Benutzerspezifische Werkzeuge
Sie sind hier: Startseite Sozialer Widerstand Berichte aus anderen Orten Protest gegen die Verhaftung des Stadtsoziologen Andrej H.

Protest gegen die Verhaftung des Stadtsoziologen Andrej H.

Am 31. Juli wurde der Berliner Stadtsoziologe Dr. Andrej H., der auch mit Mieterorganisationen im Ruhrgebiet in Fragen der Privatisierung zusammenarbeitet, wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer angeblichen "terroristischen Vereinigung" nach Paragraph 129a verhaftet. Mieterforum Ruhr e.V., der MieterInnenverein Witten u. Umg. e.V., der Mieterverein Dortmund e.V., Habitat Netz e.V. und das International Network for Urban Research and Action INURA Rhein-Ruhr haben gegen die unglaublichen "Begründungen" dieses Haftbefehls protestiert. Weitere Leute haben sich namentlich angeschlossen.

In der taz war letzte Woche zu lesen, daß am 31.7. vier Personen wegen des Verdacht auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung festgenommen und per höchstrichterlichen Beschluß in Untersuchungshaft gesteckt wurden. Die Gruppe, um die es da geht, nennt sich in eigenen Bekennerschreiben 'militante gruppe', kurz mg, und stammt wohl aus dem Berliner Autonomenmilieu.

Drei der Festgenommenen waren - so sagt jedenfalls die Bundesanwaltschaft - auf frischer Tat ertappt worden: beim Zündeln an Bundeswehrfahrzeugen in Brandenburg.

Beim Vierten, einem in Berlin tätigen Stadtsoziologen namens Dr. Andrej Holm,  sind die für die Verhaftung angeführten Gründe bzw. Indizien jedoch geradezu absurd:

Ein 1998 von Andrej Holm veröffentlichter wissenschaftlicher Artikel zur Gentrifizierung in Ost-Berlin enthalte "Schlagwörter und Phrasen" , "die in Texten der ‘militanten(n) Gruppe (mg)’ gleichfalls verwendet werden". Die Häufigkeit der Übereinstimmung sei "auffallend und nicht durch thematische Überschneidungen erklärlich". Außerdem sei er als promovierter Politologe anders als die drei anderen Festgenommen "intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der ‘militante(n) Gruppe (mg)’ zu verfassen.

Zudem habe er als Mitarbeiter der Uni die Möglichkeit, jederzeit unauffällig Bibliotheken zu nutzen.
Und schließlich sei er Anfang des Jahres bei zwei Begegnungen mit einem der drei anderen festgenommenen Aktivisten beobachtet worden, ohne daß allerdings Anlaß oder Inhalt der Begegnungen bekannt seien.

Holm gehört zu einer ganzen Reihe von linken Stadtsoziologen, die sich in den letzten Jahren kritisch zur neoliberalen Stadtentwicklung, zum Ausverkauf kommunaler Wohnungsbestände oder zur gesellschaftlichen Ausgrenzung durch Hartz IV äußern und forschen. Er ist auch hier in der Region nicht ganz unbekannt, da er noch kürzlich beim Mieterforum Ruhr Vorträge hielt und auch regelmäßigen Kontakt pflegt zu einigen kritischen Wissenschaftlern in Dortmund und anderen Städten des Ruhrgebiets.

Seine Verhaftung und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sind grotesk und eine mords Schweinerei - dienen sie doch offenkundig auch der Einschüchterung  von kritischen Wissenschaftlern und Instituten.

 

Offener Brief an den Generalbundesanwalt

 

An den

Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof

Brauerstraße 30
76135 Karlsruhe
Telefax: (0721) 81 91 59 0
eMail: poststelle@generalbundesanwalt.de

 

06.08.2007

 

OFFENER BRIEF

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

aus der Presse haben wir erfahren, dass unser Kollege, der Stadtsoziologe Dr. Andrej Holm, wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer angeblichen "terroristischen Vereinigung" nach Paragraph 129a am 31. Juli in Berlin verhaftet wurde. Gegen weitere Kolleg/innen soll ermittelt werden.

 

Soweit uns bekannt, gründen sich die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft - neben angeblichen früheren „konspirativen“ Treffen mit anderen Beschuldigten - auf folgende „Indizien“:

  • Ein 1998 von Andrej Holm veröffentlichter wissenschaftlicher Artikel zur Gentrifizierung in Ost-Berlin enthalte “Schlagwörter und Phrasen” , “die in Texten der ‘militanten(n) Gruppe (mg)’ gleichfalls verwendet werden”. Die Häufigkeit der Übereinstimmung sei “auffallend und nicht durch thematische Überschneidungen erklärlich”. Außerdem sei er als promovierter Politologe “intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der ‘militante(n) Gruppe (mg)’ zu verfassen”.

  • Dem Angeklagten stünden “Bibliotheken zur Verfügung [ ], die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der militanten Gruppe erforderlichen Recherchen durchzuführen”.

 

Diese Argumentation ist in empörender Weise absurd und spricht allen rechtsstaatlichen Grundsätzen Hohn. Kein Wissenschaftler ist davor geschützt, dass „militante Gruppen“ sich aus seinen Texten bedienen. Jedem Wissenschaftler stehen Bibliotheken zur Verfügung, ebenso wie jedem Inhaber eines Bibliotheksausweises. Jedem Intellektuellen, der sich in seiner Stadt diskutierend auch im linken Milieu bewegt, kann im Zweifel vorgeworfen werden, dass er dabei auch in Kontakt zu „Militanten“ gekommen ist. Potentiell steht damit jede Kommunikation mit „Radikalen“ unter dem Generalverdacht des Terrorismus.

Müssen wir befürchten, dass sich nunmehr alle Stadtforscher/innen und Aktivist/innen, die sich konsequent und auf hohem linken Niveau kritisch zur neoliberalen Stadtentwicklung, Privatisierung und Hartz IV äußern, sich dabei als Teil sozialer Bewegung begreifen und ihre Analysen einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, im potentiellen Visier der Fahnder befinden?

 

Dr. Andrej Holm, der an der Humboldt Universität arbeitet, hat immer wieder seine Analysen und Einschätzungen zur Privatisierung von Wohnungen unseren Organisationen zur Verfügung gestellt, bei Veranstaltungen - zum Beispiel des Mieterforums Ruhr - Vorträge gehalten und mit uns über politische Einschätzungen beraten. Er arbeitet mit uns auch in internationalen Netzwerken (u.a. im International Network of Urban Research and Action - INURA und in einer Arbeitsgruppe des Habitat International Coalition - HIC) zusammen.

 

Werden auch unsere Veröffentlichungen und Veranstaltungen nun darauf überprüft, ob sie Ausdrucksweisen enthalten, die von irgendwelchen „militanten Gruppen“ eventuell ebenfalls verwendet werden? Müssen wir beim nächsten informellen Austausch über die politische Strategien damit rechnen, dass ein V-Mann mit am Tisch sitzt? Wann dürfen wir mit Haussuchungen und Helikopterreisen nach Karlsruhe rechnen?

 

Wir müssen diesen Haftbefehl nach jetzigem Kenntnisstand als einen Anschlag auf die Freiheit der Meinung und der Forschung begreifen. Da wir uns – wie Dr. Andrej Holm - in offenen Kommunikationsformen und Netzwerken gegen die Aushöhlung des verfassungsrechtlich verankerten Sozialstaates und die Zerstörung unserer Städte durch Privatisierung wenden, fühlen wir uns durch diesen Übergriff in unseren Grundrechten bedroht.

 

Wir fordern die sofortige Freilassung von Dr. Andrej Holm!

 

die aktuelle Liste der UnterzeichnerInnen beim Mieterforum-Ruhr

 

weitere Infos:

Hintergründe zu den 129a-Verfahren

Presseerklärung des Komitees für Grundrechte und Demokratie e. V.

Artikelaktionen