Landtag debattiert über Sozialticket für Bus und Bahn
Einkommensschwache Bürger sollen genauso wie Schüler, Studenten oder Senioren verbilligt mit Bus und Bahn fahren können. Über die Forderung der Opposition nach einem Sozialticket für NRW debattiert der Düsseldorfer Landtag heute in einer Experten-Anhörung. Zeitgleich findet eine Demo statt.
Die Demonstration vor dem Parlament findet unter dem Motto „Gehst du noch oder fährst du schon? Mobilität für alle!“ statt. Laut Polizei werden dabei rund 200 Teilnehmer erwartet.
SPD und Grüne fordern ein günstiges Nahverkehrs-Ticket für sozial Schwache. Neben den billigen Fahrscheinen für Senioren, Schüler und Studenten sei dringend auch ein flächendeckendes Ticket für einkommensschwache Bürger notwendig.
Erfolgreiche Modelle in Köln und Dortmund
Erfolgreiche Sozialticket-Modellprojekte in Köln und Dortmund hätten gezeigt, dass es einen Bedarf für eine preiswerte Sozial-Fahrkarte in ganz NRW gebe. Die CDU/FDP-Regierung lehnt ein Sozialticket aus Kostengründen ab.
Quelle: RN vom 21.04.09
Mobilität für Einkommensschwache
Thema der Woche im Landtag NRW vom 20. April 2009
Dortmund hat es, Köln hat es, einige Kommunen planen es: ein Sozialticket, das es einkommensschwachen Menschen ermöglicht, zu einem deutlich reduzierten Preis Monatstickets für die Fahrten im städtischen Öffentlichen Nahverkehr zu erwerben. Die Kommunen, die ein solches Ticket anbieten, müssen die Kosten dafür selbst tragen. Dies bestrafe die falschen Kommunen, meinen SPD und Grüne und sehen die Regierung in der Verantwortung, die Sozialtickets - ähnlich wie auch Schülermonatskarten oder Semestertickets - zu finanzieren. Mobilität sei Voraussetzung für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Zu den entsprechenden Anträge der Grünen (Drs. 14/7644 HTML Dokument Word Dokument ) und der SPD (Drs. 14/7664 HTML Dokument Word Dokument ) äußerten sich heute Sachverständige in einer gemeinsamen Anhörung de Ausschüsse für Bauen und Verkehr (Vorsitz Wolfgang Röken, SPD) und für Arbeit, Gesundheit und Soziales (Vorsitz Günter Garbrecht, SPD).
In einer gemeinsamen Stellungnahme begrüßen der Städtetag NRW, der Landkreistag NRW und der Städte- und Gemeindebund NRW das Anliegen zwar grundsätzlich. Sie weisen jedoch darauf hin, dass dies nicht zulasten der kommunalen Haushalte gehen dürfe. Soziale Aufgaben seien zudem originär bundesgesetzlich zu regeln. Außerdem warnen die kommunalen Spitzenverbände davor, dass das Geld, das für die Sozialtickets nötig sei, leicht an anderer Stelle im Öffentlichen Nahverkehr fehlen könnte. Die Entscheidung für oder gegen ein Sozialticket solle nicht die Landesregierung treffen, sondern jede Kommune für sich.
Der Ausgangspunkt für die beiden Anträge, sagte Stefan Pfeifer vom Deutschen Gewerkschaftsbund NRW, sei, dass ein stetiger, schleichender Prozess dergestalt drohe, dass immer mehr Menschen aus dem Öffentlichen Nahverkehr ausgeschlossen würden, weil sie sich die Fahrkartenpreise nicht mehr leisten könnten. Da der Nahverkehr aber einer der Kernbereiche öffentlicher Daseinsfürsorge sei, könne man diese Entwicklung nicht hinnehmen. Das Sozialticket sei zwar ein "Tabubruch", bei dem sich die Verkehrspolitik der Sozialpolitik öffne, aber ein geeignetes Instrument, um gegenzusteuern.
Peter Bartow von der Stadt Dortmund berichtete aus der dortigen Praxis. Die Stadt hat Anfang letzten Jahres ein Sozialticket zum Preis von 15 Euro eingeführt. Das sei eine faire Voraussetzung, denn im Hartz IV-Satz seien monatlich auch nur 15 Euro für Mobilität vorgesehen. Die Bestellung von 23.000 Sozialtickets in Dortmund zeige, "wie dringend das Ticket gebraucht wurde" - etwa für Arztbesuche. Viele treue Kundinnen und Kunden der Dortmunder Stadtwerke AG, fügte Hubert Jung von diesem Unternehmen hinzu, seien entlastet worden. Das Sozialticket sei allerdings nur zu 65 Prozent kostendeckend. Raimund Breuker von der Westfälischen Verkehrsgesellschaft berichtete, für den Kreis Unna, der ebenfalls ein Sozialticket eingeführt hat, sei die wirkliche finanzielle Wirkung noch unklar. Die Verkaufszahlen seien jedenfalls höher gewesen als erwartet.
In Köln, berichtete die städtische Dezernentin Marlies Bredehorst, sei das Sozialticket Teil des Köln-Passes, der auch andere Begünstigungen beinhalte. Berechtigt dazu seien nicht nur Menschen, die Sozialhilfe oder Hartz IV bezögen, sondern etwa auch Wohngeld oder ein sehr niedriges Einkommen. Bis zu zehn Prozent höher als Transferleistungen dürfe dies sein. Eine weitere Anhebung dieser Grenze sei im Gespräch.
Walter Reinarz sprach einerseits für die Kölner Verkehrsbetriebe, andererseits für den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), der auch viele kleine Verkehrsunternehmen in ländlichen Regionen vertritt. So verwies er auf die großen Unterschiede, die es zwischen einer Großstadt wie Köln und ländlichen Kreisen hinsichtlich des Nahverkehrsangebots gebe. Auch die Kalkulation der Verkehrsunternehmen sei entsprechend anders als in Großstädten. Nach Meinung des VDV sollte die öffentliche Hand ein Kontingent an Tickets mit Großkundenrabatt erwerben, an Bedürftige vergünstigt verkaufen und für die Differenz selbst aufkommen. Zu überlegen sei außerdem, die Deutsche Bahn miteinzubeziehen.
Ob das Kölner Modell Eins zu Eins auf die anderen Kommunen übertragbar sei, fragte Dr. Wilhelm Schmidt-Freitag vom Verkehrsverbund Rhein-Sieg. Er bejahte dies bezüglich der Vorgehensweise, vermutete aber, dass sich nicht überall dieselben positiven Effekte einstellten wie in Köln. Bei einem schmalen Nahverkehrs-Angebot auf dem Land sei es schwieriger, auf den ÖPNV umzusteigen. "Wir haben ja heute schon Sozialtickets", fügte er hinzu, denn die Ticketpreise deckten nicht mehr als 60 Prozent der tatsächlichen Kosten ab.
Lothar Ebbers von Pro Bahn e. V. problematisierte die Situation in ärmeren Kommunen und eine dortige "Abwärtsspirale": Abspringende Fahrgäste, die sich die Tickets nicht mehr leisten könnten, brächten Einnahmeausfälle, die die Verkehrsunternehmen zu Einsparungen bei Strecken oder zu Preiserhöhungen zwingen könnten. Dies träfe dann auch die Dauerkundinnen und -kunden. Frei nach dem Kölner Motto "Trink noch eene mit - fahr noch einmal mit" wünschte er ganz Nordrhein-Westfalen etwas mehr rheinische Mentalität.
Einen Ping-Pong-Effekt beim Thema Sozialticket stellte Jürgen Eichel vom Verkehrsclub Deutschland (Landesverband NRW) fest. Wenn aber die Kommunen aufs Land verwiesen und das Land auf den Bund, dürfe man es nicht bei einzelnen Städten belassen, die Sozialtickets einführen wollten. Solange sich sonst niemand bewege, müsse das Land tätig werden, seinetwegen auch mit einer Deckelung der Kosten, um ein Fass ohne Boden zu verhindern.
Nachdrückliche Unterstützung für die Anträge von SPD und Grünen kam von Daniel Kreuz, der für den NRW-Landesverband des Sozialverbands Deutschland sprach. Auch er plädierte dafür, Menschen schon mit Einkünften bis zum 1,2-fachen von Transferleistungen zum Erwerb von Sozialtickets zu berechtigen. Mit Blick auf die persönliche Freiheit und Menschenwürde, die Menschen Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Mobilität zugestehe, fragte Robert Walter vom Sozialverband VdK (Landesverband NRW) abschließend: "Können wir es uns leisten, auf ein Sozialticket zu verzichten?"
Quelle: Landtag NRW vom 21.04.09