelle beträgt 4,5 Quadratmeter, er ist 23 Stunden am Tag in der Einzelzelle eingesperrt, Besuch darf er nur alle 14 Tage empfangen, das Gespräch mit seiner Lebensgefährtin - durch Trennscheibe - wurde überwacht.
Seine Freundin wurde aufgefordert lauter zu sprechen, damit die Beamten jedes Wort mit protokollieren können. Ihr wurde auch mitgeteilt, dass sie keine "Codes" im Gespräch verwenden dürfte und dass sie ja schon wüsste, was damit gemeint sei. Andrej darf bislang weder Computer noch Schreibmaschine nutzen und selbstredend wird sein Briefwechsel überwacht, auch der mit seiner Anwältin. Sein Haftprüfungstermin ist glücklicherweise bald, nämlich am 24. August.
Mittlerweile gibt es auch eine Erklärung der drei nicht-inhaftierten beschuldigten Wissenschaftler und Publizisten, dort werden die einzelnen Belastungsmomente nochmals genauer aufgeführt, ausserdem schreiben die Beschuldigten dann noch:
"So absurd das klingen mag, aber die Folgen für unseren Alltag sind verheerend: Seit einem Jahr werden unsere Telefone abgehört, alle E-Mails überwacht, unsere gesamte Internet-Nutzung protokolliert, unsere Wohnungen werden beobachtet, unsere Bewegungen anhand der Handy-Daten aufgezeichnet.
Möglicherweise wurden Spitzel auf uns angesetzt. Ausgeforscht wurden auch Lebenspartnerinnen, Freunde, Kolleginnen und Kollegen und unsere Familienangehörigen. Das gesamte Ausmaß der Bespitzelung können wir bisher unmöglich überschauen.
Diese Art der Gesinnungsschnüffelei hat in Deutschland eine lange Geschichte. Als ehemalige DDR-Bürger sind wir dafür besonders sensibilisiert."
Quelle: http://einstellung.so36.net/de/pm/5
Die ganze Situation ist mehr als grotesk und vor allem alarmierend. Meines Erachtens sind sich trotz gegenwärtig breiter Reaktion viele Leute immer noch nicht der Bedeutung bzw. Dimension dieser Geschehnisse bewußt. Ich finde es mehr als angebracht neben anderen Aktivitäten gezielt Bildungsveranstaltungen zu den Themen Präventiv- und Sicherheitsstaat und vor allem Aufklärung zum Paragraphen 129a (und b) zu organisieren (was hier in der RLS ja auch auf Initiative von Lutz Brangsch passieren wird).
Mittlerweile existieren bereits zwei Aufrufe/offene Briefe, die wesentlich aus zwei verschiedenen Wissenschafts-Communities heraus entstanden sind und bei der sich vielleicht nicht alle angesprochen fühlen mögen. Nun gibt es einen weiteren, ergänzenden Aufruf, der von einem breiteren Spektrum ausgeht, ihr könnt den Aufruf lesen und wenn ihr wollt, unterschreiben unter (von wem der Aufruf ausgeht, geht aus der Liste der ErstunterzeichnerInnen hervor):
http://www.erklaerung-zur-verteidigung.de
Auch gibt es dort Links zu weiteren Informationen, vor allem zum Spendenaufruf (Geld ist dringend nötig!) und zur Adresse von Andrej in Moabit, der sich über Briefe freut!!
Zum Abschluss ein Zitat aus der Zeitung "Freitag":
"....Die alltägliche Arbeitsweise von Akademikern und Autoren - verbunden mit einer dezidiert politischen Haltung und der zufälligen Bekanntschaft mit Menschen, die mutmaßlich eine Straftat begangen haben - kann die eigene Existenz ruinieren.
Derart pauschale Anschuldigungen münden nur deshalb in ein Verfahren, weil das Ausnahmerecht der siebziger Jahre noch immer Gültigkeit besitzt. Das gilt insbesondere für die schwerste Waffe innerhalb des "Lex RAF", den Paragrafen 129a des Strafgesetzbuches. Er ermöglicht einen Schuldspruch auch dann, wenn eine Person keine Straftat begangen hat - außer der, einer "terroristischen Vereinigung" anzugehören, sie zu unterstützen oder für sie zu werben. Damit wird die Unschuldsvermutung umgekehrt: Werden Aktionen in Namen einer Gruppe verantwortet, gilt dies zugleich als individuelles Geständnis. ..."
Quelle: Rosa-Luxemburg-Stiftung
Noch ein Protestbrief
Protest gegen die Verhaftung des Berliner Stadtsoziologen Andrej H.
In der taz war letzte Woche zu lesen, daß am 31.7. vier Personen wegen des Verdacht auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung festgenommen und per höchstrichterlichen Beschluß in Untersuchungshaft gesteckt wurden. Die Gruppe, um die es da geht, nennt sich in eigenen Bekennerschreiben 'militante gruppe', kurz mg, und stammt wohl aus dem Berliner Autonomenmilieu.
Drei der Festgenommenen waren - so sagt jedenfalls die Bundesanwaltschaft - auf frischer Tat ertappt worden: beim Versuch, einige Bundeswehrfahrzeugen in Brandenburg in Brand zu stecken.
Beim Vierten, einem in Berlin tätigen Stadtsoziologen namens Dr. Andrej Holm, sind die für die Verhaftung angeführten Gründe bzw. Indizien jedoch geradezu absurd:
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Ein 1998 von Andrej Holm veröffentlichter wissenschaftlicher Artikel zur Gentrifizierung in Ost-Berlin enthalte "Schlagwörter und Phrasen" , "die in Texten der ‘militanten(n) Gruppe (mg)’ gleichfalls verwendet werden". Die Häufigkeit der Übereinstimmung sei "auffallend und nicht durch thematische Überschneidungen erklärlich".
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Außerdem sei er als promovierter Politologe anders als die drei anderen Festgenommen "intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der ‘militante(n) Gruppe (mg)’ zu verfassen. Zudem habe er als Mitarbeiter der Uni die Möglichkeit, jederzeit unauffällig Bibliotheken zu nutzen.
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Und schließlich sei er Anfang des Jahres bei zwei Begegnungen mit einem der drei anderen festgenommenen Aktivisten beobachtet worden, ohne daß allerdings Anlaß oder Inhalt der Begegnungen bekannt seien.
Holm gehört zu einer ganzen Reihe von linken Stadtsoziologen, die sich in den letzten Jahren kritisch zur neoliberalen Stadtentwicklung, zum Ausverkauf kommunaler Wohnungsbestände oder zur gesellschaftlichen Ausgrenzung durch Hartz IV äußern und forschen. Er ist auch hier in der Region nicht ganz unbekannt, da er noch kürzlich beim Mieterforum Ruhr Vorträge hielt und auch regelmäßigen Kontakt pflegt zu einigen kritischen Wissenschaftlern in Dortmund und anderen Städten des Ruhrgebiets.
Seine Verhaftung und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sind grotesk und eine mords Schweinerei - dienen sie doch offenkundig auch der Einschüchterung von kritischen Wissenschaftlern und Instituten.
Ich fordere Euch im Namen von Akoplan vor, den Offenen Brief des Mieterforums Ruhr (und anderen) an die Bundesanwaltschaft zu unterstützen und die sofortige Freilassung von Andrej Holm zu fordern.
Der Offene Brief (mit der aktuellen Liste der Unterstützer) ist auf der website des Mieterforums eingestellt unter http://www.mieterforum-ruhr.de/de/themen/politik/index.php/art_00001610 und da nachzulesen. Unterstützermeldungen bitte direkt an das Mieterforum Ruhr in Bochum!
Eigene Protestschreiben an die Bundesanwaltschaft aber auch gerne gesehen.
AKOPLAN – Institut für soziale und ökologische Planung e.V., Dortmund